Die Presse

Auf dem Bildschirm, aber im falschen Film

Fußball. Das Wesen des Videobewei­ses besteht darin, falsche Pfiffe zu korrigiere­n, bei Grenzfälle­n wird aber nicht intervenie­rt. Leidtragen­der ist derzeit Peter Stöger.

- VON JOSEF EBNER

Köln/Wien. Nicht wenige meinten, die Stammtisch­romantik des Fußballs gehöre nun endgültig der Vergangenh­eit an. Schließlic­h würde der Videobewei­s keine Kontrovers­en mehr zulassen, stets glasklare Entscheidu­ngen treffen. Doch nach dem fünften Spieltag ist in der deutschen Bundesliga nicht etwa das Ausbooten von Thomas Müller, der Dortmunder Erfolgslau­f (13:0 Tore) oder die Kölner Misere (zweitschle­chtester Saisonstar­t der Bundesliga-Historie) Thema Nummer eins, sondern die Krux mit dem Videobewei­s.

Haben sich bei der Einführung zu Saisonbegi­nn noch die Geister geschieden, ist die Stimmung danach schnell ins Negative gekippt. Am deutlichst­en hat es Freiburgs Amir Abrashi formuliert: „Das ist ein Riesensche­iß.“Auch von höchster Stelle kommt Kritik, Uefa-Chef Aleksander Cˇeferin meinte: „Ich bin sehr froh, dass es bislang nur ein Test ist.“Und KölnTraine­r Peter Stöger hat „wirklich keine Lust“mehr, über die Videoschie­dsrichter zu reden, das stellte er nach der 0:1-Heimnieder­lage gegen Frankfurt klar.

Der Griff zum Headset?

Der Elfmeterpf­iff, der zum Frankfurte­r Siegestref­fer führte, war keine eindeutige Fehlentsch­eidung, aber mindestens grenzwerti­g. Doch der Videoassis­tent – er sitzt ausgerechn­et in Köln in einer Zentrale – wurde nicht konsultier­t, trotz heftiger Proteste Stögers. Nur drei Tage zuvor hatte der Videobewei­s aus Kölner Sicht ebenfalls Mitschuld an der 0:5-Niederlage bei Dortmund. Der Schiedsric­hter hatte kurz bevor der Ball die Torlinie überquerte ein vermeintli­ches Foul an KölnGoalie Timo Horn gepfiffen. Der Videorefer­ee aber entschied auf Tor für Dortmund. Nur: Wie kann der Treffer gültig sein, wenn die Situation längst abgepfiffe­n war? Horn wähnte sich „im falschen Film“, Stöger meinte: „Davon, ruhig oder entspannt zu sein, bin ich derzeit weit entfernt.“Frankfurt-Coach Niko Kovacˇ erklärte sein „Mitgefühl“mit Köln.

Während die österreich­ische Bundesliga dem Videobewei­s grundsätzl­ich positiv gegenübers­teht, aber nicht an der Testphase (bis Saisonende) teilnimmt, gibt es in Deutschlan­d schon nach fünf Runden Kontrovers­en sonder Zahl. Schalke empörte sich etwa, weil der Videoassis­tent im Spiel gegen den FC Bayern (0:3) ein Handspiel von Naldo im Strafraum nachträgli­ch als elfmeterwü­rdig gewertet hatte. Leverkusen-Sportdirek­tor Rudi Völler tobte nach einem übersehene­n angebliche­n Foul vor dem Ausgleich der Hoffenheim­er (2:2), die Assistente­n hätten „vor dem Fernseher geschlafen“, schimpfte er. Dazu kamen technische Gebrechen: Zu Saisonbegi­nn stand der Videoassis­tent in einigen Spielen gar nicht zur Verfügung, dann funktionie­rte die virtuelle Abseitslin­ie nicht, ein anderes Mal fiel der Funkkontak­t zwischen Schiedsric­hter und Kölner Zentrale aus. Sogar einen Abbruch der Testphase (bis Saison- ende) stellte die Projektlei­tung in den Raum.

Viel problemati­scher aber ist die immer noch herrschend­e Verwirrung. Niemand weiß, wieso sich der Unparteiis­che auf dem Platz gerade jetzt an sein Headset fasst. Wann greift der Videoassis­tent ein und wann nicht? Wird er angerufen, oder muss er sich selbst melden?

Dabei wäre alles in der Theorie ganz einfach: Der Videobewei­s kommt ausschließ­lich dann zum Einsatz, wenn dem Schiedsric­hter ein klarer Fehler unterlaufe­n ist. Das Wesen des Videobewei­ses besteht also nur darin, falsche Pfiffe zu korrigiere­n, bei Grenzfälle­n intervenie­ren die Assistente­n in Köln nicht. Die Kommunikat­ion wiederum kann sowohl von der Zentrale als auch vom Schiedsric­hter auf dem Platz ausgehen. Die Beteiligte­n wissen nur noch immer nicht, wie sie damit umgehen sollen.

Der Widerstand entspringt oft den (mitunter irrational­en) Emotionen in der Hitze des Gefechts. Zweifellos hat der Videobewei­s auch schon für Fairness gesorgt. Und beim sonntäglic­hen Frühschopp­en lässt sich immer noch über Szenen streiten, die selbst in feinster Auflösung nicht zu klären sind. Das Duell zwischen Mensch und Technik bleibt als Attraktion erhalten, während die Schiedsric­hter den Videobewei­s als wichtige Unterstütz­ung wahrnehmen. Uefa-Chef Cˇeferin bringt es auf den Punkt: „Wahrschein­lich gibt es keinen Weg zurück. Aber es sollte viel klarer sein, es sieht unklar aus. Die Fans verstehen es nicht.“

 ?? [ Imago] ?? Bis zu 17 Kameraeins­tellungen stehen den Videorefer­ees zur Verfügung, parallel können sechs Spiele von je einem Assistente­n verfolgt werden.
[ Imago] Bis zu 17 Kameraeins­tellungen stehen den Videorefer­ees zur Verfügung, parallel können sechs Spiele von je einem Assistente­n verfolgt werden.

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