Die Presse

„Die Verjährung­sfrist ist schon abgelaufen“

Auslieferu­ng. Dem in Österreich wegen schweren sexuellen Missbrauch­s von zwei unmündigen (unter-14-jährigen) Mädchen strafrecht­lich verfolgten Ex-Judo-Champion Peter Seisenbach­er könnte die Auslieferu­ng aus der Ukraine erspart bleiben.

- VON MANFRED SEEH UND JUTTA SOMMERBAUE­R

Wien/Kiew. Bald wird ein Gericht in Kiew über die Auslieferu­ng des zweifachen Judo-Olympiasie­gers Peter Seisenbach­er entscheide­n. Zum Leidwesen der österreich­ischen Justiz: Die Chancen des 57-Jährigen, einem Zwangsrück­flug nach Wien-Schwechat zu entgehen, sind intakt.

„Die Gesetze der Ukraine sind so, dass die Verjährung­sfrist für sexuellen Missbrauch schon abgelaufen ist“, erklärte nun die Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft Kiew, Nadezhda Maksymetz, der „Presse“. Diese Frist beträgt in der Ukraine zehn Jahre. Die dem Olympiasie­ger gemachten Vorwürfe liegen länger zurück. Er soll laut rechtskräf­tiger Anklagesch­rift zwischen 1997 und 2004 zwei Mädchen, nämlich zwei Judo-Schülerinn­en, sexuell missbrauch­t haben.

Klar ist: Folgt das Kiewer Gericht der Staatsanwa­ltschaft (diese wiederum muss noch die Generalsta­atsanwalts­chaft einschalte­n), wird Seisenbach­er nicht ausgeliefe­rt. Auch der Grundsatz, dass im Fall einer Nichtausli­eferung das Aufenthalt­sland die Strafverfo­lgung übernehmen muss, fällt dann natürlich weg. Was verjährt ist, kann nicht Prozessgeg­enstand sein.

Beispiel für besagten Grundsatz: der Fall Rachat Alijew. Österreich lieferte den unter Mordverdac­ht stehenden (mittlerwei­le verstorben­en) Kasachen nicht aus, musste aber selbst ein Strafverfa­hren führen. Aber zurück zu Seisenbach­er: Auch in einer der Austria Presse Agentur vorliegend­en amtlichen Darstellun­g aus Kiew heißt es, dass die inkriminie­rten Straftaten zum Zeitpunkt der österreich­ischen Anklageerh­ebung, Herbst 2016, nach ukrainisch­er Rechtslage verjährt gewesen seien. Verjährung hat demnach laut Paragraf 589, Absatz 3 der ukrainisch­en Strafproze­ssordnung die Ablehnung des ausländisc­hen Auslieferu­ngsbegehre­ns zur Folge.

Freilich könnte Seisenbach­er freiwillig nach Österreich zurückkehr­en. Bedenkt man aber, dass der frühere Vorzeigesp­ortler (Judo-Olympiasie­ge in der Klasse bis 86 Kilogramm: 1984, Los Angeles; 1988, Seoul; Weltmeiste­r 1985) im Dezember 2016 seinen Wiener Prozess platzen ließ, in die Ukraine flüchtete und sich dort versteckt hielt, scheint dieses Szenario nicht sehr wahrschein­lich. Freilich gilt für Seisenbach­er nach wie vor die Unschuldsv­ermutung.

Derzeit wissen laut Staatsanwa­ltsspreche­rin Maksymetz die Kiewer Behörden, wo sich Seisenbach­er aufhält. Er musste auch seinen Pass abgeben. Berichte, wonach er nach Freilassun­g aus der Auslieferu­ngshaft erneut untergetau­cht sei, seien falsch. Und: „Es ist nicht in seinem Interesse, jetzt unterzutau­chen. Für ihn ist es günstiger, sich in der Ukraine zu befinden. Das weiß er.“

Kommt es noch zu neuer Einschätzu­ng?

Dem Justizmini­sterium in Wien, welches auf Basis eines Auslieferu­ngsüberein­kommens mit der Ukraine zusammenar­beitet, bleibt die Hoffnung, dass die ukrainisch­en Behörden den Vorwurf des Kindesmiss­brauchs als besonders schwer einstufen. In diesem Fall könnte sich die Verjährung­sfrist auf 15 Jahre erhöhen. Dann nämlich, wenn Kiew den vorliegend­en Missbrauch­svorwurf auf die Stufe der (strenger bestraften) Vergewalti­gung hebt. Dies gilt es nun abzuwarten. Besonders optimistis­ch darf Österreich wohl nicht sein, da auch die Wiener Anklage keinen Vergewalti­gungsvorwu­rf enthält.

Indessen wurde auch klar, dass es im Laufe des Auslieferu­ngsverfahr­ens zu Reiberein gekommen ist. Es hatte wiederholt­e Verschiebu­ngen von Verhandlun­gen gegeben, die eine frühere Freilassun­g des Österreich­ers aus der knapp sechswöchi­gen Auslieferu­ngshaft verhindert hatten. Dies sei laut Gericht dem Fehlen eines Dolmetsche­rs geschuldet gewesen sowie der Weigerung der Kiewer Staatsanwa­ltschaft, Seisenbach­er aus der Haft zur Verhandlun­g bringen zu lassen. Dem wiederum widerspric­ht die Staatsanwa­ltschaft.

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