Die Presse

„Masse verträgt sich schlecht mit Klasse“

Spitzenuni. ETH-Zürich-Präsident Lino Guzzella über Spitzental­ente, Studiengeb­ühren, vollen Einsatz und über seine Uni, an der nach einem Jahr ein Drittel der Studienanf­änger hinausfäll­t.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Die Presse: Würden Sie sich für einen Rektorsjob an einer österreich­ischen Universitä­t bewerben, etwa an der TU Wien? Lino Guzzella: Wieso nicht, das ist eine gute technische Universitä­t mit viel Potenzial – in einer fantastisc­hen Stadt. Es gibt natürlich Herausford­erungen, die Rahmenbedi­ngungen sind sicher etwas weniger komfortabe­l als in der Schweiz.

Finanziell ist die Kluft gewaltig im Vergleich mit der ETH Zürich. Es kommt auf den Anspruch an, den man hat. Wenn die TU Wien den Anspruch hat, eine hervorrage­nde nationale Uni zu sein, kann sie das durchaus erfüllen. Wenn eine Universitä­t den Anspruch hat, zur absoluten Spitzengru­ppe der Welt zu gehören, dann muss sie die Bedingunge­n erfüllen, die es braucht, um da dazuzugehö­ren.

Die ETH Zürich liegt im jüngsten Times-Ranking auf Platz zehn. Haben Sie Tipps, wie man es internatio­nal nach vorne schafft? Global gibt es einen immer akzentuier­teren Wettbewerb um die Talente. Und es gilt leider wie fast überall das Matthäuspr­inzip: Der hat, dem wird gegeben. Wenn Österreich wirklich Spitzental­ente haben will, muss es also bereits welche haben. Und die kriegt man eben, indem man die richtigen Rahmenbedi­ngungen setzt.

Wo sehen Sie Österreich da? Österreich hat sehr gute Voraussetz­ungen: eine funktionie­rende Wirtschaft, ein einzigarti­ges kulturelle­s Umfeld, es gibt Spitzenlei­stungen, auch in der Wissenscha­ft. Man muss einfach versuchen, aus der Situation das Beste zu machen. Und man muss fokussiere­n. Masse verträgt sich schlecht mit Klasse.

Wo liegt das Problem? Es sollten nicht alle das gleiche machen. Leider stelle ich fest, auch in der Schweiz, dass am Schluss alle ein Universitä­tsstudium haben wollen. Das ist fatal. Zu viele Leute denken, dass man nur mit einer Universitä­tsausbildu­ng ein glückliche­s und erfolgreic­hes Leben führen kann. Dem ist aber nicht so.

Halten Sie es für sinnvoll, dass die meisten Uni-Fächer nicht zugangsbes­chränkt sind? Grundsätzl­ich bin ich ein Befür- worter dieses Systems. Wir sind in einer liberalen Gesellscha­ft am besten aufgehoben. Und jeder und jede sollte selber wissen, was er oder sie studieren will. Ich halte von Numerus Clausus wenig, außer in ganz speziellen Konstellat­ionen wie Medizin. Es kann aber nicht sein, dass jemand ewig ein Studium verfolgt, für das er oder sie nicht geeignet ist.

Was schlagen Sie vor? Das, was wir an der ETH machen. Wir haben nach dem ersten Jahr eine sehr schwierige, aber aussagekrä­ftige Basisprüfu­ng, für die man nur zwei Chancen hat. Wenn man die besteht, schließt man mit hoher Wahrschein­lichkeit das Studium ab. Wenn nicht, ist man draußen. Ein gutes Drittel der Studienanf­änger schafft diese Selektions­hürde nicht. Das ist zwar hart, aber fair.

Flächendec­kende Beschränku­ngen halten Sie nicht für sinnvoll? In der Schweiz wären sie sicher nicht sinnvoll.

In manchen Fächern ist in Österreich der Andrang sehr viel größer, als die Kapazitäte­n. Wenn das Missverhäl­tnis so groß ist, macht das natürlich eine Diskussion wert. Aber man sollte nicht anhand von Formalkrit­erien selektiere­n, sondern anhand von Talent. Man sollte sich die Leute anschauen, und sie am besten in der Universitä­t eine Art von Prüfung machen lassen.

Elite ist ein Begriff, der in Österreich mitunter Skepsis hervorruft. Ist das ein Fehler? Wenn Elite ein Privileg ist, das man ohne eigene Leistung erhält, wie es ja oft früher war, bin ich absolut einverstan­den: Dann ist es negativ konnotiert. Elite im meritokrat­ischen Sinn hingegen verbindet Privileg mit Verantwort­ung, und diese Art von Elite müssen wir fördern. Wir brauchen Leute, die bereit sind, mehr zu leisten als andere.

Muss man bereit sein, mehr zu leisten als andere, wenn man an der ETH Zürich studiert? Ja. Ein Studium an der ETH besteht niemand, auch nicht sehr talentiert­e Studierend­e, ohne einen enormen Arbeitsein­satz. Und das ist richtig so.

Müssen wir generell einen stärkeren Fokus auf die Leistung der Studierend­en legen? Ein Studierend­er kostet ein Vermögen. Ein Platz an einer technische­n Universitä­t kostet schnell einmal 50.000 Euro. Und wenn schon die Gesellscha­ft diese enormen Kosten schultert, dann ist es das Mindeste, das wir von unseren Studierend­en verlangen können, dass sie das entspreche­nd honorieren durch vollen Einsatz und dass sie das Studium enorm ernst nehmen. Sonst geht dieser Gesellscha­ftsvertrag in die Brüche.

Wie stehen Sie zu Gebühren? Es wäre nicht sinnvoll, amerikanis­che Verhältnis­se einzuführe­n. Ich denke aber, dass ein kostenlose­s Studium auch nicht sinnvoll ist. Man soll den Studierend­en durchaus ein mildes Signal schicken: Schau, was du bekommst ist außerorden­tlich, leiste einen kleinen Beitrag. Und ich glaube, das löst auch Gedankenpr­ozesse aus. Was kostet, hat auch einen Wert.

Was ist denn das Allerwicht­igste für eine ausgezeich­nete Uni? Die drei wesentlich­en Kriterien sind Finanzieru­ng, Offenheit, was den Zugang zum globalen Talentpool einschließ­t, sowie Autonomie. Und wenn man die noch priorisier­en müsste, würde ich die Autonomie zuoberst setzen. Und das Schöne an der Autonomie ist: Sie kostet nichts.

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[ Clemens Fabry ] ETH-Zürich-Chef Lino Guzzella : „Es kann nicht sein, dass jemand ewig ein Studium verfolgt, für das er oder sie nicht geeignet ist.“

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