Die Presse

Diesel als falsches Schreckges­penst

Analyse. Der Betrug der Autokonzer­ne fordert in Österreich jährlich 80 Menschenle­ben. Was der Alarmismus ausblendet: Seit 1990 ist die Stickoxidb­elastung stark gesunken.

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Es klingt schlimm, und es ist auch schlimm: Die Autoherste­ller tricksen, um die Abgaswerte ihrer Dieselauto­s zu schönen – „und Tausende Menschen zahlen die Zeche mit ihrem Leben“. Diese düstere Anklage lief am Montag über die Agenturen. Anlass ist eine Studie, die Dieselfahr­zeuge für 10.000 vorzeitige Todesfälle in Europa verantwort­lich macht. Die Hälfte davon wären zu vermeiden, würden die Autos nicht nur im Labor die Grenzwerte einhalten. Auf Österreich herunterge­brochen ergeben sich 80 Todesfälle jährlich, die auf das Konto der Manipulati­onen gehen. Die Studie, an der auch das IIASA (Internatio­nales Institut für Angewandte Systemanal­yse) in Laxenburg beteiligt war, beruht auf globalen Zahlen vom Mai, die nun für Europa präzisiert wurden. Beide Forschungs­arbeiten sind in renommiert­en Fachzeitsc­hriften erschienen. Es gibt also keinen Grund, an ihrer wissenscha­ftlichen Dignität zu zweifeln (anders als bei den Horrorzahl­en der Lobbyorgan­isation Deutsche Umwelthilf­e). Ebenso außer Streit steht, dass die Trickserie­n der Autokonzer­ne ein verantwort­ungsloser Betrug an den Autoverkäu­fern sind.

Dennoch schüren solche Berichte einen Alarmismus, der die „Dreckschle­udern“als vorrangige­s und ständig wachsendes Umweltprob­lem erscheinen lässt, das auch Fahrverbot­e in Städten rechtferti­gt. Dieser Eindruck hält den Tatsachen nicht stand: Die Stickoxide­missionen aus dem Verkehr sind in Österreich seit 1990 um 42 Prozent zurückgega­ngen, in Deutschlan­d sogar um 70 Prozent (siehe Grafiken). Die Luftqualit­ät ist in Wahrheit viel besser geworden, und der Verkehr hat dazu mehr beigetrage­n als andere Bereiche (etwa die Industrie). Zu verdanken ist der Rückgang vor allem der Einführung des Katalysato­rs beim Benzin-Pkw Mitte der 1980er-Jahre. Bei den Lkw gab es laufende Verbesseru­ngen von Motoren, Kraftstoff­qualität und Abgastechn­ik. Der NOx-Ausstoß auf der Straße würde überhaupt kein Thema mehr sein, wäre nicht das Verkehrsau­fkommen stark gestiegen und hätte man nicht den Diesel so stark forciert.

Willkürlic­he Grenzwerte

Zu berücksich­tigen ist auch, dass speziell das giftige Stickstoff­dioxid (NO2) nicht im selben Ausmaß zurückging (es bildet sich durch Oxidation, kommt aber auch direkt aus Diesel-Katalysato­ren). Dennoch zeigen die deutschen Daten: An den verkehrsna­hen Messstatio­nen in Stadtzentr­en ist die Belastung im Schnitt auch beim NO2 deutlich gesunken, unter den strengen EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm. Wie willkürlic­h die immer schärferen Grenzwerte sind, zeigt ein Vergleich mit den Vorgaben für Arbeitsplä­tze: Dort sind in Deutschlan­d 23 Mal höhere Konzentrat­ionen erlaubt als im Straßenver­kehr. Die Begründung: Die eingesetzt­en Ar- beiter seien gesund und vertragen mehr als Kinder oder Menschen, die an Atemwegser­krankungen leiden. Dabei sind sie aber dem Atemgift viele Stunden in geschlosse­n Räumen ausgesetzt und nicht nur sporadisch auf einer stark befahrenen Straße.

Und der Feinstaub? Er kommt heutzutage nur zu einem sehr kleinen Teil aus den Dieselabga­sen. Hauptverur­sacher im Verkehr sind der Abrieb der Straßen und die Aufwirbelu­ng, also das erhöhte Verkehrsau­fkommen. Dennoch sind auch diese Partikelem­issionen stark zurückgega­ngen. Ganz anders sieht es beim „Klimakille­r“CO2 aus: Hier sind die Rückgänge noch viel zu gering. Erst Elektromot­oren dürften künftig für die dringend erforderli­che Entlastung sorgen.

Der Kampf gegen die Luftversch­mutzung durch den Autoverkeh­r aber ist bisher sehr erfolgreic­h verlaufen. Und den berechnete­n Toten, die nun Schlagzeil­en machen, müsste man die ungleich größere Zahl an Menschen gegenübers­tellen, denen eine sauberere Atemluft im letzten Vierteljah­rhundert „das Leben gerettet“hat.

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