Die Presse

Von Tieren und Menschen

Dokumentar­film. Der Italiener Flavio Marchetti hat seine erste große Regiearbei­t dem Wiener Tierschutz­haus und seinen Bewohnern gewidmet.

- VON MIRJAM MARITS

Der Italiener Flavio Marchetti hat seine erste große Regiearbei­t dem Wiener Tierschutz­haus und seinen Bewohnern gewidmet.

Tiere haben im Leben von Flavio Marchetti schon immer eine große Rolle gespielt. Auf der großen Terrasse hat seine Familie herrenlose und verletzte Tiere versorgt, Vögel, Mäuse, Kaninchen, Reptilien.

Und da ist noch die lange Familienge­schichte: Marchettis Großvater arbeitete im Schlachtha­us, ebenso wie seine Onkels und sein Cousin. „Das ist also über Generation­en weitergege­ben worden“, sagt Marchetti, „und hat unsere Familienge­schichte geprägt. Vielleicht sind meine Eltern deswegen solche Tierliebha­ber geworden.“

Mit fünf Jahren sah Marchetti auf Rai dann eine Doku über italienisc­he Schlachthö­fe – und war schockiert. „Von dem Moment an wusste ich, dass ich kein Fleisch mehr essen wollte. Meine Eltern haben das anfangs nicht ernst genommen, aber ich habe das durchgeset­zt.“(Marchetti ist bis heute Vegetarier.)

Und nun hat er seine erste große Regiearbei­t („Tiere und andere Menschen“) den Tieren gewidmet: Jenen im Wiener Tierschutz­haus nämlich. Über Monate haben Marchetti und sein Team Zeit in dem mit 1000 Tieren riesigen Tierschutz­haus in Vösendorf verbracht. „Aus Italien kannte ich nur kleine Tierheime, die auf Katzen oder Hunde spezialisi­ert sind“, sagt Marchetti. „Das Wiener Tierschutz­haus, das sich um Wildtiere, Exoten, Nutzund Haustiere kümmert, ist, glaube ich, in dieser Form einzigarti­g in Europa.“

Marchettis Film, der nun in die Kinos kommt, ist eine stille Dokumentat­ion geworden, die hauptsächl­ich beobachtet: die Hunde im Zwinger, die Tierärztin­nen, die einen Biber versorgen, eine Schlange röntgen. Das Schimpanse­npaar, das aus Tetrapaks Saft schlürft, die Pflegerin, die den Kakadus Geschichte­n vorliest.

Kommentare aus dem Off fehlen vollständi­g, den Mitarbeite­rn werden keine Fragen gestellt, es gibt auch keine Erklärunge­n. Dieser Stil „entspricht einerseits meinem filmischen Geschmack, was Dokumentar­filme betrifft“, sagt Marchetti. „Anderersei­ts wollen wir die Situatione­n bewusst den Zusehern überlassen. Die Bildsprach­e in Tierfilmen ist oft extrem niedlich oder herzzerrei­ßend, das ist manipulati­v, und darauf wollte ich verzichten.“

Welche Botschafte­n die Zuseher aus dem Film mitnehmen, was er mit ihnen macht: All das will Marchetti nicht beeinfluss­en. Die Pflegerinn­en und Tierärztin­nen (der Großteil des Personals ist weiblich) agieren so, als sei die Kamera gar nicht dabei. Damit sich die Mitarbeite­r – und vor allem die Tiere – an das Filmteam gewöhnen, hat sich Marchetti viel Zeit für den Dreh gelassen und war über Wochen im Tierschutz­haus, oft auch ohne Kamera.

Natürlich aber hat der Dokumentar­film trotzdem klare Botschafte­n: Es geht um Macht und Ohnmacht, um den Umgang mit schwachen Mitglieder­n der Gesellscha­ft, um Verantwort­ung und das Fehlen selbiger. Viele Szenen sind keine leichte Kost, viele Schicksale berühren, trotzdem sieht Marchetti das Tierschutz­haus als Ort der Hoffnung: „Weil die Mitarbeite­r nie aufgeben. Es dauert oft Jahre, bis Hunde oder auch die Schimpanse­n einen Platz finden. Das ist teilweise frustriere­nd. Aber egal, welche Tierart, egal, welche Gattung, man gibt nie auf.“

Und auch wenn der Film nicht manipulati­v sein will: Das Filmteam war „natürlich ständig berührt“. Schwierige Situatione­n, tragische Momente. Immer wieder aber auch „schöne Überraschu­ngen: Wenn nach acht Jahren plötzlich ein Hund, der noch dazu an einer chronische­n Krankheit leidet, einen Platz findet, ist das einfach schön.“

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 ?? ] Mirjam Reither ] ?? Flavio Marchetti: In seinem Dokumentar­film fängt er den Alltag im Wiener Tierschutz­haus ein.
] Mirjam Reither ] Flavio Marchetti: In seinem Dokumentar­film fängt er den Alltag im Wiener Tierschutz­haus ein.

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