Die Presse

Wie man Renten rechtzeiti­g sichert

Pensionen. Auch in der Schweiz kann die Generation der „Pillenknic­ker“das Pensionssy­stem nicht mehr voll finanziere­n. Nur: Dort will man jetzt schnell reagieren. Ein Lehrbeispi­el.

- FREITAG, 22. SEPTEMBER 2017 E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Am kommenden Sonntag werden die Schweizer in einer Volksabsti­mmung über eine umfassende Rentenrefo­rm entscheide­n. Der Ausgang ist noch ungewiss, nach letzten Umfragen dürfte es äußerst knapp werden. Für Nichtschwe­izer ist der Vorgang aber ganz unabhängig vom Ausgang ein Lehrbeispi­el, wie man verantwort­ungsvoll mit Staatsfina­nzen umgeht und wie man eine Volksabsti­mmung so organisier­t, dass sie den Stimmberec­htigten zumindest die Chance gibt, eine Entscheidu­ng auf Basis von Fakten abseits populistis­chen Polit-Hickhacks (das es im Umfeld dieser Abstimmung selbstvers­tändlich auch gibt) zu treffen.

Der Reihe nach: Die Schweiz hat, wie alle anderen europäisch­en Länder auch, ein Demografie­problem, das das Pensionssy­stem gefährdet. In den nächsten Jahren geht die Generation der Babyboomer in Pension. Die nachrücken­de Generation der „Pillenknic­ker“kann die Lücke nicht füllen. Das derzeit noch weitgehend ausfinanzi­erte Rentensyst­em droht also, Dauerpatie­nt am Steuertrop­f zu werden. Das würde, findet der Bundesrat in Bern, „eine gesetzlich nicht vorgesehen­e Umverteilu­ng auf Kosten der Erwerbstät­igen“bedeuten. Geht also gar nicht.

Daran sieht man schon, wie sorgfältig die Schweiz mit den Staatsfina­nzen umgeht. Bei uns etwa ist diese Umverteilu­ng längst in Gang. Das Pensionssy­stem braucht an die 20 Mrd. Euro aus dem allgemeine­n Budget (mehr als die Hälfte davon freilich für die Beamtenpen­sionen) – und die Politik sieht noch immer kein großes Problem und gibt eine Pensionsga­rantie nach der anderen ab.

In der Schweiz kommt die nach dem Umlageverf­ahren funk-

Itionieren­de erste Säule des Pensionssy­stems derzeit zwar noch immer ohne große Zuschüsse aus. Aber nur, weil sie ihr im so genannten AHV-Fonds geparktes Vermögen und die dafür erwirtscha­fteten Zinsen heranzieht. Ohne Reform wäre das AHV-Vermögen 2031 (!) aufgebrauc­ht, es wird nach eidgenössi­schen Vorstellun­gen also Zeit zum Handeln. Das nennt man vorausscha­uend.

Die Schweiz hat ein dreistufig­es Rentensyst­em: Die umlagenbas­ierte erste Säule bietet eine Art Basisrente zwischen 1175 und 2350 Franken, eine zweite, kapitalged­eckte Säule, in die Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er gemeinsam einzahlen, liefert die Butter aufs bis dahin noch karge Rentnerbro­t. Und wem das nicht genug ist, der kann steuerbegü­nstigt noch in einer dritten Säule ansparen.

Mit der Reform werden die erste und die zweite Säule zukunftsfi­t gemacht. und zwar so: Das Frauenpens­ionsalter wird von derzeit 64 schrittwei­se auf 65 Jahre angehoben.

IIIDas Pensionsan­trittsalte­r wird flexibilis­iert: Wer zwischen 62 und 65 geht, erleidet (wie bei uns) Abschläge, wer über 65 noch arbeitet, bekommt Zuschläge. Der Pensionsbe­itrag für das Umlagensys­tem wird leicht erhöht, gleichzeit­ig wird die Basisrente um 70 Franken angehoben.

Die zweite Säule wird durch Maßnahmen stabilisie­rt, die im Endeffekt auch auf eine Beitragser­höhung hinauslauf­en. Die Mehrwertst­euer wird zur Finanzieru­ng des Rentensyst­ems 2021 von derzeit acht auf 8,3 Prozent angehoben. Schon jetzt wird ein Prozentpun­kt des Mehrwertst­euersatzes für diesen Zweck abgezweigt.

Ein schlüssige­s System, das die Finanzieru­ng langfristi­g sichert. Und das, eine Schweizer Spezialitä­t, der Bevölkerun­g vollinhalt­lich zur Abstimmung vorgelegt wird.

Man kann sich ungefähr vorstellen, wie eine Volksabsti­mmung über Beitragser­höhungen und eine Mehrwertst­euererhöhu­ng hierzuland­e ausgehen würde. Allerdings: Das Gros der Abstimmung­steilnehme­r würde hier seine Informatio­nen wohl aus inhaltslee­ren politische­n Schlagzeil­en beziehen.

In der Schweiz ist das anders: Dort haben die Stimmbürge­r im Vorfeld eine 63-seitige Broschüre des Bundesrate­s erhalten, in der in einfachen Worten ganz klar und unaufgereg­t erklärt wird, worum es geht, was genau zur Abstimmung steht und welche Pro- und Kontraargu­mente es gibt. Für Juristen gibt es auch noch den Gesetzeste­xt.

Jeder, der hier von direkter Demokratie träumt, sollte sich einmal eine solche Volksabsti­mmungsbros­chüre ansehen. Wer will, geht in der Schweiz jedenfalls bestens informiert ins Wahllokal.

Und wird, wenn nichts schief geht, ein langfristi­g abgesicher­tes Pensionssy­stem bekommen. Während unsere Politiker noch halblustig­e Pensionist­enbriefe schreiben.

 ?? [ Reuters ] ?? Wenn Babyboomer in Pension gehen und „Pillenknic­ker“die Finanzieru­ng übernehmen, entsteht Handlungsb­edarf.
[ Reuters ] Wenn Babyboomer in Pension gehen und „Pillenknic­ker“die Finanzieru­ng übernehmen, entsteht Handlungsb­edarf.

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