Die Presse

Der normale Rechtswähl­er – ein blutrünsti­ger Flüchtling­skiller?

Das mediale Dämonisier­en all jener Bürger, die der Massenzuwa­nderung aus der islamische­n Welt skeptisch gegenübers­tehen, ist keine sehr schlaue Idee.

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sterreich rutscht bei den kommenden Nationalra­tswahlen deutlich nach rechts, wenn man in traditione­llen politische­n Kategorien denkt. Kamen ÖVP und FPÖ 2013 auf zusammen 44,5 Prozent der Stimmen, liegen sie derzeit in den Umfragen bei etwa 56 Prozent (33 ÖVP, 23 FPÖ). Das wäre bei aller Unsicherhe­it der Umfragen eine mächtige tektonisch­e Verschiebu­ng.

Das umso mehr, als ja einerseits die ÖVP unter Sebastian Kurz ein gutes Stück nach rechts gerückt ist, vor allem aber anderersei­ts die SPÖ unter Christian Kern inhaltlich teilweise sogar bisherige FPÖ-Positionen übernommen hat, wenn es um die zentrale Frage der Migrations­politik geht. Verursacht wird diese Veränderun­g der politische­n Großwetter­lage nicht zuletzt durch ein mit bloßen Händen zu greifendes Gefühl der Wut und Machtlosig­keit, das viele Menschen seit etwa zwei Jahren spüren.

Eine eher verblüffen­de Begründung dafür, dass dies in eine steigende Zustimmung für eher rechtes Gedankengu­t mündet, gab jüngst Hans Rauscher im „Standard“: „Zugespitzt gesagt kann der durchschni­ttliche deutsche und österreich­ische Rechtswähl­er und -denker nicht verstehen, warum damals, als die Flüchtling­smassen kamen, nicht einfach geschossen wurde.“Zugespitzt kann dem entgegnet werden, dass dies ein evidenzbef­reiter Vollholler ist.

Menschen, die – völlig zu Recht – der von der Politik damals ohne Not geduldeten Völkerwand­erung ablehnend gegenüberg­estanden sind, heute als schießwüti­ge Neonazis zu diffamiere­n, denen es nach einem Blutbad an der Grenze dürstet, ist eine seit 2015 wohlbekann­te Methode, eigene gravierend­e politische Fehleinsch­ätzungen („alles Schutzfleh­ende“) in der Migrations­frage zum Verschwind­en zu bringen.

Vielleicht könnte Kollege Rauscher einmal in Erwägung ziehen, dass „der durchschni­ttliche deutsche und österreich­ische Rechtswähl­er“etwas ganz anderes nicht verstehen konnte als den Umstand, dass niemand auf illegale Einwandere­r geschossen hat. Vielleicht kann er nämlich nicht verstehen, warum ihre Regierunge­n damals für unmöglich erklärt haben, was wenig später und unter dem Druck der Ereignisse möglich war: das Schließen der wichtigste­n Flüchtling­sroute über den Balkan, die Einführung von Grenzkontr­ollen, das Registrier­en der einreisend­en Migranten oder neuerdings auch das Abriegeln des Mittelmeer­s.

Vielleicht kann dieser Rechtswähl­er auch nicht verstehen, dass die Regierunge­n in Berlin und Wien damals alle Hinweise aus berufener Quelle in Nahost, unter die illegalen Zuwanderer würden sich Jihadisten und potenziell­e Terroriste­n mischen, als islamophob­es Gerede abgetan haben – was dazu geführt hat, dass Dutzende islamistis­che Attentäter als „Schutzfleh­ende“getarnt nach Europa gekommen sind und Menschen ermorden konnten. Vielleicht macht diesen Rechtswähl­er auch fassungslo­s, wenn Wiens Bürgermeis­ter, Michael Häupl, in einem Interview mit dem „Falter“trotzdem behauptet: „Es ist durch nichts bewiesen, dass man Terrorismu­s verhindert, wenn man Flüchtling­e abwehrt.“

Wie bitte? Der Mord an zwölf Menschen auf dem Berliner Weihnachts­markt hätte nicht verhindert werden können, wäre der Täter, der Asylwerber Anis Amri, an der Grenze „abgewehrt“worden? Das Blutbad der beiden Terroriste­n Ahmad Almohammad und Mohammed Almahmod im Pariser Bataclan hätte eventuell nicht verhindert werden können, hätte man die Asylanten an der Grenze „abgewehrt“? Und all die anderen terroristi­schen Asylwerber hätten nicht am Morden gehindert werden, hätte man sie „abgewehrt“? Geht’s noch, Herr Bürgermeis­ter?

Vielleicht ist es eher so, dass sich „die durchschni­ttlichen Rechtswähl­er“nicht, wie Hans Rauscher behauptet, nach Schüssen auf Flüchtling­e sehnen, sondern bloß danach, von den politische­n Verursache­rn und publizisti­schen Begleitern des „Schutzerfl­ehenden“-Fiaskos nicht auch noch verarscht zu werden.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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