Wie (ohn)mächtig ist ein Bundeskanzler?
Analyse. Was darf ein Kanzler eigentlich? Und benötigt er wirklich neue Machtinstrumente? Vier Thesen über das Leben als Regierungschef.
Wien. Sebastian Kurz hätte gerne Machtbefugnisse nach deutschem Vorbild, wenn er am Ballhausplatz einziehen sollte. Heinz-Christian Strache lehnt eine Ausweitung der Kanzlerkompetenzen ab. Und Christian Kern, so hört man, hätte die Regierung schon bisher am liebsten ähnlich geführt wie einst seine Mitarbeiter als Firmenchef.
Ein Boss in der Wirtschaft würde mit einem widerspenstigen Angestellten wie Wolfgang Sobotka wohl anders verfahren, als es ein Kanzler mit einem Innenminister von der anderen Partei tun kann. Aber welche Befugnisse hat ein Kanzler momentan? Und was bringt eine Richtlinienkompetenz, wie es sie in Deutschland für den Regierungschef gibt? Vier Thesen zur Kanzlermacht:
1 Der österreichische Kanzler kann gegenüber seinen Ministern nichts erzwingen.
„Ein US-Präsident ist wie ein Friedhofsverwalter. Er hat eine Menge Leute unter sich, aber keiner hört zu“, scherzte Bill Clinton einmal. Dem österreichischen Kanzler geht es jedoch noch schlechter: Er hat nicht einmal jemanden unter sich.
Der Kanzler ist nur ein Primus inter Pares, die Vormachtstellung gegenüber den anderen Regierungskollegen ist eher eine symbolische. Der Kanzler kann Ministern nicht vorschreiben, was sie tun sollen. Ministerratsbeschlüsse müssen einstimmig fallen. Da der Kanzler über kein Fachressort verfügt, hat er sogar weniger Macht als andere. Die paar inhaltlichen Kompetenzen, die das Kanzleramt innehat (etwa Kunst und Kultur oder den Verfassungsdienst), wurden von Christian Kern größtenteils auf seinen Kanzleramtsminister Thomas Drozda ausgelagert.
Über Wolfgang Schüssel erzählt man sich, dass er als Kanzler sogar wieder mehr Zeit zum Cellospielen gefunden habe als in jenen Zeiten, in denen er als Außenminister ein wichtiges Ressort leiten musste.
2 Die Richtlinienkompetenz kann einem Kanzler mehr Machtanspruch verleihen.
„Das ist notwendig, und wir werden es machen. Basta!“Sprach Gerhard Schröder im Jahr 2000 zur Rentenreform und setzte sie als deutscher Kanzler auch um. Schröders „Basta“wurde zu seinem Markenzeichen. Widerspruch mochte der Sozialdemokrat nicht, gerne drohte er mit einem Machtwort. So be- fahl er dem grünen Umweltminister Jürgen Trittin, eine Altautorichtlinie im EU-Ministerrat zu verhindern, auch wenn Trittin eigentlich anders handeln wollte.
Die Basis für den Machtanspruch eines deutschen Kanzlers bildet die Richtlinienkompetenz. „Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung“, heißt es im Grundgesetz.
3 Die schönsten Machtbefugnisse nützen nichts, wenn man den Koalitionspartner verärgert.
„Ich habe bisher, in über acht Jahren, von der Richtlinienkompetenz nach Artikel 65 des Grundgesetzes keinen Gebrauch gemacht. Ich habe es vielmehr immer als meine Pflicht angesehen, große Anstrengungen auf das Zustandebringen von vernünftigen, praktisch brauchbaren, beiden Seiten gleichermaßen zumutbaren Kompromissen zu verwenden“. Sprach der deutsche SPD-Kanzler
Helmut Schmidt 1982 im Bundestag. Man kann es auch drastischer formulieren, wie der damalige SPD-Chef, Sigmar Gabriel, im Jahr 2013. „Wer die Richtlinienkompetenz als Kanzler gegen den Koalitionspartner ausübt, der beendet die Koalition.“Adressat der Botschaft war CDU-Kanzlerin Angela Merkel.
Auch nach deutschem Recht leitet ein Minister aller Richtlinienkompetenz zum Trotz seinen Geschäftsbereich selbstständig. Und die Gesetze macht sowohl in Berlin als auch in Wien das Parlament. Der Legislative kann der Kanzler als Vertreter der Exekutive nie vorschreiben, was sie tun soll (also rechtlich betrachtet). Und auch für Österreich gilt: Eine im Ministerrat verabschiedete Regierungsvorlage wird erst dann Gesetz, wenn es auch das Parlament beschließt.
Den Regierungspartner zu etwas zu zwingen bringt also wenig. Im Fall Trittin ging Schröders Befehl noch gut, weil Trittins Ansicht selbst in grünen Kreisen strittig war.
4 Der österreichische Kanzler ist schon jetzt nicht ganz so machtlos.
So wie Minister überhaupt erst auf Vorschlag des Bundeskanzlers ernannt werden, kann der Regierungschef jederzeit dem Bundespräsidenten einen Minister zur Entlassung vorschlagen. Damit hat der Kanzler ein Druckmittel gegen Minister in der Hand.
Und abseits aller Rechtsfragen hängt viel von der Persönlichkeit ab. Zu Zeiten von Bruno Kreisky etwa wurde unter Juristen sogar über die Frage debattiert, ob Österreich auf dem Weg zu einer Präsidialdemokratie nach US-Muster ist. Damals regierte Kreisky aber auch mit absoluter Mehrheit im Nationalrat.
Von so einer Macht kann der künftige Kanzler, egal, wer es sein wird, nur träumen.