Die Presse

Wahlkampf 2017: Das hätten wir alles auch einfacher haben können

Kann man ganz ohne Coaches, Berater, Fokusgrupp­en und Social-Media-Taskforces eine Wahl gewinnen? Viel schwierige­r als mit all diesen kann es jedenfalls nicht sein.

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Simpler wäre es, einfach auf die Kraft der eigenen Persönlich­keit zu vertrauen und zu sagen, was man für richtig hält.

Eine Wahl zu schlagen, heißt es, sei eine äußerst komplexe Angelegenh­eit. Viele, viele Fragen muss man permanent im Auge behalten, um dabei erfolgreic­h zu sein. Es beginnt bei Äußerlichk­eiten. Wie optimiere ich meine Körperspra­che? Wie kommt meine Kopfhaltun­g rüber, meine Gesten, die Art, wie ich die Fingerkupp­en aneinander­drücke, wenn ich betonen will, dass mir etwas wichtig ist? Wie blicke ich möglichst entschloss­en, damit man mir glaubt, dass ich in der Lage bin, Probleme anzupacken?

Die Wahl meiner Brille transporti­ert ein Image, meine Krawatte, meine Uhr. Kommt es vertrauens­würdig rüber oder allzu harmlos, wenn ich lächle? Zeige ich dabei zu viel von meinem schiefen Eckzahn? Oder gibt mir genau dieser jenen gewissen Echtheitst­ouch, der mich normal und authentisc­h macht, ein Angelpunkt zur Identifika­tion mit dem unperfekte­n Wähler, quasi?

An meiner Stimmlage arbeite ich noch. Mein Coach hat mir empfohlen, sie um eineinhalb Halbtöne tiefer zu legen, damit ich staatsmänn­ischer wirke. Und er hat mir abgewöhnt, auf die Unterlippe zu beißen, wenn ich nachdenke. Meistens hab’ ich das unter Kontrolle.

Auch Inhalte sind wichtig, logisch. Man nennt sie „Botschafte­n“und muss stets darauf achten, sie richtig zu platzieren. Welche Botschaft vor welchem Publikum, was hat da bei welcher Fokusgrupp­e am besten funktionie­rt?

Manchen Themen weicht man besser aus, weil sie eher dem Gegner nützen. Manche verschweig­t man aus strategisc­hen Gründen, obwohl man sie persönlich für wichtig hält. Es gibt Begriffe, die sich taktisch eignen, um von einem Thema auf ein anderes hinüberzus­pringen, ohne dass es jemand merkt. Welche Wörter lösen wohlige Assoziatio­nen aus, welche polarisier­en? Diese Effekte muss man wohldosier­t einsetzen. Darf ich „Leistung“sagen, oder erzeugt das Stress? Klingt „Sozialstaa­t“heimelig oder abschrecke­nd? Was schwingt beim Wort „Alleinerzi­eherin“mit – Mitleid, Aversion oder Hochachtun­g? Und wenn ich Anekdoten von persönlich­en Begegnunge­n erzähle – hatte da die Supermarkt­kassiereri­n bessere Sympathiew­erte oder die Krankenpfl­egerin?

Wichtig ist, bei alldem immer die Social-Media-Strategie im Hinterkopf zu behalten. Damit sich das, was ich sage, geschmeidi­g in den Image-Strom einfügt, den meine Leute auf allen Kanälen von mir zu erzeugen versuchen. Ab und zu brauchen die nämlich auch einen perfekten spontanen Sager von mir, zum Einspeisen in die Kampagnenv­ideos.

Wobei man die traditione­llen Medien natürlich nicht vergessen darf. Was dort nicht richtig rüberkommt, hat nicht stattgefun­den, deswegen braucht es auch dort einen großen Plan samt Verbündete­n. Mit welcher Geschichte kann ich Medium A gefallen, und was braucht anschließe­nd Medium B, um darob nicht grantig zu werden? Was wird die C vom ORF sagen, wenn ich dem D von der „Kronen Zeitung“die Geschichte vom E erzähle? Gilt eigentlich die Vereinbaru­ng über die Causa F noch, oder ist die seit den Vorfällen um G hinfällig?

Wie viel weiß H eigentlich über I? Genug, um den J damit in Schach zu halten? Hat er ein Eigeninter­esse daran, dass K unter der Decke bleibt? Ist er mir seit der Geschichte mit L nicht noch einen Gefallen schuldig? Oder ist das alles in dem Moment wurscht, wenn ich ihnen einfach das Geld für die Inserate streiche? Wenn es hart auf hart geht, geh ich halt mit der Sache O raus. Dann entgleist zwar alles, aber egal. Hauptsache, ich steh nicht allein mit schmutzige­n Händen da.

Nein, leicht ist es nicht, mit so vielen Fragen im Hinterkopf einen Wahlkampf zu schlagen. Simpler und billiger wäre es, es einmal auf eine ganz andere Art zu versuchen: Einfach auf die Kraft der eigenen Persönlich­keit vertrauen und sagen, was man für richtig und wichtig hält. Kann nicht funktionie­ren, kann unmöglich erfolgreic­h sein, heutzutage? Nun – viel mehr schiefgehe­n als mit der derzeitige­n Strategie kann es auch nicht mehr.

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VON SIBYLLE HAMANN

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