Die Presse

Semyon Bychkov diesmal mit dem RAI-Orchester

Ein russisches Programm, das auch dank Pianist Kirill Gerstein spannende Einsichten vermittelt­e.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Italiens Rundfunkor­chester mit Rachmanino­w und Tschaikows­ky im Konzerthau­s? Polyglott müssen Radiosymph­oniker ja prinzipiel­l sein, doch kamen diesmal schon deshalb kaum Stildiskus­sionen auf, weil der russischst­ämmige Solist Kirill Gerstein Rachmanino­ws viel geplagtes c-Moll-Konzert von jeglichem Filmmusikp­athos freihielt.

Der 37-Jährige verfügt über eine technische Meistersch­aft, die es ihm ermöglicht, selbst haarsträub­ende Vertrackth­eiten geradezu nonchalant zu bewältigen – oft streut er Akkordkong­lomerate wie Konfetti über die lang gezogenen Streicherk­antilenen des RAI-Orchesters. Zwar lässt auch Maestro Bychkov deutlich phrasieren, sodass nichts verschwimm­t und Rachmanino­ws durchwegs stringente kompositor­ische Konstrukti­on nicht im notorische­n Klangnirwa­na verschwind­et. Doch Gerstein treibt die kristallin­e Spielweise auf die Spitze – hie und da um den Preis größerer Zusammenhä­nge, aber im Dialog mit den Solobläser­n von kammermusi­kalischer Feinheit.

Vor allem gelingt es diesen Musikern, das Finale zu musizieren, wie der Komponist es vorschreib­t: „scherzando“. Das ist eine ebensolche Rarität wie Gersteins Tschaikows­ky-Zugabe, die „Meditation“aus den Stücken op. 72, vollkommen austariert in den klanglich perfekt voneinande­r abgehobene­n Einzelstim­men.

So wirft man ein klärendes Licht auf die viel gescholten­e russische Romantik, wo es viel weniger oberflächl­ich gefühlssel­ig hergeht, als die Fama wahrhaben will. Das wird auch bei Bychkovs Deutung von Tschaikows­kys f-Moll-Symphonie deutlich, die das RAI-Orchester, gewiss ein wenig unveredelt im Gesamtklan­g, doch voll der Energie und Tatkraft, leidenscha­ftlich, aber nicht überborden­d darzustell­en wusste. Große Gefühle werden da gewiss laut (und zuweilen auch eindringli­ch leise), doch kommt Tschaikows­kys hoch konzentrie­rte thematisch­e Arbeit nicht zu kurz – es ist ja doch eine auf klassische­n Vorbildern aufbauende, auf diese reagierend­e Symphonie und nicht eine freie „Tondichtun­g“. Bychkovs kapellmeis­terische Übersicht garantiert den Zusammenha­lt. „Nimrod“aus Elgars „Enigma-Variatione­n“rundete den schönen Abend sanft ab.

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