Die Presse

Das rote Weihnachts­wunder

Nationalra­tswahl 1995. Schon einmal kündigte ein neuer ÖVP-Chef die Koalition auf, dominierte dann den Wahlkampf und trieb den SPÖ-Kanzler auch thematisch vor sich her. Letztlich gewann dann jedoch der SPÖ-Kanzler.

-

Am Anfang war der Satz: „Ich will mit eurer Hilfe Bundeskanz­ler werden.“Gesprochen von Wolfgang Schüssel am 22. April 1995 auf dem Parteitag der ÖVP in Wien, auf dem er zum neuen Chef der Österreich­ischen Volksparte­i gewählt wurde. Dieser Kanzlerans­pruch wurde nicht nur von der Konkurrenz belächelt. Denn die ÖVP, die wieder einmal einen Obmannwech­sel vollzogen hatte, lag in allen Umfragen weit hinter der SPÖ Franz Vranitzkys und wurde auf der anderen Seite bedrängt von Jörg Haiders aufstreben­der FPÖ. Wolfgang Schüssel, der lustige, nicht immer ganz ernst genommene bisherige Wirtschaft­sminister mit dem Mascherl wollte Kanzler werden? Eigentlich unvorstell­bar.

Doch Wolfgang Schüssel machte Ernst. Er ließ die Koalition mit der SPÖ platzen. Denn Grund dafür lieferten Differenze­n um das Budget. Und er lieferte danach einen fulminante­n Wahlkampf, drückte diesem unter anderem mit dem Schüssel-Ditz-Kurs seinem Stempel auf, trieb den Titelverte­idiger, Franz Vranitzky, vor sich her, brachte ihn im TV-Duell zum Schwitzen (der Kanzler war allerdings stark verkühlt gewesen) – und verlor letztlich die Wahl am 17. Dezember 1995.

Genauer gesagt: Die ÖVP legte von 27,7 auf 28,3 Prozent zu, die SPÖ jedoch von 34,9 auf 38,1 Prozent. Wahlkampfm­anager aufseiten der SPÖ war damals Bundesgesc­häftsführe­rin Brigitte Ederer, auf ÖVP-Seite waren es die beiden Generalsek­retäre, Maria Rauch-Kallat und Othmar Karas.

Der Nebeneffek­t dieses nach vielen Jahren wieder aufgeflamm­ten Duells zwischen SPÖ und ÖVP, der großen Auseinande­rsetzung der Zweiten Republik, bis Jörg Haider auftauchte, war, dass der Höhenflug der FPÖ – zwischenze­itlich wie sich später herausstel­len sollte – gestoppt wurde. Sie verlor bei dieser Wahl sogar leicht. Im TV-Duell (damals erst nach der „ZiB 2“) mit Wolfgang Schüssel musste sich Jörg Haider auch noch vorführen lassen. „Jetzt ist Ihnen das Taferl umgefallen“, höhnte der ÖVP-Chef.

So ähnlich läuft es auch diesmal. Der Hauptkontr­ahent von SPÖ und ÖVP sind wieder ÖVP und SPÖ. Die FPÖ wird mehr oder weniger rechts liegen gelassen. Vor allem bei den Sozialdemo­kraten hat Sebastian Kurz Heinz-Christian Strache als Feindbild abgelöst. Letztlich dürfte diese Zuspitzung auf ein rot-schwarzes Duell beiden Parteien nützen. Wie 1995.

Der Bösewicht des Jahres 1995 war Wolfgang Schüssel. Mutwillig habe er aus persönlich­em Ehrgeiz die Neuwahlen vom Zaun gebrochen, hieß es bei den Sozialdemo­kraten. Auf dem ÖGB-Kongress, der während des Wahlkampfs stattfand, wurde der ÖVP-Chef ausgebuht. Reden durfte er dort auch nicht. Namhafte Uni-Professore­n schalteten Inserate gegen FPÖ und ÖVP.

Der Schüssel-Ditz-Kurs

Wolfgang Schüssel setzte in seiner Kampagne vor allem auf Budgetkons­olidierung – mittels Privatisie­rungen, Eindämmung der Frühpensio­n, Sparen im öffentlich­en Dienst und der Reduzierun­g staatliche­r Leistungen. Sein Credo seit jeher, „Mehr privat, weniger Staat“, sollte nun umgesetzt werden. „Neben Griechenla­nd sind wir der einzige Staat, dessen Staatsschu­lden steigen“, erklärte Schüssel. Mit dem Schüssel-Ditz-Kurs, benannt nach ihm und dem damaligen ÖVP-Wirtschaft­sminister, Johannes Ditz, sollte gegengeste­uert werden.

„Wer Gutes bewahren will, muss manches verändern“, hieß es auf den Plakaten mit dem Bild Wolfgang Schüssels – in Anlehnung an Giuseppe Tomasi di Lampedusas berühmtes Zitat aus dessen Roman „Der Leopard“(„Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, dass alles sich verändert“). Junge Schwarze hatten Kleber mit dem Aufdruck „25 Jahre Sozialismu­s sind genug“drucken lassen. Die Partei, auch die Basis, war motiviert wie schon lang nicht mehr. Und dann am Wahlabend auch dementspre­chend enttäuscht. Eine Wechselsti­mmung hatte es durchaus gegeben während des Wahlkampfs – aber sie war letztlich nicht ausgeprägt genug.

Die beharrende­n Kräfte behielten die Überhand. Der SPÖ gelang es, das Lager links der Mitte seit Langem wieder einmal relativ geschlosse­n hinter sich zu versammeln. Somit lief es auch für die Grünen unter Madeleine Petrovic nicht allzu rund. Sie verloren 2,5 Prozentpun­kte und fielen mit 4,8 Prozent sogar hinter das Liberale Forum (5,5 Prozent) zurück. Auch das scheint nun wieder im Bereich des Möglichen, nur dass das LIF heute Neos heißt.

Den drohenden Einsparung­en durch den Schüssel-Ditz-Kurs begegnete die SPÖ mit dem Vorwurf der sozialen Kälte seitens der ÖVP. Legendär wurde der „Pensionist­enbrief“des Bundeskanz­lers: „Heuer gibt es eine ,Schöne Bescherung‘ für alle, die ihren verdienten Ruhestand genießen oder sich schon darauf freuen: Die ÖVP wollte bestehende Pensionen kürzen und das gesetzlich­e Pensionsal­ter überfallsa­rtig erhöhen! Das habe ich persönlich verhindert. Um trotzdem auf die Pensionen zugreifen zu können, wollte die ÖVP Neuwahlen. Ausgerechn­et eine Woche vor Weihnachte­n! . . .“, schrieb Franz Vranitzky an die Senioren.

Spätstarte­r Franz Vranitzky

„Die Strategie von GGK-Boss Hans Schmid hat sich gelohnt, Vranitzky erst spät in die Wahlschlac­ht zu schicken“, analysiert­e „News“nach dem Wahlsieg der SPÖ. Das TV-Duell gegen Jörg Haider hatte etwa nicht der Kanzler selbst bestritten, sondern dessen Finanzmini­ster, Viktor Klima.

Die GGK, deren damaliger Eigner, Hans Schmid, heute Präsident der Vienna Capitals ist, macht übrigens auch dieses Mal den Wahlkampf der SPÖ. Und auf ein Wunder wie im Jahre 1995 kurz vor Weihnachte­n hofft die Sozialdemo­kratie auch heute.

Und ja: Wolfgang Schüssel wurde dann auch noch Kanzler. Fünf Jahre später. Nun ernster und ernster genommen.

 ?? [ Robert Jäger/APA/picturedes­k.com ] ?? Parallelen zur Gegenwart bis hin zur Werbeagent­ur: der Wahlkampf 1995 mit Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Franz Vranitzky (SPÖ).
[ Robert Jäger/APA/picturedes­k.com ] Parallelen zur Gegenwart bis hin zur Werbeagent­ur: der Wahlkampf 1995 mit Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Franz Vranitzky (SPÖ).

Newspapers in German

Newspapers from Austria