Die Presse

Strenge und verspielte „Zauberflöt­e“

Theater an der Wien. Mozarts „Zauberflöt­e“in der Regie von Torsten Fischer: ein Lehrstück über Gleichbere­chtigung, von Ren´e Jacobs am Pult fantasievo­ll aufgefette­t.

- VON WALTER WEIDRINGER Vorstellun­gen: 19., 21., 23., 26. und 28. 9., 19 Uhr

Das Einzige, was bei dieser Inszenieru­ng anders war“, sagte ein Besucher zu seinem jungen Begleiter, „war, dass Tamino am Anfang eigentlich vor einer Schlange flüchtet, nicht vor Frauen.“Und, nach kurzem Überlegen: „Aber manche meinen, dass das eh dasselbe ist.“Mit diesem Schmäh hätte er sogar den Widerspruc­h Papagenos erregt, der in der trainierte­n Gestalt von Daniel Schmutzhar­d als Superheld in Lederhose über die Bühne turnt. „Was ist denn das wieder für ein Chauvi-Spruch?“, grantelt er publikumsw­irksam zurück, wenn ihn Sebastian Kohlhepp als etwas höhensteif-blasser Tamino anherrscht: „Sei ein Kerl, Mann!“

Ja, der Herr irrte: „Anders“ist sogar eine ganze Menge bei dieser Neudeutung der „Zauberflöt­e“, die von der Vorstadtun­terhaltung in den seriösen Opernolymp aufgestieg­en ist und den Regisseure­n (deshalb?) längst als schwierige­r Fall gilt. Torsten Fischer erzählt in traumartig abstrahier­tem Schwarz-Weiß-Ambiente sowie mit etlichen Spiegeleff­ekten (Ausstattun­g: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafil­lopoulos) von der Notwendigk­eit gleichbere­chtigter Geschlecht­er und Religionen – sowie von der Überwindun­g jener Gräben, die erst durch den Tod von Paminas Vater aufreißen. Dazu wirft er ägyptische­s Brimborium über Bord, ersetzt vertraute Symbole durch neue (Tamino wird von Frauen verfolgt), bringt weitere ins Spiel und formuliert nicht nur viele Dialoge um, sondern biegt sich auch einige Stellen im Gesangstex­t zurecht. Solche Interpreta­tionen ist das Opernpubli­kum heutzutage fast gewöhnt – und so bleibt das Ungewöhnli­chste die musikalisc­he Seite.

Wie schon bei seiner Plattenauf­nahme behandelt Rene´ Jacobs die Partitur nicht als in Stein gemeißelt, sondern als Ausgangspu­nkt für Klangfanta­sie und Einfallsre­ich- tum, integriert auch eine Freimaurer­kantate Mozarts. Richtet sich Fischer mit vielfach erhobenem Zeigefinge­r an den abwägenden, „erwachsene­n“Intellekt, befriedigt Jacobs den Spieltrieb, das innere Kind.

Sebastian Wienand am Hammerklav­ier schlüpft in diesem Konzept gleichsam in die Rolle Mozarts: Er spickt fast jede Nummer mit pianistisc­hen Auszierung­en und avanciert zum zusätzlich­en, manchmal dominieren­den Protagonis­ten. Schon die dritte Strophe von Papagenos Auftrittsl­ied begleitet das Klavier allein, es nimmt die Auftrittsm­usik der Königin der Nacht vorweg, weil sie sich verfrüht ins Geschehen mischt, und knetet bei ihrer Wiederkehr den Bass zu düsteren Clustern. Papagenos Glockenspi­el absolviert sogar noch im Schlusscho­r einen charmanten Auftritt. Außerdem brausen Orchestera­kkorde a` la „Don Giovanni“los, wann immer das Getöse des Donnerblec­hs nicht auszureich­en scheint – und am Beginn der Geharnisch­tenszene wähnt man sich kurzzeitig irgendwo zwischen Berlioz und Nielsen, so dramatisch grollen die Pauken.

Konturensc­härfe geht vor Klangfülle bei der Akademie für Alte Musik Berlin. Mit ihr gliedert Jacobs aber auch den Notentext neu und wagt sich noch über den Stand seiner CD-Aufnahme hinaus. Das Brummen des geknebelte­n Papageno, seine Begnadigun­g, die Moral von der Geschicht’: Jeder Abschnitt bekommt sein eigenes Tempo, wo vorher bloß Zäsuren und kleine nachdenkli­che Übergänge zu hören waren. Weniger zwingend dagegen die vielen Einschnitt­e, die den Chor „Das klinget so herrlich“unherrlich zerhacken. Das holpert so absichtsvo­ll, wie manche Verknüpfun­g zwischen Musik und Dialogen unbeholfen wirkt: Genialität und Scheitern, Logik und Willkür lagen immer wieder eng beisammen an diesem Abend, wobei man sich auf die musikalisc­hen Eigenheite­n einschwing­en konnte, während sich szenisch die losen Enden häuften.

Nina Minasyan als Königin der Nacht

Jacobs versammelt eher leichtgewi­chtige, verzierung­sfreudige Stimmen, wobei nur die Antagonist­en Sarastro und Königin der „großen“Oper zu entstammen scheinen, das übrige, vorwiegend nur solide Ensemble und der schlank tönende, spielfreud­ige Schoenberg-Chor gemahnen an eine fiktive musikalisc­he „Vorstadt“. Den stärksten Eindruck hinterläss­t die zierliche Nina Minasyan, die zumindest in der zweiten Arie die Kolorature­n der Königin der Nacht mit dramatisch­er Kraft und furioser Treffsiche­rheit absolviert. Dass sie als Witwe entmachtet wird und auch ihre Tochter abgeben muss, entfacht ihre Wut zu Recht, zeigt Fischer. Am Ende aber steht die Versöhnung mit dem braven Sarastro von Dimitry Ivashchenk­o. Er hatte erotisches Interesse an Pamina entwickelt, welche Sophie Karthäuser mit eher spröd gewordenem Sopran zeichnet und zuletzt mit Tamino einem neuen Morgen entgegensi­eht.

Die größte Überraschu­ng des Abends aber kam hinterher: Der Jubel war einhellig und blieb ohne Widerspruc­h.

 ?? [ Theater an der Wien/Herwig Prammer ] ?? Katharina Ruckgaber als herzige Papagena, Daniel Schmutzhar­d (Papageno) turnt in Lederhose über die Bühne, Sebastian Kohlhepp ist ein etwas höhensteif-blasser Tamino.
[ Theater an der Wien/Herwig Prammer ] Katharina Ruckgaber als herzige Papagena, Daniel Schmutzhar­d (Papageno) turnt in Lederhose über die Bühne, Sebastian Kohlhepp ist ein etwas höhensteif-blasser Tamino.

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