Strenge und verspielte „Zauberflöte“
Theater an der Wien. Mozarts „Zauberflöte“in der Regie von Torsten Fischer: ein Lehrstück über Gleichberechtigung, von Ren´e Jacobs am Pult fantasievoll aufgefettet.
Das Einzige, was bei dieser Inszenierung anders war“, sagte ein Besucher zu seinem jungen Begleiter, „war, dass Tamino am Anfang eigentlich vor einer Schlange flüchtet, nicht vor Frauen.“Und, nach kurzem Überlegen: „Aber manche meinen, dass das eh dasselbe ist.“Mit diesem Schmäh hätte er sogar den Widerspruch Papagenos erregt, der in der trainierten Gestalt von Daniel Schmutzhard als Superheld in Lederhose über die Bühne turnt. „Was ist denn das wieder für ein Chauvi-Spruch?“, grantelt er publikumswirksam zurück, wenn ihn Sebastian Kohlhepp als etwas höhensteif-blasser Tamino anherrscht: „Sei ein Kerl, Mann!“
Ja, der Herr irrte: „Anders“ist sogar eine ganze Menge bei dieser Neudeutung der „Zauberflöte“, die von der Vorstadtunterhaltung in den seriösen Opernolymp aufgestiegen ist und den Regisseuren (deshalb?) längst als schwieriger Fall gilt. Torsten Fischer erzählt in traumartig abstrahiertem Schwarz-Weiß-Ambiente sowie mit etlichen Spiegeleffekten (Ausstattung: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos) von der Notwendigkeit gleichberechtigter Geschlechter und Religionen – sowie von der Überwindung jener Gräben, die erst durch den Tod von Paminas Vater aufreißen. Dazu wirft er ägyptisches Brimborium über Bord, ersetzt vertraute Symbole durch neue (Tamino wird von Frauen verfolgt), bringt weitere ins Spiel und formuliert nicht nur viele Dialoge um, sondern biegt sich auch einige Stellen im Gesangstext zurecht. Solche Interpretationen ist das Opernpublikum heutzutage fast gewöhnt – und so bleibt das Ungewöhnlichste die musikalische Seite.
Wie schon bei seiner Plattenaufnahme behandelt Rene´ Jacobs die Partitur nicht als in Stein gemeißelt, sondern als Ausgangspunkt für Klangfantasie und Einfallsreich- tum, integriert auch eine Freimaurerkantate Mozarts. Richtet sich Fischer mit vielfach erhobenem Zeigefinger an den abwägenden, „erwachsenen“Intellekt, befriedigt Jacobs den Spieltrieb, das innere Kind.
Sebastian Wienand am Hammerklavier schlüpft in diesem Konzept gleichsam in die Rolle Mozarts: Er spickt fast jede Nummer mit pianistischen Auszierungen und avanciert zum zusätzlichen, manchmal dominierenden Protagonisten. Schon die dritte Strophe von Papagenos Auftrittslied begleitet das Klavier allein, es nimmt die Auftrittsmusik der Königin der Nacht vorweg, weil sie sich verfrüht ins Geschehen mischt, und knetet bei ihrer Wiederkehr den Bass zu düsteren Clustern. Papagenos Glockenspiel absolviert sogar noch im Schlusschor einen charmanten Auftritt. Außerdem brausen Orchesterakkorde a` la „Don Giovanni“los, wann immer das Getöse des Donnerblechs nicht auszureichen scheint – und am Beginn der Geharnischtenszene wähnt man sich kurzzeitig irgendwo zwischen Berlioz und Nielsen, so dramatisch grollen die Pauken.
Konturenschärfe geht vor Klangfülle bei der Akademie für Alte Musik Berlin. Mit ihr gliedert Jacobs aber auch den Notentext neu und wagt sich noch über den Stand seiner CD-Aufnahme hinaus. Das Brummen des geknebelten Papageno, seine Begnadigung, die Moral von der Geschicht’: Jeder Abschnitt bekommt sein eigenes Tempo, wo vorher bloß Zäsuren und kleine nachdenkliche Übergänge zu hören waren. Weniger zwingend dagegen die vielen Einschnitte, die den Chor „Das klinget so herrlich“unherrlich zerhacken. Das holpert so absichtsvoll, wie manche Verknüpfung zwischen Musik und Dialogen unbeholfen wirkt: Genialität und Scheitern, Logik und Willkür lagen immer wieder eng beisammen an diesem Abend, wobei man sich auf die musikalischen Eigenheiten einschwingen konnte, während sich szenisch die losen Enden häuften.
Nina Minasyan als Königin der Nacht
Jacobs versammelt eher leichtgewichtige, verzierungsfreudige Stimmen, wobei nur die Antagonisten Sarastro und Königin der „großen“Oper zu entstammen scheinen, das übrige, vorwiegend nur solide Ensemble und der schlank tönende, spielfreudige Schoenberg-Chor gemahnen an eine fiktive musikalische „Vorstadt“. Den stärksten Eindruck hinterlässt die zierliche Nina Minasyan, die zumindest in der zweiten Arie die Koloraturen der Königin der Nacht mit dramatischer Kraft und furioser Treffsicherheit absolviert. Dass sie als Witwe entmachtet wird und auch ihre Tochter abgeben muss, entfacht ihre Wut zu Recht, zeigt Fischer. Am Ende aber steht die Versöhnung mit dem braven Sarastro von Dimitry Ivashchenko. Er hatte erotisches Interesse an Pamina entwickelt, welche Sophie Karthäuser mit eher spröd gewordenem Sopran zeichnet und zuletzt mit Tamino einem neuen Morgen entgegensieht.
Die größte Überraschung des Abends aber kam hinterher: Der Jubel war einhellig und blieb ohne Widerspruch.