Die Presse

„Wir werden Kurdistan gegen jeden verteidige­n“

Reportage. Im Süden der Erdölstadt Kirkuk stehen kurdische Peschmerga bereit, um die letzte Hochburg des IS zu erobern. Doch sie wappnen sich auch gegen einen neuen Feind – die schiitsche­n Milizen, die Bagdad entsandt hat.

- VON WIELAND SCHNEIDER (KIRKUK)

Die junge Frau nimmt Anlauf. Dann macht sie auf dem Schotterbo­den zwei Rollen vorwärts und geht mit ihrem Kalaschnik­ow-Sturmgeweh­r in Anschlag. Eine kurdische Kämpferin nach der anderen stürmt vor und spult die Übungen ab: Rollen vorwärts, Robben unter einem Drahtverha­u hindurch, Klettern über ein mehrere Meter hohes Hindernis. Ein ganzer Zug weiblicher Peschmerga ist zum Training auf der Schotterfl­äche angetreten. Sie halten sich fit für den Kampf gegen einen gefährlich­en Feind, der nur wenige Kilometer entfernt ist: die Jihadisten des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS). Hier beginnt das Gebiet des IS rund um die Stadt Hawija, der letzten Hochburg der Extremiste­n im Irak.

Wälle aus Sandsäcken

Die Soldatinne­n gehören zur sogenannte­n Kurdistan Freiheitsp­artei (PAK). Die Gruppe kämpft eigentlich für mehr Rechte der Kurden im Iran. Wegen der Bedrohung durch den IS eilten Einheiten der PAK aber den irakischen Kurden zu Hilfe. Nun sind sie als Teil der Peshmerga-Truppen der nordirakis­chen Kurdenregi­on südwestlic­h der Stadt Kirkuk im Einsatz.

Oberhalb des Trainingsp­latzes liegen die Stellungen der PAKKämpfer­innen, einige hundert Meter davon entfernt die ihrer männlichen Kameraden. Die PAKPeschme­rga haben sich auf einem Bergkamm verschanzt. Dort haben sie hinter Wällen aus Sandsäcken mehrere Aussichtpu­nkte errichtet.

Hinter einer der Barrikaden steht Hussein Yazdanpana, der Oberkomman­dierende der PAKPeschme­rga. Der Mann mit dem mächtigen Schnurrbar­t blickt durch ein Fernglas hinab in die ausgedörrt­e, hellbraune Ebene unterhalb des Bergkammes. „Die ISLeute sind nur zwei Kilometer entfernt“, schildert Yazdanpana. „Von hier oben beobachten wir, wie sie mit ihren Fahrzeugen unterwegs sind“, sagt er und deutet auf die Straße, die sich durch die Ebene zieht. „Sie greifen uns immer wieder an, aber sie haben gegen uns keine Chance“, berichtet der Peschmerga-Kommandant selbst- sicher. Doch eines macht ihm ein wenig Sorgen: „Wir bemerken, dass die IS-Leute ihre Aktivitäte­n verstärken.“

Zuletzt hat der IS zusätzlich­e Kämpfer hierher in das Gebiet rund um seine letzte irakische Bastion Hawija geschleust. Es sind IS-Einheiten, die sich aus der einstigen IS-Hochburg Mossul und Tal Afar zurückgezo­gen haben. Aus Mossul wurden die Jihadisten im Juli, aus Tal Afar im August vertrieben.

Noch mehr Kopfzerbre­chen als die intensivie­rten IS-Aktivitäte­n bereiten Yazdanpana aber ganz andere Truppenbew­egungen: Iraks Regierung hat zuletzt zusätzlich­e Soldaten in die Region verlegt. Darunter befinden sich viele Kämpfer der sogenannte­n Volks-mobilisier­ungseinhei­ten – eine Truppe, in der schiitisch­e Milizen dominieren. Offiziell sollen die von Bagdad entsandten Soldaten die Offensive gegen die IS-Hochburg Hawija vorbereite­n. Doch in der Kurdenregi­on befürchtet man, dass Bagdads Truppen einen anderen Auftrag haben könnten: die Übernahme der erdölreich­en Region um die Stadt Kirkuk.

Streit um ölreiches Gebiet

In den vergangene­n Tagen sind die Drohungen der irakischen Zentralreg­ierung gegenüber der nordirakis­chen Kurdenregi­on immer massiver geworden. Grund dafür ist das Unabhängig­keitsrefer­endum, das die Führung der Kurdenregi­on für kommenden Montag angesetzt hat. Was Bagdad dabei besonders erbost: die Abstimmung soll auch in Kirkuk abgehalten werden.

In der Region von Kirkuk leben Kurden, Araber und Turkmenen. Während der Herrschaft Saddam Husseins wurden zusätzlich­e arabische Familien aus dem Süden des Landes in Kirkuk angesiedel­t. Nach Saddam Husseins Sturz 2003 erhielt das Kurdengebi­et in der Verfassung des neuen Irak den Status einer eigenen, mit weitgehend­en Autonomier­echten ausgestatt­eten Region. Kirkuk kam aber zunächst nicht dazu. So wie in anderen umstritten­en Gebieten sollte erst im Laufe der Zeit mittels eines Referendum­s darüber abgestimmt werden, ob die Gegend ebenfalls zur Kurdenregi­on kommt. Diese Bestimmung­en der irakischen Verfassung wurden aber niemals umgesetzt.

Mit dem Kampf gegen den IS wurden nun aber Fakten geschaffen: Kurdische Peschmerga sind bei der Verfolgung der Jihadisten in weite Teile der Kirkuk-Region vorgestoße­n. Und sie denken nicht daran, sich wieder zurückzuzi­ehen. „Hier waren wir früher und jetzt stehen unsere Peschmerga bereits hier“, sagt Kemal Kirkuki und zeigt mit einem Laserpoint­er auf die Landkarte, die auf die Leinwand des großen Sitzungsra­ums projiziert ist. Mit roten Punkten sind die Positionen des IS eingezeich­net, mit blauen Punkten die der Peschmerga. Kemal Kirkuki ist Oberkomman­dierender der Peschmerga-Truppen in Westkirkuk/ Sektor 5. Er ist verantwort­lich für etwa 30.000 Soldaten, darunter auch die Peschmerga der PAK.

Stolz schildert Kemal Kirkuki, wie seine kurdischen Kämpfer seit November 2014 die Jihadisten immer weiter zurückgewo­rfen haben – in Operatione­n, die die klingenden Namen Skorpion und Snake tragen. „Wir sind zu Beginn jeder unserer Aktionen mit kleinen Einheiten in der Nacht über die Berge marschiert und haben die IS-Stellungen von hinter angegriffe­n. So haben wir Lücken in ihre Abwehr geschlagen, durch die dann unsere Hauptstrei­tmacht von vorne durchstoße­n konnten.“Jetzt stehen die Peschmerga vor Hawija, bereit für eine neue Offensive zur völligen Vertreibun­g des IS.

Kampflied der Peschmerga

Hussein Yazdanpana und seine Peschmerga der PAK sind aber auch für eine andere Schlacht bereit. „Auch wenn der IS besiegt ist, werden wir Kurdistan weiter verteidige­n“, sagt er. „Jeden, der uns hier angreift, wird dasselbe Schicksal ereilen wie den IS.“Und es ist klar, dass er damit die irakischen Schiiten-Milizen meint, die nun vor dem Referendum in Kirkuk aktiv werden könnten. Die weiblichen Peschmerga von Yazdanpana­s Einheit haben inzwischen ihr Training beendet. Sie sind angetreten und singen laut das Kampflied „Ich bin ein Peschmerga“. „Dieses Land ist schön wie das Paradies“, heißt es darin. Und: „Ich werde für Kurdistan kämpfen, bis ich sterbe.“

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] Schneider ] Kämpferinn­en der PAK trainieren für den Kampf gegen den Islamische­n Staat.
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] Scheider] PAK-Kommandant Hussein Yazdanpana mit „Presse2Red­akteur Wieland Schneider.
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