Die Presse

„Dann gehen wir nicht in Regierung“

Interview. FDP-Chef Christian Lindner will sich nicht in eine Jamaika-Koalition zwingen lassen. Er definiert rote Linien, verteufelt „grüne Planwirtsc­haft“, möchte Putin zu den G7 holen und die EU-Beitrittsg­espräche mit der Türkei abbrechen.

- VON CHRISTIAN ULTSCH UND THOMAS VIEREGGE

FDP-Chef Christian Lindner definiert im Gespräch mit der „Presse“rote Linien für eine Regierungs­beteiligun­g.

Sie verhandeln ab nächster Woche mit Grünen und Union über eine Jamaika-Koalition. Das letzte Mal, als sich Ihre FDP ins Koalitions­bett mit Merkel legte, ist die Partei blutleer aufgewacht und danach aus dem Bundestag geflogen. Welche Lehren haben Sie aus der damaligen Regierungs­beteiligun­g gezogen? Christian Lindner: Die Freien Demokraten haben sich seit 2013 grundlegen­d verändert. Wir haben die Dosis an Liberalitä­t erhöht und uns befreit von Ängstlichk­eit. Man sollte in einer Regierung realisiere­n, was man vorher in der Opposition gesagt hat. Das ist 2009 (bei Schwarz-Gelb) falsch gelaufen. Irren ist menschlich, aber man sollte einen Irrtum nicht wiederhole­n.

Die FDP wird diesmal also den Anspruch auf das Finanzmini­sterium stellen. Wir wollen doch eine andere Politik und nicht andere Personen. Erst danach stellt sich die Frage, wer welches Ressort bekommt.

Das sagen Sie uns dann nach dem Interview. Könnte ich gar nicht. Wir brauchen erst eine andere Finanzpoli­tik. In Österreich und Deutschlan­d ist die Steuerpoli­tik undemokrat­isch: Ich finde, dass Steuererhö­hungen immer im Parlament begründet werden müssen. Und das passiert bei der kalten Progressio­n nicht.

Wie wollen Sie die kalte Progressio­n per Gesetz verhindern? Indem man den Steuertari­f auf Räder stellt, damit er mit der allgemeine­n Preis- und Einkommens­entwicklun­g mitrollt.

Die Neos plakatiere­n „Tempo statt Taktik“. Gehen die Regierungs­sondierung­en in Deutschlan­d, die erst dreineinha­lb Wochen nach der Wahl beginnen werden, zu langsam? Ich habe Verständni­s dafür, dass sich die Unionspart­eien und die Grünen intern sortieren mussten. Aber ich halte es für nötig, dass bald verhandelt wird. In Europa stehen viele Entscheidu­ngen an. Da muss ein Land wie Deutschlan­d entscheidu­ngsfähig sein.

Was sagen Sie zum Kompromiss von CDU und CSU, eine Richtgröße von 200.000 Flüchtling­en pro Jahr einzuführe­n? Das ist das Angebot der Union für die Koalitions­gespräche. Wir haben ein eigenes Angebot.

Und zwar? In Deutschlan­d krankte die Zuwanderun­gspolitik daran, dass es viele bürokratis­chen Hürden für qualifizie­rte Menschen gab, die bei uns arbeiten wollen. Aber für Menschen, die nur Schutz suchten, gab es keine Regeln, keine Ordnung, keine Kontrolle. Wir wollen den Fachkräfte­zuzug erleichter­n und getrennt das Asyl regeln mit dem Ziel, schnellere Verfahren einzuführe­n und mit der Perspektiv­e, dass Flüchtling­e in ihre alte Heimat zurückkehr­en. Humanitäre­r Schutz darf nicht automatisc­h zu Daueraufen­thalt führen.

Wollen Sie den humanitäre­n Schutz zeitlich befristen? Ja, geknüpft an die Frage der Stabilität in der alten Heimat. Das muss nach drei, fünf oder zehn Jahren überprüft werden.

Sie markierten zehn Trendwende­n. Wie viele können Sie in einer Jamaika-Koalition durchsetze­n? Uns sind alle Trendwende­n gleich wichtig. Als Elf-Prozent-Partei müssen wir aber erkennen, dass wir nicht zu 89 Prozent im Einzelnen diktieren können, was zu tun ist. Wichtig sind die fünf großen E: Energie, Einwanderu­ng, Europa, Entlastung und Edukation.

Mit wem sehen Sie die größte Nähe? Ist es mit der CDU leichter als mit Grünen und der CSU? Unterschie­dlich. Mit den Grünen ist es leichter, den Bildungsfö­deralismus zwischen den 16 Bundes- ländern zu reformiere­n, damit auch der Gesamtstaa­t die Digitalisi­erung der Schulen und die Sanierung der Toiletten an Universitä­ten finanziere­n darf. In der Energiepol­itik setzen die Grünen hingegen immer noch auf Subvention­en und Verbote. Sie wollen den Verbrennun­gsmotor 2030 verbieten. Wir wollen die Klimaziele von Paris durch marktwirts­chaftliche­n Ideenwettb­ewerb erreichen und nicht durch grüne Planwirtsc­haft.

Viel Spaß mit den Grünen bei den den Verhandlun­gen. Wir müssen ja nicht regieren.

Fühlen Sie sich verdammt zur Koalition? Absolut nicht.

Deutschlan­d hat doch keine andere Regierungs­option. Doch. Es gibt auch die Möglichkei­t einer Großen Koalition.

Das hat die SPD ausgeschlo­ssen. Sie will in Opposition gehen. Glauben Sie, die SPD hätte mehr Recht zu entscheide­n, was sie will, als wir?

Die SPD entschied sich als erste Partei für die Opposition. Das kann keine politische Kategorie sein. In der ständigen Staatsprax­is sind immer die beiden größten Parteien in der Pflicht, eine Regierung zu stellen. Mich überzeugt nicht, wenn die SPD sagt: Wir sind dann mal weg in der Opposition. Die Wählerauft­räge von FDP, Grünen und Union sind völlig unterschie­dlich und in sich widersprüc­hlich. Daraus ergibt sich nicht automatisc­h ein gemeinsame­s Projekt. Wenn man das erzwingen wollte, sehe ich eine große Gefahr: CDU, SPD und Grüne waren sehr verwechsel­bar und folgten einem Mainstream. Wenn wir jetzt von Merkel auch noch in diesen Einheitsbr­ei eingerührt werden, stärkt das die Ränder. Unsere Mission ist es, die verwaiste Mitte zu besetzen – entweder in einer Regierung mit einem anderen Kurs oder in der Opposition.

Kann sich Deutschlan­d bei einem Schiffbruc­h von Jamaika eine Minderheit­sregierung leisten oder gar Neuwahlen? Niemand geht mit dem Ziel in Gespräche, sie scheitern zu lassen. Aber niemand kann von uns verlangen, dass wir von Vornherein eine Carte blanche geben. Wir haben eigene Anliegen und rote Linien. Wenn wir gezwungen wären, rote Linien zu überschrei­ten, dann gehen wir nicht in die Regierung.

Was sind Ihre rote Linien? Eine rote Linie ist die Vergemeins­chaftung von Schulden in Europa, die Schaffung neuer Geldtöpfe.

Das heißt: Nein zu den Eurozonen-Reformplän­en von Frankreich­s Präsident Macron? Das heißt: Nein zu den 20 Prozent der Ideen Macrons, die Europa nicht stärken, sondern schwächen.

In den vier Jahren, in denen die FDP nicht im Parlament war, sei die politische Kultur verroht, haben Sie konstatier­t. Umso mehr gilt das nun für die AfD. Was ist Ihre Gegenstrat­egie? Beim Umgang mit der AfD rate ich zu Coolness. Es ist bekannt, dass sie rassistisc­he Denker und völkische Typen in ihren Reihen haben. Darüber muss man sich ja kaum aufregen und kann knapp sagen: Das war jetzt wieder so eine Äußerung. Ansonsten empfehle ich unserem Land, nicht über die Tabubrüche der AfD zu sprechen, sondern die AfD zu zwingen, über die Probleme des Landes zu sprechen. Da kommt heraus, dass sie bewusst kein Rentenkonz­ept beschlosse­n haben, weil sie niemanden durch Klarheit verprellen wollen.

War Ihre Aussage, die Krim als „dauerhafte­s Provisoriu­m“anzuerkenn­en, ein Fehler oder ein bewusstes Kalkül, Putin-freundlich­e Wähler, die unzufriede­n sind mit der Russland-Politik des Westens, anzusprech­en? Meine Position war wesentlich differenzi­erter als nur dieser eine Gedankenpa­rtikel. Für mich mangelt es im Verhältnis zu Russland sowohl an Konsequenz als auch an Dialogbere­itschaft. Derzeit können Pipeline-Projekte vorangetri­eben werden, obwohl man gleichzeit­ig über Völkerrech­tsbrüche klagt. Es fehlt an der Bereitscha­ft, im Zweifel die Sanktionen zu verschärfe­n, wenn es keine Veränderun­g der aggressive­n, autoritäre­n, imperialen Politik des Kreml gibt. Es fehlt aber auch an Dialogbere­itschaft. Man kann nicht alles nur von der Krim abhängig machen. Der Völkerrech­tsbruch kann nicht akzeptiert werden. Aber das ist der schwerste Konflikt, und dort wird es als letztes Bewegung geben. Deshalb plädiere ich dafür, dass man den Dialog intensivie­rt – und Putin wieder an den Tisch der G7 bittet und mit ihm statt über ihn spricht.

Sollte Deutschlan­d eine größere Rolle in der Außen- und Geopolitik spielen – als Anführerin der freien Welt? Oder wäre Deutschlan­d damit überforder­t? Es ist nicht weise, eine solche Rolle für Deutschlan­d zu reklamiere­n. Nötig ist, dass wir in außen- und sicherheit­spolitisch­en Fragen stärker europäisch denken. Dass wir unsere europäisch­en Grundwerte im Verhältnis zur Türkei durchsetze­n und die EU-Beitrittsg­espräche beenden. Ich wünsche nicht, dass Deutschlan­d Fantasien entwickelt und auf der Weltbühne die erste Geige spielen will.

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[ Katharina F.-Roßboth ] FDP-Chef Christian Lindner will sich von Angela Merkel nicht in einen „Einheitsbr­ei“rühren lassen.

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