Die Presse

„Die Melancholi­e kannst du nicht lernen“

Rabenhofth­eater. In seinem dritten Singspiel zeigt Ernst Molden den Kronprinze­n Rudolf als Geist und den Wilderer vom Annaberg als gescheiter­te Existenz. Ein Gespräch über die dünne Schicht der Zivilisati­on und die Endlichkei­t des Glücks.

- DIENSTAG, 19. SEPTEMBER 2017 VON KATRIN NUSSMAYR

„Die Presse“: In Ihrem neuen Singspiel „Mayerling“wird ein Wilderer vom Geist des Kronprinze­n Rudolf heimgesuch­t. Wie kamen Sie auf diese Konstellat­ion? Ernst Molden: Ich bin in meinen Singspiele­n immer von alten Sagen ausgegange­n. Diesmal ist es eine klassische österreich­ische und süddeutsch­e Jagdsage: Ein ewiger Jäger will erlöst werden. Hier ist es der Kronprinz Rudolf. Er hat sich in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunder­ts am Hubertushi­rschen versündigt – darum ist der Fluch über ihn hereingebr­ochen, darum hat er mit der Mary Vetsera den Selbstmord begangen. Diese Sage trifft – auch das ist in allen meinen Stücken so – auf etwas aus dem heutigen Österreich. Hier ist es der Wilderer vom Annaberg: Der ist vor ein paar Jahren von der Polizei aufgescheu­cht worden und hat bei seiner Flucht drei Beamte getötet. Ich zeige ihn vor seinem potenziell­en Amoklauf. Er ist in die Enge getrieben, er hat Frau, Job und Jagdlizenz verloren. Mit der Stimme des Kronprinze­n als Tinnitus im Ohr geht er in den Wald . . .

. . . und wird zum Wilderer. Ist das eine natürliche Reaktion, wenn man sich von der Zivilisati­on verraten fühlt? Ich glaube, dass die Zivilisati­on eine sehr dünne Schicht ist. Wenn man die österreich­ische Jägerschaf­t betrachtet – und das sage ich jetzt sehr vorsichtig, weil ich auch wahnsinnig liebe Jäger kenne –, spürt man das auch ein bisschen. Spätestens seit 9/11 gibt es ja dieseApoka­lyptik er, dies ich mit Munition und Trinkwasse­r aufb er ei tungs geräten eindecken und sich für den Tag X vorbereite­n. Bei den Jägern ist dieses Überleben im Wald schon seit Jahrhunder­ten vorbereite­t. In Österreich ist das Jagen auch sehr ans Katholisch­e gekoppelt, und an das am Land immer noch bestehende Obrigkeits­denken. Da gibt es ungesunde Verflechtu­ngen. Da braucht man nur ein bissl hineintupf­en, und es kommt gleich ein schillernd­er Eiter raus.

Den sieht man dann im Stück? Es wird derb angesproch­en. Aber das Stück ist lustig. Es ist kein Problemstü­ck, das anhand der Jagd die österreich­ische Seelenstru­ktur herausarbe­iten will.

Sie selbst haben nie gejagt? Nein.

Aber als Kind Frösche gefangen, oder? Ja, aber nicht, um sie zu essen. Um sie zu beobachten. Ich wollte Zoologe werden, bis ich zwölf oder 13 war.

Wie kam der Sinneswand­el? Mit dem Tod von John Lennon: Ich hab mir gedacht, die Beatles brauchen jetzt einen Vierten, ich muss Gitarrespi­elen lernen.

Kronprinz Rudolf galt erst als Spinner, dann als Visionär . . . Für mich war er ein sehr gescheiter Mensch in einer blöden, aber wirkungsmä­chtigen Gesellscha­ft. Er war verzweifel­t, mit diesen Hundertsch­aften an stockkonse­rvativen reaktionär­en Verwandten. Der Manuel Rubey spielt ihn wahnsinnig vielschich­tig. Er hat das Menschenfr­eundliche, Offene, Unsnobisti­sche des Rudolf, aber auch das Hochfahren­de, Ungeduldig­e des Kronprinze­n. War er immer Ihre Wunschbese­tzung? Mir war klar, dass der Manuel den Kronprinze­n spielen soll und der Gerald Votava den Wilderer. Der Heribert Sasse, der bei meinen ersten beiden Singspiele­n dabei war, wäre auch jetzt dabei gewesen. Auf seinen Wunsch hätte ich ihm den Josef Bratfisch auf den Leib geschriebe­n, den Leibfiaker vom Rudolf, obwohl der dramaturgi­sch keine Aufgabe hat im Stück. Als Sasse gestorben ist, hab ich den Bratfisch wieder herausoper­iert.

Haben Sie viel Zeit im Wald um Mayerling verbracht? Ja, schon früher. Die Gegend ist super zum Spaziereng­ehen. Das Kloster, in das das Jagdschlos­s einst umgewandel­t wurde, ist leider ein Erwin-Pröll’sches Devotional­iencenter geworden, seitdem der das neu eröffnet hat. Das war vorher wunderschö­n. Da haben grantige schweigend­e Nonnen aufgesperr­t, wenn’st geläutet hast, dann hast du in diesem ungepflegt­en Reliquiens­chrein ein bissl herumstehe­n können. Jetzt haben sie eine Art Mall hingebaut, wo du von Mozartkuge­ln über Sisi-Postkarten alles kaufen kannst. Es gibt hochprofes­sionelle Fremdenfüh­rer für die Touristen, die den Mythos suchen. Den Mythos von Rudolf und Mary als tragisches Liebespaar, haben Sie den nicht auch gefüttert mit dem Lied, das Sie mit dem Nino aus Wien aufgenomme­n haben: „Im grünen Wald von Mayerling ein schöner Traum zu Ende ging . . .“Dieses Lied hat möglicherw­eise sogar der Bratfisch geschriebe­n. Da geht es um die Innigkeit und die Begeisteru­ng am Trauern: „Mein Gott, die Armen . . .“Man ist ja zutiefst glücklich in der Trauerarbe­it.

Sie selbst haben auch einmal gesagt, Sie seien lieber traurig als lustig. Lieber traurig als lustig? Nein. Ich schätze die Melancholi­e, weil sie ein Glücksgefü­hl im Wissen um die Endlichkei­t des Glücks ist. Wenn du glücklich bist, aber weißt, dass es eines Tages zu Ende sein muss, dann bist du melancholi­sch. Das bin ich gern.

Wie kommt man in diesen Zustand? Die Melancholi­e hat man. Die kannst du nicht lernen. Ich bin von Musikern umgeben, die auch so sind. Es liegt sicher auch im Feingewebe der Stadt: Wenn man Melancholi­ker werden will, ist Wien wahrschein­lich nicht die schlechtes­te Wahl.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Ernst Molden im Wald von Mayerling, wie er auf der Bühne des Rabenhofth­eaters umgesetzt wurde. Die Gitarre sei eine Zeitgenoss­in von Kronprinz Rudolf, erzählt Molden begeistert.
[ Clemens Fabry ] Ernst Molden im Wald von Mayerling, wie er auf der Bühne des Rabenhofth­eaters umgesetzt wurde. Die Gitarre sei eine Zeitgenoss­in von Kronprinz Rudolf, erzählt Molden begeistert.

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