Wie Herakles die Zivilisation schuf
Philosophicum Lech. „Mut zur Faulheit – Die Arbeit und ihr Schicksal“ist heuer Thema. Zu Beginn erzählte Michael Köhlmeier Märchen, tags darauf ging’s ums Grundeinkommen.
Stimmt an das Lied der hohen Braut, die schon dem Menschen angetraut, eh’ er selbst Mensch war noch. Was sein ist auf dem Erdenrund, entsprang aus diesem treuen Bund. Die Arbeit hoch!“Jeden ersten Mai singen die Sozialdemokraten auf dem Wiener Rathausplatz das innige „Lied der Arbeit“, verfasst 1867 vom 21-jährigen Graveurgesellen Josef Zapf, neun Jahre bevor Friedrich Engels seinen Aufsatz über den „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“veröffentlicht hat, in dem er erklärt, dass die Arbeit den Menschen selbst geschaffen habe. Wieder vier Jahre später, 1880, erschien die Schrift „Das Recht auf Faulheit“von Paul Lafargue, dem französischen Sozialisten und Schwiegersohn von Karl Marx . . .
Beides wird beim heurigen Philosophicum Lech gewiss noch zitiert werden, bei dem es (bis Sonntag) um Arbeit und Faulheit geht. Beim traditionellen philosophisch-literarischen Vorabend erzählte Michael Köhlmeier schon einmal von den zwölf Arbeiten des Herakles, die dieser – ein früher Vertreter jener Superhelden, die gar keine Superhelden sein wollen – für den gemeinen König Eurystheus verrichten musste, um zu sühnen, dass er – von der eifersüchtigen Hera geblendet – seine Familie getötet hat. „Als Sühne bekommt er das Schlimmste, was man bekommen kann: einen Arbeitgeber“, interpretierte Konrad Paul Liessmann mit Lust an der Zuspitzung: „Und der tut dann das, was die größte Lust aller Arbeitgeber ist: Er stellt dem Mitarbeiter unmögliche Aufgaben.“
Hydrotechnik für die Augiasställe
Der Mythos des Herakles zeige das doppelte Gesicht der Arbeit: Sie sei Sühne und Strafe, führe aber zugleich zur Zivilisierung. Tatsächlich kann man die Taten des Herakles – den schon Hegel sehr geschätzt hat – als Gründungsakte der Kultur lesen: Um die Ställe des Augias zu säubern, nutzte er als erster Hydrotechniker die Wasserkraft; um die Hydra nachhaltig zu köpfen, führte er die Arbeitsteilung ein; die Äpfel der Hesperiden waren gleichsam der erste Fall von lebensverlängernder Biochemie; der kretische Stier steht für alle zu zähmenden Tiere und so weiter. Etwas heikel scheint es, die Unterwerfung der Amazonenkönigin als notwendige Überwindung des Matriarchats zu interpretieren, aber das tat Liessmann auch nur mit Augenzwinkern.
Gar nicht heroisch, nur auf ganz unspektakuläre Weise anstrengend ist die Arbeit des Köhlers Peter Munk in Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“(1827), das Köhlmeier als erstes Märchen des Abends mit viel Verve nacherzählt hat. Munk träumt vom leichten Geld; dass ihm ein guter Zauberer zwei Wünsche erfüllt, hilft ihm nicht, er ist zu faul, er verspielt alles. Der böse Magier Holländermichel verspricht ihm mehr Geld, nimmt ihm dafür das Herz und ersetzt es durch einen Stein. Der Reichtum stellt sich ein, doch nicht die Zufriedenheit, der arme reiche Köhler wird immer missmutiger, bis der gute Magier den üblen Kollegen austrickst und er Munk sein Herz zurückge- winnt. Dieser arbeitet fortan brav und ist auch ohne viel Geld zufrieden.
Eine Moral der Genügsamkeit, die uns heute recht bieder vorkommt. Liessmann las dennoch frühe Kapitalismuskritik aus dem Märchen, das den Zusammenhang von Geld und emotionaler Kälte herstelle, sprach von der „herzlosen Seele des Kapitals“, jenes Geldes, das sich nur selbst vermehren soll: „Wenn dich nichts mehr berührt, stürz dich auf den Finanzsektor!“Zugleich aber affirmiere Hauffs Moral den Kapitalismus: Die Reichtümer seien nur für die wenigen da, die damit umgehen können. Weil sie offenbar mit ihrem kalten Herzen gut leben können.
Das Geld und die Herzenskälte
Das dritte Märchen des Abends war dann Shakespeares „Ende gut, alles gut“. Was hat diese seltsame Geschichte der Helena, deren geradezu aufdringlicher Liebe der unwillige Bertram nicht entkommt, mit dem Thema zu tun? Bertram sei träge im Herzen, erklärte Liessmann, und überlasse Helena die gesamte Arbeit: Beziehungsarbeit. Man sah gleich: Viel liegt am Begriff.
„Es gibt Leute, die glauben, dass auch Marmelademachen Arbeit ist“, sagte Hansjörg Tutner, Direktor für Human Ressources bei Magna, am Donnerstag Nachmittag beim Impulsforum, bei dem es um bedingungsloses Grundeinkommen ging. Er meinte es ironisch, doch etliche Mitdiskutanten waren ge- nau dieser Ansicht. Margit Appel von der Katholischen Sozialakademie etwa lobte die „Kathedrale der Nächstenliebe“, in der vor allem Frauen unbezahlte soziale Arbeit verrichten, „nähren, sorgen, pflegen“.
Und was würde Hayek dazu sagen?
Daniel Häni von der Schweizer Initiative für bedingungsloses Grundeinkommen zweifelte grundsätzlich an der Idee, Menschen Arbeit zu geben. Quasi in einer Variation über das Thema Augiasstall erklärte er: „Wenn Sie Müll auf den Boden werfen, damit andere ihn aufheben, dann schaffen Sie diesen Menschen einen Arbeitsplatz. Aber es ist nicht sozial! Sozial ist es nicht, Arbeit zu schaffen, sondern Arbeit zu erledigen.“
Aus wirtschaftsliberaler Sicht trat Essayist Wolf Lotter für ein Grundeinkommen ein – und gab zu bedenken, dass Faulheit durchaus ein Motor des Fortschritts sein kann, schließlich treibe sie die Entwicklung von Technologie zur Arbeitsvermeidung. So glaube er, „dass das (also das Grundeinkommen) dem Hayek g’fallen hätt’“. Barbara Kolm, Präsidentin des Hayek-Instituts, widersprach heftig. Ihr ist, so schien es, das größte Anliegen, den Staat, den sie für ein „Biest, das wir mit Steuern füttern“, hält, zu bekämpfen. Außerdem, so hielt sie apodiktisch fest: „Es gibt keine Gerechtigkeit auf Erden.“Man darf annehmen, dass dennoch darüber in diesen Tagen noch fleißig diskutiert werden wird.