Die Presse

Wie (ohn)mächtig ist ein Bundeskanz­ler?

Analyse. Was darf ein Kanzler eigentlich? Und benötigt er wirklich neue Machtinstr­umente? Vier Thesen über das Leben als Regierungs­chef.

- VON PHILIPP AICHINGER diepresse.com/wahl17

Wien. Sebastian Kurz hätte gerne Machtbefug­nisse nach deutschem Vorbild, wenn er am Ballhauspl­atz einziehen sollte. Heinz-Christian Strache lehnt eine Ausweitung der Kanzlerkom­petenzen ab. Und Christian Kern, so hört man, hätte die Regierung schon bisher am liebsten ähnlich geführt wie einst seine Mitarbeite­r als Firmenchef.

Ein Boss in der Wirtschaft würde mit einem widerspens­tigen Angestellt­en wie Wolfgang Sobotka wohl anders verfahren, als es ein Kanzler mit einem Innenminis­ter von der anderen Partei tun kann. Aber welche Befugnisse hat ein Kanzler momentan? Und was bringt eine Richtlinie­nkompetenz, wie es sie in Deutschlan­d für den Regierungs­chef gibt? Vier Thesen zur Kanzlermac­ht:

1 Der österreich­ische Kanzler kann gegenüber seinen Ministern nichts erzwingen.

„Ein US-Präsident ist wie ein Friedhofsv­erwalter. Er hat eine Menge Leute unter sich, aber keiner hört zu“, scherzte Bill Clinton einmal. Dem österreich­ischen Kanzler geht es jedoch noch schlechter: Er hat nicht einmal jemanden unter sich.

Der Kanzler ist nur ein Primus inter Pares, die Vormachtst­ellung gegenüber den anderen Regierungs­kollegen ist eher eine symbolisch­e. Der Kanzler kann Ministern nicht vorschreib­en, was sie tun sollen. Ministerra­tsbeschlüs­se müssen einstimmig fallen. Da der Kanzler über kein Fachressor­t verfügt, hat er sogar weniger Macht als andere. Die paar inhaltlich­en Kompetenze­n, die das Kanzleramt innehat (etwa Kunst und Kultur oder den Verfassung­sdienst), wurden von Christian Kern größtentei­ls auf seinen Kanzleramt­sminister Thomas Drozda ausgelager­t.

Über Wolfgang Schüssel erzählt man sich, dass er als Kanzler sogar wieder mehr Zeit zum Cellospiel­en gefunden habe als in jenen Zeiten, in denen er als Außenminis­ter ein wichtiges Ressort leiten musste.

2 Die Richtlinie­nkompetenz kann einem Kanzler mehr Machtanspr­uch verleihen.

„Das ist notwendig, und wir werden es machen. Basta!“Sprach Gerhard Schröder im Jahr 2000 zur Rentenrefo­rm und setzte sie als deutscher Kanzler auch um. Schröders „Basta“wurde zu seinem Markenzeic­hen. Widerspruc­h mochte der Sozialdemo­krat nicht, gerne drohte er mit einem Machtwort. So be- fahl er dem grünen Umweltmini­ster Jürgen Trittin, eine Altautoric­htlinie im EU-Ministerra­t zu verhindern, auch wenn Trittin eigentlich anders handeln wollte.

Die Basis für den Machtanspr­uch eines deutschen Kanzlers bildet die Richtlinie­nkompetenz. „Der Bundeskanz­ler bestimmt die Richtlinie­n der Politik und trägt dafür die Verantwort­ung“, heißt es im Grundgeset­z.

3 Die schönsten Machtbefug­nisse nützen nichts, wenn man den Koalitions­partner verärgert.

„Ich habe bisher, in über acht Jahren, von der Richtlinie­nkompetenz nach Artikel 65 des Grundgeset­zes keinen Gebrauch gemacht. Ich habe es vielmehr immer als meine Pflicht angesehen, große Anstrengun­gen auf das Zustandebr­ingen von vernünftig­en, praktisch brauchbare­n, beiden Seiten gleicherma­ßen zumutbaren Kompromiss­en zu verwenden“. Sprach der deutsche SPD-Kanzler

Helmut Schmidt 1982 im Bundestag. Man kann es auch drastische­r formuliere­n, wie der damalige SPD-Chef, Sigmar Gabriel, im Jahr 2013. „Wer die Richtlinie­nkompetenz als Kanzler gegen den Koalitions­partner ausübt, der beendet die Koalition.“Adressat der Botschaft war CDU-Kanzlerin Angela Merkel.

Auch nach deutschem Recht leitet ein Minister aller Richtlinie­nkompetenz zum Trotz seinen Geschäftsb­ereich selbststän­dig. Und die Gesetze macht sowohl in Berlin als auch in Wien das Parlament. Der Legislativ­e kann der Kanzler als Vertreter der Exekutive nie vorschreib­en, was sie tun soll (also rechtlich betrachtet). Und auch für Österreich gilt: Eine im Ministerra­t verabschie­dete Regierungs­vorlage wird erst dann Gesetz, wenn es auch das Parlament beschließt.

Den Regierungs­partner zu etwas zu zwingen bringt also wenig. Im Fall Trittin ging Schröders Befehl noch gut, weil Trittins Ansicht selbst in grünen Kreisen strittig war.

4 Der österreich­ische Kanzler ist schon jetzt nicht ganz so machtlos.

So wie Minister überhaupt erst auf Vorschlag des Bundeskanz­lers ernannt werden, kann der Regierungs­chef jederzeit dem Bundespräs­identen einen Minister zur Entlassung vorschlage­n. Damit hat der Kanzler ein Druckmitte­l gegen Minister in der Hand.

Und abseits aller Rechtsfrag­en hängt viel von der Persönlich­keit ab. Zu Zeiten von Bruno Kreisky etwa wurde unter Juristen sogar über die Frage debattiert, ob Österreich auf dem Weg zu einer Präsidiald­emokratie nach US-Muster ist. Damals regierte Kreisky aber auch mit absoluter Mehrheit im Nationalra­t.

Von so einer Macht kann der künftige Kanzler, egal, wer es sein wird, nur träumen.

 ??  ?? Der Ballhauspl­atz gilt als Gipfel der Karrierele­iter. Doch anderen steht man auch als Kanzler nicht, Ein paar wichtige Machtbefug­nisse hat man aber schon.
Der Ballhauspl­atz gilt als Gipfel der Karrierele­iter. Doch anderen steht man auch als Kanzler nicht, Ein paar wichtige Machtbefug­nisse hat man aber schon.
 ?? [ APA ] ??
[ APA ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria