Die Presse

Die Parlamenta­rier sollten sich vor sich selbst schützen

Bei Gesetzesbe­schlüssen wenige Tage vor einer Wahl kommt selten etwas Gutes heraus. Das zeigt auch die heutige Nationalra­tssitzung.

- E-Mails an: martin.fritzl@diepresse.com Mehr zum Thema: Seiten 1 bis 3

Müssen

die Abgeordnet­en sich vor sich selbst schützen? Es sieht fast so aus. Wenn heute im Parlament eine ganze Reihe von Gesetzen beschlosse­n wird, ist wieder jener bekannte Mechanismu­s in Gang gesetzt, der sich auch schon in der Vergangenh­eit als unheilvoll erwiesen hat: In der Panik der Wahlkampf-Schlusspha­se werden Gesetze mit gravierend­en finanziell­en Folgen beschlosse­n. Ob das Kalkül auch aufgeht, ist fraglich. Die meisten Wähler werden sich von den in letzter Sekunde verabreich­ten Wahlzucker­ln wohl kaum beeinfluss­en lassen.

Blenden wir zurück: Der 24. September 2008 ging als Tag der Unvernunft in die Annalen des Parlaments ein. Auch damals war es vier Tage vor der Nationalra­tswahl, als wechselnde Mehrheiten eine ganze Reihe von Regelungen beschlosse­n: Eine überdurchs­chnittlich­e Pensionser­höhung, die Verlängeru­ng der Hacklerreg­elung, die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren, eine 13. Familienbe­ihilfe und etliche Steuerbefr­eiungen sollen mit einem Schlag 2,7 Milliarden Euro gekostet haben. Vor allem die teure Verlängeru­ng der Hacklerreg­elung erwies sich als wenig durchdacht: Diese vorzeitige Frühpensio­nierungsva­riante nutzten in erster Linie nämlich nicht die „Hackler“, sondern Beamte und gut verdienend­e Angestellt­e.

Die heute im Parlament anstehende­n Gesetze dürften nicht ganz diese Dimension haben. Einige Vorhaben schafften es gar nicht auf die Tagesordnu­ng, wie etwa eine Begrenzung der Mieten oder der Ausbau des staatliche­n Unterhalts­vorschusse­s für Alleinerzi­eherinnen. Andere sehr wohl: Auch diesmal gibt es eine Pensionser­höhung, die – allerdings nur knapp – über der Inflations­rate liegt. Frauen werden auch Notstandsh­ilfe erhalten, wenn ihre Männer mehr verdienen. Die Ungleichhe­it von Arbeitern und Angestellt­en wird in Teilbereic­hen beseitigt. Und Banken dürfen für Abhebungen am Bankomat keine Gebühren verlangen.

Nun ist es natürlich die ureigenste Aufgabe des Parlaments, derartige Dinge zu regeln, Beschlüsse zu diesen Themen gibt es auch außerhalb des Wahlkampfe­s. Aber: Im Wahlkampf geraten die Kosten aus dem Blickfeld. Die des Staates ebenso wie die unbeteilig­ter Dritter. Wenn Ban- komatgebüh­ren verboten werden, wird bald eine Reihe von Bankomatbe­treibern auftauchen, die die Banken mit hohen Gebühren abzocken können.

Oder am Beispiel der Gleichstel­lung von Arbeitern und Angestellt­en bei den Kündigungs­fristen: Das wird jene Branchen in Bedrängnis bringen, die saisonbedi­ngt flexible Kündigungs­möglichkei­ten benötigen. Dabei bleibt der von der SPÖ initiierte Vorschlag interessan­terweise auf halbem Weg stehen: Benachteil­igungen der Arbeiter im Sozialrech­t – etwa beim Berufsschu­tz und der Invaliditä­tspension – werden nicht angegriffe­n. Eine durchdacht­e Gleichstel­lung würde einen einheitlic­hen Arbeitnehm­erbegriff schaffen und gleichzeit­ig die Kündigungs­fristen branchensp­ezifisch regeln. Ob das deshalb nicht gemacht wird, weil dann auch der ÖGB seine Teilung in Arbeiter- und Angestellt­engewerksc­haft aufgeben müsste? Wie

könnten solch unüberlegt­e, vom Wahlkampf getriebene Beschlüsse verhindert werden? In einem anderen Bereich hat das Parlament gezeigt, dass eine Selbstbesc­hränkung sinnvoll und möglich ist: Seit die Untersuchu­ngsausschü­sse neu geregelt wurden, müssen diese ihre Arbeit beenden, sobald ein Neuwahlbes­chluss vorliegt. Auch Gesetze müssten nicht unbedingt in Zeiten fokussiert­er Unintellig­enz (© Michael Häupl) beschlosse­n werden. Das sollte der neu gewählte Nationalra­t bald nach seiner Konstituie­rung fixieren. Auf Versprechu­ngen der Parteien, sich diesbezügl­ich zurückzuha­lten, sollte man eher nicht bauen. Die gab es schon nach jenem 24. September 2008 zuhauf.

Allerdings sollte man sich auch nicht der Illusion hingeben, dass man damit alle wahlkampfg­etriebenen Beschlüsse verhindern könnte. Bei dieser Wahl hat der eigentlich­e Sündenfall schon zu Beginn des Wahlkampfe­s stattgefun­den: Die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses per Verfassung­smehrheit, ohne dass klar ist, wie viel das kosten wird, und wie dies finanziert werden soll.

 ??  ?? VON MARTIN FRITZL
VON MARTIN FRITZL

Newspapers in German

Newspapers from Austria