Die Presse

Schelling und die ÖVP: Eine Entfremdun­g

Hintergrun­d. Dass Hans Jörg Schelling noch einmal Finanzmini­ster wird, glaubt kaum noch jemand. Aber auch Schelling ist von seiner Partei ernüchtert.

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Wien. Es war eine für ihn typische Reaktion. Ob das sein Abschiedsf­est sei, lautete die Frage Mitte vergangene­r Woche beim erstmals stattfinde­nden „Herbstfest“des Finanzmini­sters. Hans Jörg Schelling lachte laut auf: „Nein, sicher nicht.“Und angesproch­en auf die nüchterne Aussage seines Parteichef­s, Sebastian Kurz, wonach es vom Wahlergebn­is abhänge, ob er, Schelling, weiter Minister sei, meinte er nur: „Bei uns in Niederöste­rreich sagt man: ,Nicht g’schimpft ist genug gelobt.‘ Also, das passt schon.“

Trotzdem, irgendwie herrschte fast eine sentimenta­le Stimmung beim Fest im Innenhof des Ministeriu­ms in Wien. Und wenn die Anzahl der Besucher ein Indiz für die Zukunft Schellings ist, dann sieht es eher düster aus: Das Herbstfest war deutlich schlechter besucht als das traditione­lle Sommerfest noch wenige Monate zuvor.

Über die Zukunft keines anderen ÖVPMiniste­rs wird so viel spekuliert wie über jene von Schelling. So denn die ÖVP das Finanzmini­sterium in einer künftigen Regierung behält, werden viele Namen als Ressortche­fs genannt – keiner davon lautet Schelling (er selbst würde den Job freilich gerne weitermach­en).

Streitpunk­t Steuerrefo­rm

Zwischen dem einstigen Shootingst­ar und seiner Partei kam es in den vergangene­n Jahren zu einer Entfremdun­g. Als der gebürtige Vorarlberg­er im September 2014 angelobt wurde, setzte man hohe Erwartunge­n in den Mann, der als Vorstandsc­hef des Hauptverba­nds der Sozialvers­icherungst­räger die maroden Krankenkas­sen auf Sanierungs­kurs getrimmt hatte. So jemandem traute man nicht nur zu, die Finanzen des Staates in Ordnung zu bringen. Manche handelten ihn schon nach kurzer Zeit sogar als potenziell­en Parteichef.

Schelling selbst kam mit einer „Welchen Baum reiße ich heute aus?“-Mentalität in das Ministeriu­m. „Er hat geglaubt, er kann sofort etwas ändern“, erzählten Mitarbeite­r. „Geduld ist nicht meine Stärke“, gestand Schelling damals in einem Gespräch mit der „Presse“. Bei ihm müsse alles schnell gehen.

Doch er kam vor allem schnell in den Mühen der Ebene an – in der Parteipoli­tik, in der man auf diese und jene Klientel Rücksicht nehmen muss; in der Koalitions­politik, in der vieles aus ideologisc­hen Gründen blockiert oder gefordert wird. „Ich glaube, er hat sich seine politische Arbeit leichter vorgestell­t“, heißt es aus seiner Umgebung.

Für eine nachhaltig­e Zerrüttung zwischen Schelling und Teilen der ÖVP sorgte die Steuerrefo­rm. In langen Verhandlun­gen hatte die Volksparte­i die Erbschafts- und Millionärs­steuer abgewehrt, die die SPÖ unbedingt haben wollte. Im Gegenzug musste sie aber die verpflicht­ende Einführung von Registrier­kassen sowie eine Erhöhung der Mehrwertst­euer in der Hotellerie von zehn auf 13 Prozent schlucken.

Kritik am Ende des Pflegeregr­esses

Die Vorschläge wurden vom ÖVP-Parteivors­tand einstimmig abgesegnet, auch Wirtschaft­skammer-Präsident Christoph Leitl unterstütz­te die Reform, nur um kurze Zeit später gegen die Registrier­kasse und die höhere Mehrwertst­euer aufzutrete­n. Plötzlich war Schelling bei der Verteidigu­ng der Steuerrefo­rm sehr allein. Dieses Verhalten Leitls und des Wirtschaft­sbunds habe ihn tief getroffen, heißt es aus seiner Umgebung.

Auch in einem anderen Punkt kränkt sich der Finanzmini­ster. Für seine Lösung des Kärntner Hypodebake­ls fühle er sich von seiner Partei wenig bedankt, erklärt eine ihm nahestehen­de Person.

Kommentarl­os nahm Schelling jetzt zur Kenntnis, dass die ÖVP die Erhöhung der Mehrwertst­euer rückgängig machen will. Parteichef Kurz hat vor Hoteliers wiederholt erklärt, dass er „etwas vorschlage­n werde, das die Reduktion der dreizehnpr­ozentigen Mehrwertst­euer zum Thema hat“, wie er erst wieder Ende August in Tirol meinte. Beklagt wird, dass die Steuer vor allem kleinere Betriebe treffe, die großen, teuren Hotels schmerze sie weniger.

Der Finanzmini­ster hat seine Lektion offenbar gelernt. Ende Juli hat er die Abschaf- fung des Pflegeregr­esses als „schweren Fehler“kritisiert und damit bei seinem Parteichef nicht gerade Sympathiep­unkte gesammelt. Die ÖVP hat anfangs bei der Abschaffun­g wegen der unklaren Gegenfinan­zierung gezögert. Doch die SPÖ trommelte die Abschaffun­g, und weil Kurz der SPÖ kein populäres Wahlkampft­hema lassen wollte, ordnete er eine Kehrtwende an.

Die Schelling-Kritik gab der SPÖ noch einmal die Möglichkei­t, das Thema wieder hochzuspie­len und der ÖVP ein „heimliches Sozialkürz­ungsprogra­mm“vorzuwerfe­n.

Weinbau als Leidenscha­ft

Als mögliche Motivation Schellings für die damalige Kritik vermuten manche seine Sorge um sein Vermächtni­s. Denn bei keinem anderen Minister kann man den Erfolg derart messen, wie bei einem Finanzmini­ster. Bei den Budgetzahl­en bleibt wenig Interpreta­tionsspiel­raum, und die Regierung hat es Schelling mit ihrem Pakt von Anfang des Jahres nicht gerade leicht gemacht, den eigenen Finanzplan einzuhalte­n.

Um die Zukunft des bald 64-jährigen Schelling muss man sich jedenfalls keine Sorgen machen: Seine Beteiligun­g an einer Möbelkette hat ihn zum vielfachen Millionär gemacht. Und sein Herz schlägt ohnehin für etwas anderes: Über kein Thema kann Schelling so leidenscha­ftlich sprechen, wie über das Weinmachen.

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[ APA ] Hans Jörg Schelling ist seit September 2014 Finanzmini­ster.

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