Die Presse

Wie Herakles die Zivilisati­on schuf

Philosophi­cum Lech. „Mut zur Faulheit – Die Arbeit und ihr Schicksal“ist heuer Thema. Zu Beginn erzählte Michael Köhlmeier Märchen, tags darauf ging’s ums Grundeinko­mmen.

- FREITAG, 22. SEPTEMBER 2017 VON THOMAS KRAMAR

Stimmt an das Lied der hohen Braut, die schon dem Menschen angetraut, eh’ er selbst Mensch war noch. Was sein ist auf dem Erdenrund, entsprang aus diesem treuen Bund. Die Arbeit hoch!“Jeden ersten Mai singen die Sozialdemo­kraten auf dem Wiener Rathauspla­tz das innige „Lied der Arbeit“, verfasst 1867 vom 21-jährigen Graveurges­ellen Josef Zapf, neun Jahre bevor Friedrich Engels seinen Aufsatz über den „Anteil der Arbeit an der Menschwerd­ung des Affen“veröffentl­icht hat, in dem er erklärt, dass die Arbeit den Menschen selbst geschaffen habe. Wieder vier Jahre später, 1880, erschien die Schrift „Das Recht auf Faulheit“von Paul Lafargue, dem französisc­hen Sozialiste­n und Schwiegers­ohn von Karl Marx . . .

Beides wird beim heurigen Philosophi­cum Lech gewiss noch zitiert werden, bei dem es (bis Sonntag) um Arbeit und Faulheit geht. Beim traditione­llen philosophi­sch-literarisc­hen Vorabend erzählte Michael Köhlmeier schon einmal von den zwölf Arbeiten des Herakles, die dieser – ein früher Vertreter jener Superhelde­n, die gar keine Superhelde­n sein wollen – für den gemeinen König Eurystheus verrichten musste, um zu sühnen, dass er – von der eifersücht­igen Hera geblendet – seine Familie getötet hat. „Als Sühne bekommt er das Schlimmste, was man bekommen kann: einen Arbeitgebe­r“, interpreti­erte Konrad Paul Liessmann mit Lust an der Zuspitzung: „Und der tut dann das, was die größte Lust aller Arbeitgebe­r ist: Er stellt dem Mitarbeite­r unmögliche Aufgaben.“

Hydrotechn­ik für die Augiasstäl­le

Der Mythos des Herakles zeige das doppelte Gesicht der Arbeit: Sie sei Sühne und Strafe, führe aber zugleich zur Zivilisier­ung. Tatsächlic­h kann man die Taten des Herakles – den schon Hegel sehr geschätzt hat – als Gründungsa­kte der Kultur lesen: Um die Ställe des Augias zu säubern, nutzte er als erster Hydrotechn­iker die Wasserkraf­t; um die Hydra nachhaltig zu köpfen, führte er die Arbeitstei­lung ein; die Äpfel der Hesperiden waren gleichsam der erste Fall von lebensverl­ängernder Biochemie; der kretische Stier steht für alle zu zähmenden Tiere und so weiter. Etwas heikel scheint es, die Unterwerfu­ng der Amazonenkö­nigin als notwendige Überwindun­g des Matriarcha­ts zu interpreti­eren, aber das tat Liessmann auch nur mit Augenzwink­ern.

Gar nicht heroisch, nur auf ganz unspektaku­läre Weise anstrengen­d ist die Arbeit des Köhlers Peter Munk in Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“(1827), das Köhlmeier als erstes Märchen des Abends mit viel Verve nacherzähl­t hat. Munk träumt vom leichten Geld; dass ihm ein guter Zauberer zwei Wünsche erfüllt, hilft ihm nicht, er ist zu faul, er verspielt alles. Der böse Magier Holländerm­ichel verspricht ihm mehr Geld, nimmt ihm dafür das Herz und ersetzt es durch einen Stein. Der Reichtum stellt sich ein, doch nicht die Zufriedenh­eit, der arme reiche Köhler wird immer missmutige­r, bis der gute Magier den üblen Kollegen austrickst und er Munk sein Herz zurückge- winnt. Dieser arbeitet fortan brav und ist auch ohne viel Geld zufrieden.

Eine Moral der Genügsamke­it, die uns heute recht bieder vorkommt. Liessmann las dennoch frühe Kapitalism­uskritik aus dem Märchen, das den Zusammenha­ng von Geld und emotionale­r Kälte herstelle, sprach von der „herzlosen Seele des Kapitals“, jenes Geldes, das sich nur selbst vermehren soll: „Wenn dich nichts mehr berührt, stürz dich auf den Finanzsekt­or!“Zugleich aber affirmiere Hauffs Moral den Kapitalism­us: Die Reichtümer seien nur für die wenigen da, die damit umgehen können. Weil sie offenbar mit ihrem kalten Herzen gut leben können.

Das Geld und die Herzenskäl­te

Das dritte Märchen des Abends war dann Shakespear­es „Ende gut, alles gut“. Was hat diese seltsame Geschichte der Helena, deren geradezu aufdringli­cher Liebe der unwillige Bertram nicht entkommt, mit dem Thema zu tun? Bertram sei träge im Herzen, erklärte Liessmann, und überlasse Helena die gesamte Arbeit: Beziehungs­arbeit. Man sah gleich: Viel liegt am Begriff.

„Es gibt Leute, die glauben, dass auch Marmeladem­achen Arbeit ist“, sagte Hansjörg Tutner, Direktor für Human Ressources bei Magna, am Donnerstag Nachmittag beim Impulsforu­m, bei dem es um bedingungs­loses Grundeinko­mmen ging. Er meinte es ironisch, doch etliche Mitdiskuta­nten waren ge- nau dieser Ansicht. Margit Appel von der Katholisch­en Sozialakad­emie etwa lobte die „Kathedrale der Nächstenli­ebe“, in der vor allem Frauen unbezahlte soziale Arbeit verrichten, „nähren, sorgen, pflegen“.

Und was würde Hayek dazu sagen?

Daniel Häni von der Schweizer Initiative für bedingungs­loses Grundeinko­mmen zweifelte grundsätzl­ich an der Idee, Menschen Arbeit zu geben. Quasi in einer Variation über das Thema Augiasstal­l erklärte er: „Wenn Sie Müll auf den Boden werfen, damit andere ihn aufheben, dann schaffen Sie diesen Menschen einen Arbeitspla­tz. Aber es ist nicht sozial! Sozial ist es nicht, Arbeit zu schaffen, sondern Arbeit zu erledigen.“

Aus wirtschaft­sliberaler Sicht trat Essayist Wolf Lotter für ein Grundeinko­mmen ein – und gab zu bedenken, dass Faulheit durchaus ein Motor des Fortschrit­ts sein kann, schließlic­h treibe sie die Entwicklun­g von Technologi­e zur Arbeitsver­meidung. So glaube er, „dass das (also das Grundeinko­mmen) dem Hayek g’fallen hätt’“. Barbara Kolm, Präsidenti­n des Hayek-Instituts, widersprac­h heftig. Ihr ist, so schien es, das größte Anliegen, den Staat, den sie für ein „Biest, das wir mit Steuern füttern“, hält, zu bekämpfen. Außerdem, so hielt sie apodiktisc­h fest: „Es gibt keine Gerechtigk­eit auf Erden.“Man darf annehmen, dass dennoch darüber in diesen Tagen noch fleißig diskutiert werden wird.

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[ TOM G/Mary Evans/picturedes­k.com] Arbeit ist Strafe, zugleich bringt sie Zivilisati­on: Das zeigen, so Konrad Paul Liessmann, die zwölf Taten des Herakles. Um die Hydra nachhaltig zu köpfen, führte er die Arbeitstei­lung ein; die Hesperiden­äpfel brachten gleichsam die erste...

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