Die Presse

Rot-blau-grüne Allianz gegen ÖVP

Nationalra­t. Bei der letzten Sitzung vor der Wahl am Sonntag proben die Parteien neue Mehrheiten. Etliche Vorhaben dürften gegen den Widerstand der ÖVP beschlosse­n werden.

- VON NORBERT RIEF

Für eingefleis­chte Parlamenta­rier ist so ein Tag wie heute eigentlich ein Feiertag: Bei der Sitzung des Nationalra­ts herrscht das freie Spiel der Kräfte – so, wie es im Parlamenta­rismus sein sollte. Keine Koalitions­disziplin, kein Klubzwang.

Einziger Wermutstro­pfen: Es ist die letzte Sitzung vor der Nationalra­tswahl am kommenden Sonntag, und heute werden nicht unbedingt die brillantes­ten Rhetoriker das Plenum überzeugen und die besten Ideen gewinnen – es wird mehr darum gehen, ob sich die Parteien von ihrer Zustimmung positive Auswirkung­en auf die Wahl erhoffen.

So werden beispielsw­eise die Pensionen erhöht – die niedrigen mehr (bis 1500 Euro um 2,2 Prozent), die höheren gar nicht (ab 4980 Euro). Dafür dürfte es eine deutliche Mehrheit geben (auch wenn es im Vorfeld Verwirrung um veraltete ÖVP-Anträge gab). Keine Lösung gibt es dagegen bei Alleinerzi­ehern (siehe Seite 2), obwohl sich in einer TV-Debatte alle Parteien für eine Änderung ausgesproc­hen hatten.

Etwas wird es heute im Hohen Haus auf jeden Fall geben: neue Mehrheiten – und zwar in erster Linie gegen die ÖVP. In vielen Punkten haben SPÖ, FPÖ und Grüne eine einheitlic­he Linie gefunden, teilweise auch die Neos.

Aus für Mietvertra­gsgebühr. Derzeit beträgt die Gebühr bei unbefriste­ten Mietverträ­gen ein Prozent der dreifachen Jahresmiet­e, bei befristete­n ist es ein Prozent der Vertragsda­uer. Die FPÖ-Initiative auf Abschaffun­g wurde im Finanzauss­chuss von SPÖ und Neos mitgetrage­n, auch die Grünen wollen heute zustimmen. Die ÖVP winkte im Vorfeld ab, weil man keine budgetrele­vanten Beschlüsse fassen will.

Angleichun­g Arbeiter/Angestellt­e. SPÖ, FPÖ und Grüne sind für eine rechtliche Gleichstel­lung von Arbeitern und Angestellt­en. Arbeiter sind aktuell etwa beim Kündigungs­schutz und bei der Entgeltfor­tzahlung im Krankheits­fall schlechter­gestellt. Vorgesehen ist nun beispielsw­eise, dass auch für Arbeiter eine zumindest sechswöchi­ge Kündigungs­frist gilt, wobei das Dienstverh­ältnis nur mit Ablauf jedes Kalendervi­erteljahre­s gelöst werden können soll. Bei längeren Dienstverh­ältnissen steigt die Frist, maximal sind es fünf Monate nach 25 Dienstjahr­en. Die FPÖ hat bei einzelnen Punkten Bedenken, möglich sind hier noch längere Übergangsf­risten. Die ÖVP, die in ihrem Wahlprogra­mm die Gleichstel­lung von Arbeitern und Angestellt­en verspricht, wird heute gegen die Anpassung stimmen. Die Änderungen würden zu überhastet erfolgen und seien unausgegor­en, hieß es im Klub.

Verbot der Bankomatge­bühr. SPÖ und FPÖ beanspruch­en die Urhebersch­aft eines Verbots für sich, mit den Stimmen auch der Grünen wird es heute auf jeden Fall Realität. Gebühren für Bargeldbeh­ebungen sollen nur dann zulässig sein, wenn den Kunden als Alternativ­e auch ein Konto mit einem Pauschalan­gebot für alle Bankomatra­nsaktionen angeboten wird. Außerdem sollen Banken verpflicht­et werden, die Kunden von der Zahlung von Gebühren, die unabhängig­e Automatenb­etreiber (etwa Euronet) fordern, zu befreien. Die ÖVP ist gegen die Initiative und will stattdesse­n mehr Transparen­z bei den Gebühren.

Internatsk­osten Berufsschü­ler. Ebenfalls mit den Stimmen von SPÖ, FPÖ und Grünen dürfte es Erleichter­ungen für Berufsschü­ler geben. Ihre Internatsk­osten sollen künftig von den Betrieben übernommen werden und am Ende über Beihilfen aus dem Insolvenze­ntgeltfond­s bedeckt werden. Die jährlichen Kosten werden auf etwa 50 Millionen Euro geschätzt.

Notstandsh­ilfe. Ein Antrag der Grünen sieht vor, dass das Partnerein­kommen bei der Berechnung der Notstandsh­ilfe nicht mehr angerechne­t wird. SPÖ und FPÖ werden dem voraussich­tlich zustimmen. Laut Antrag wurden 2014 wegen eines zu hohen Partnerein­kommens 16.336 Anträge abgelehnt, in 82 Prozent der Fälle waren Frauen betroffen.

Freiwillig­es Sozialjahr. Vorgesehen ist eine Aufstockun­g der Fördermitt­el für den Gedenk-, Friedens- und Sozialdien­st im Ausland von 720.000 Euro auf 1,2 Millionen Euro. Außerdem sollen Personen, die ein freiwillig­es Sozialjahr absolviere­n, bei der Familienbe­ihilfe bessergest­ellt werden. Der Antrag dürfte einstimmig angenommen werden.

Behinderte Menschen. Auch für die Aufstockun­g der Mittel für die berufliche Integratio­n behinderte­r Menschen dürfte es eine deutliche Mehrheit geben.

Die Sitzung der 183 Abgeordnet­en beginnt am heutigen Donnerstag mit einer Erklärung von Bundeskanz­ler Christian Kern mit anschließe­nder Debatte. Auch ein wenig Drama könnte es geben: Die FPÖ überlegt, einen Misstrauen­santrag gegen den Bundeskanz­ler einzubring­en. Wenn es eine Mehrheit dafür gibt – was freilich unwahrsche­inlich ist –, hat das im parlamenta­rischen Prozedere eine klare Konsequenz: Es gibt Neuwahlen . . .

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