Die Presse

„Wir hätten mehr Schützenhi­lfe gebraucht“

Interview. Das Ende der deutsch-österreich­ischen Strompreis­zone sei auch ein Versagen der Politik, sagt Verbund-Chef Anzengrube­r. Siemens-Österreich-Chef Hesoun erwartet dadurch einen Strompreis­anstieg von 15 Prozent im Land.

- VON JUDITH HECHT

Die Presse: Derzeit erarbeiten Sie gemeinsam mit der Unternehme­nsberatung Boston Consulting eine neue Strategie für den Verbund. Warum? Wolfgang Anzengrube­r: Strategiea­rbeit ist nichts Neues, wir evaluieren unsere Strategie jedes Jahr. In der Vergangenh­eit waren wir sehr stark mit der Energiewen­de beschäftig­t, jetzt kommen neue Felder auf uns zu.

Womit wird der Verbund in zehn Jahren sein Geld verdienen? Anzengrube­r: Heute verdienen wir unser Geld im Wesentlich­en damit, dass wir Strom erzeugen und Kilowattst­unden verkaufen. Das wird in Zukunft nicht mehr so tragfähig sein. Die Veränderun­g des Energiesys­tems macht andere Dinge notwendig – etwa Speicherte­chnologien, denn wir müssen mit der Volatilitä­t der Netze umgehen. Die Dekarbonis­ierung macht Elektromob­ilität und Wärme zu Geschäftsz­weigen für uns. Und wir müssen stärker mit Kunden kooperiere­n. Dabei geht es vor allem um Energieman­agement und -anwendung. Die Welt verändert sich, und wir kriegen Werkzeuge an die Hand, mit denen wir vieles anders und besser machen können.

Sie müssen mit diesen Themen aber auch Geld verdienen. Anzengrube­r: Das ist die Kunst. Diese Märkte kommen, da wird man auch Geld verdienen können. Es ist aber noch nicht entschiede­n, ob wir es sein werden. Wolfgang Hesoun: Man muss Folgendes sehen: Wir stehen vor einem Umbruch aufgrund der Urbanisier­ung. Die Form der Energiever­sorgung von vor 20, 30 Jahren wird so nicht mehr funktionie­ren. Und die Netze werden, wenn dahinter ganz verschiede­ne Produktion­sarten stehen, ohne eine digitale Betriebsfü­hrung nicht mehr zu betreiben sein. Aber darüber hinaus hören wir nicht bei der Versorgung auf und werden nicht mehr das Produkt Strom, sondern die Anwendung im Vordergrun­d haben. Wenn weniger mit Strom, sondern mehr mit der Anwendung Geld verdient werden wird, welche Zukunft hat dann noch die zentrale Stromverso­rgung? Anzengrube­r: Wir werden weiter Stromerzeu­gung brauchen. Aber große Stromerzeu­gungseinhe­iten fallen weg. Nuklearene­rgie geht in Deutschlan­d vom Markt und über kurz oder lang auch Braun- und Steinkohle. Wenn das wegfällt, fehlen in Deutschlan­d 50 Prozent des Stroms. Wir werden also sowohl zentralen als auch dezentrale­n Strom brauchen. Der große Nachteil der Erneuerbar­en: Je mehr dezentrale Einheiten wir haben, desto mehr müssen wir die Schwankung­en mit großen Einheiten ausbalanci­eren. Wir werden die Offshore-Parks brauchen, und die Wasserkraf­twerke erst recht. Letzterer ist der einzig wirtschaft­lich erzeugte erneuerbar­e Strom.

Womit wir beim Thema Förderunge­n sind. Wird in Österreich zu viel gefördert? Hesoun: Es geht nicht um Förderunge­n an sich, sondern darum, was gefördert wird. Wenn wir Investitio­nen fördern, bis sie marktfähig sind, halte ich das für vernünftig. Ich bin aber gegen die Förderung von erneuerbar­er Energie durch Einspeiset­arife. Damit gefährde ich den Restmarkt. Anzengrube­r: Forschung und Entwicklun­g gehört gefördert. Aber das produziert­e Gut zu fördern, halte ich für falsch, denn damit zerstöre ich den Markt. Unter diesen Verzerrung­en leiden nicht nur wir im Strom- und Energieber­eich, sondern auch andere Branchen wie zum Beispiel die Medien.

Themenwech­sel: Sie haben sich im März überrasche­nd dazu entschloss­en, das Gaskraftwe­rk Mellach nicht zu verkaufen. Kann man mit dem Werk doch Geld verdienen? Anzengrube­r: Die Gaskraftwe­rke wurden für die Grundlastv­ersorgung gebaut. Damit kann man heute kein Geld mehr verdienen. Nach der jüngsten Halbjahres­bilanz sind Sie aber ganz froh, es zu haben. Anzengrube­r: Österreich ist froh, dass wir es haben. Wir verwenden das Kraftwerk als Feuerwehr, um die Stromverso­rgung aufrechtzu­erhalten. Es ist vermehrt zur Netzstützu­ng im Einsatz, das stimmt. Aber wir können vergessen, damit unsere Investitio­n zu verdienen. Freilich helfen uns die Feuerwehre­insätze, aber nur dafür hätten wir niemals so ein Kraftwerk um 600 Millionen Euro gebaut.

Aus rein betriebswi­rtschaftli­cher Sicht müssten Sie das Kraftwerk also schließen. Werden Sie das tun, wenn die Regulierun­gsbehörde E-Control längerfris­tigen Verträgen mit Netzbetrei­ber APG nicht zustimmt? Anzengrube­r: Logisch. Das ist Betriebswi­rtschaft. Unsere Erwartung ist, dass die Kosten abgedeckt werden. Und ich rede nicht nur von variablen Kosten. Ich brauche auch einen Fixkostenb­eitrag. Glauben Sie, dass die Regulierun­gsbehörde E-Control dem zustimmen wird? Anzengrube­r: Ja, das wird auch so kommen. Es wird ausgeschri­eben werden, und die Gaskraftwe­rksbetreib­er werden Preise nennen, was das Bereithalt­en und der Abruf der Kraftwerke kosten.

Da geht es um sehr viel Geld. Anzengrube­r: Ja, aber wenn man die Gaskraftwe­rke nicht hat, geht es um richtig viel Geld, denn dann haben wir keine gesicherte Stromverso­rgung. Der Schaden beim Kollabiere­n der Stromverso­rgung ist ein Vielfaches.

Wenn nicht etwas Unerwartet­es passiert, wird die deutsch-österreich­ische Strompreis­zone im kommenden Jahr der Vergangenh­eit angehören. Ist hier auf politische­r Ebene etwas schiefgela­ufen? Anzengrube­r: Offenbar, sonst hätten wir es geschafft. Wir hätten auch mehr Schützenhi­lfe gebraucht. Von der Industrie haben wir sie gehabt, aber insgesamt hätten wir härter auftreten müssen. Der Verbund überlegt immer noch, gegen diese Entscheidu­ng rechtlich vorzugehen. Wir warten noch die Preiszonen-Review ab, die derzeit in ganz Europa läuft. Und die ersten Ergebnisse zeigen: Es gibt keinen Engpass zwischen Deutschlan­d und Österreich. Das ist ja das Ärgerliche. Hesoun: Wir müssen nun mit einem Strompreis­anstieg von zehn bis 15 Prozent rechnen. Das ist eine Größenordn­ung, die für die Industrie nicht irrelevant ist. Wir sind jetzt schon in einem Umfeld, in dem wir an die Grenzen der Produktivi­tät kommen. Jede Teuerung behindert uns im internatio­nalen Wettbewerb.

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Verbund-Chef Wolfgang Anzengrube­r (l.) und Siemens-Österreich-Chef Wolfgang Hesoun.
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[ Akos Burg (2)]

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