Auf dem Bildschirm, aber im falschen Film
Fußball. Das Wesen des Videobeweises besteht darin, falsche Pfiffe zu korrigieren, bei Grenzfällen wird aber nicht interveniert. Leidtragender ist derzeit Peter Stöger.
Köln/Wien. Nicht wenige meinten, die Stammtischromantik des Fußballs gehöre nun endgültig der Vergangenheit an. Schließlich würde der Videobeweis keine Kontroversen mehr zulassen, stets glasklare Entscheidungen treffen. Doch nach dem fünften Spieltag ist in der deutschen Bundesliga nicht etwa das Ausbooten von Thomas Müller, der Dortmunder Erfolgslauf (13:0 Tore) oder die Kölner Misere (zweitschlechtester Saisonstart der Bundesliga-Historie) Thema Nummer eins, sondern die Krux mit dem Videobeweis.
Haben sich bei der Einführung zu Saisonbeginn noch die Geister geschieden, ist die Stimmung danach schnell ins Negative gekippt. Am deutlichsten hat es Freiburgs Amir Abrashi formuliert: „Das ist ein Riesenscheiß.“Auch von höchster Stelle kommt Kritik, Uefa-Chef Aleksander Cˇeferin meinte: „Ich bin sehr froh, dass es bislang nur ein Test ist.“Und KölnTrainer Peter Stöger hat „wirklich keine Lust“mehr, über die Videoschiedsrichter zu reden, das stellte er nach der 0:1-Heimniederlage gegen Frankfurt klar.
Der Griff zum Headset?
Der Elfmeterpfiff, der zum Frankfurter Siegestreffer führte, war keine eindeutige Fehlentscheidung, aber mindestens grenzwertig. Doch der Videoassistent – er sitzt ausgerechnet in Köln in einer Zentrale – wurde nicht konsultiert, trotz heftiger Proteste Stögers. Nur drei Tage zuvor hatte der Videobeweis aus Kölner Sicht ebenfalls Mitschuld an der 0:5-Niederlage bei Dortmund. Der Schiedsrichter hatte kurz bevor der Ball die Torlinie überquerte ein vermeintliches Foul an KölnGoalie Timo Horn gepfiffen. Der Videoreferee aber entschied auf Tor für Dortmund. Nur: Wie kann der Treffer gültig sein, wenn die Situation längst abgepfiffen war? Horn wähnte sich „im falschen Film“, Stöger meinte: „Davon, ruhig oder entspannt zu sein, bin ich derzeit weit entfernt.“Frankfurt-Coach Niko Kovacˇ erklärte sein „Mitgefühl“mit Köln.
Während die österreichische Bundesliga dem Videobeweis grundsätzlich positiv gegenübersteht, aber nicht an der Testphase (bis Saisonende) teilnimmt, gibt es in Deutschland schon nach fünf Runden Kontroversen sonder Zahl. Schalke empörte sich etwa, weil der Videoassistent im Spiel gegen den FC Bayern (0:3) ein Handspiel von Naldo im Strafraum nachträglich als elfmeterwürdig gewertet hatte. Leverkusen-Sportdirektor Rudi Völler tobte nach einem übersehenen angeblichen Foul vor dem Ausgleich der Hoffenheimer (2:2), die Assistenten hätten „vor dem Fernseher geschlafen“, schimpfte er. Dazu kamen technische Gebrechen: Zu Saisonbeginn stand der Videoassistent in einigen Spielen gar nicht zur Verfügung, dann funktionierte die virtuelle Abseitslinie nicht, ein anderes Mal fiel der Funkkontakt zwischen Schiedsrichter und Kölner Zentrale aus. Sogar einen Abbruch der Testphase (bis Saison- ende) stellte die Projektleitung in den Raum.
Viel problematischer aber ist die immer noch herrschende Verwirrung. Niemand weiß, wieso sich der Unparteiische auf dem Platz gerade jetzt an sein Headset fasst. Wann greift der Videoassistent ein und wann nicht? Wird er angerufen, oder muss er sich selbst melden?
Dabei wäre alles in der Theorie ganz einfach: Der Videobeweis kommt ausschließlich dann zum Einsatz, wenn dem Schiedsrichter ein klarer Fehler unterlaufen ist. Das Wesen des Videobeweises besteht also nur darin, falsche Pfiffe zu korrigieren, bei Grenzfällen intervenieren die Assistenten in Köln nicht. Die Kommunikation wiederum kann sowohl von der Zentrale als auch vom Schiedsrichter auf dem Platz ausgehen. Die Beteiligten wissen nur noch immer nicht, wie sie damit umgehen sollen.
Der Widerstand entspringt oft den (mitunter irrationalen) Emotionen in der Hitze des Gefechts. Zweifellos hat der Videobeweis auch schon für Fairness gesorgt. Und beim sonntäglichen Frühschoppen lässt sich immer noch über Szenen streiten, die selbst in feinster Auflösung nicht zu klären sind. Das Duell zwischen Mensch und Technik bleibt als Attraktion erhalten, während die Schiedsrichter den Videobeweis als wichtige Unterstützung wahrnehmen. Uefa-Chef Cˇeferin bringt es auf den Punkt: „Wahrscheinlich gibt es keinen Weg zurück. Aber es sollte viel klarer sein, es sieht unklar aus. Die Fans verstehen es nicht.“