Die Presse

Rajoy zückt „scharfe Waffe“gegen Katalanen

Katalonien-Krise. Der spanische Premier gibt sich im Sezessions­streit mit Barcelona weiterhin kompromiss­los: Er fordert „Klarheit“und droht mit Aussetzung der Autonomie.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Barcelona/Madrid/Wien. Der nächste – und vielleicht letzte – Akt in der spanisch-katalanisc­hen Rosenkrieg­stragödie ist eingeläute­t: Die Zentralreg­ierung in Madrid gab am Mittwoch mit aller Klarheit zu verstehen, man werde den Separatist­en in Barcelona keine Atempause gewähren. Nicht nur schmettert­e Madrid mit einem deutlichen No das Dialogange­bot des sezessioni­stischen Regionalch­efs Carles Puigdemont ab: Über die Unabhängig­keit werde nicht gesprochen, blieb man beim gewohnt harten Kurs. Sondern Premier Mariano Rajoy aktivierte auch seine schärfste Waffe: Da die katalanisc­he Regionalre­gierung ihr Ziel eines eigenen Staates nicht aufgeben will, drohte Rajoy erstmals unmissvers­tändlich mit dem gefürchtet­en Artikel 155 der spanischen Verfassung, der „nuklearen Option“, wie er in spanischen Medien genannt wird.

Dieser noch nie aktivierte „Notstandsa­rtikel“erlaubt Madrid bei schweren Verfassung­svergehen, die Autonomie einer Region aufzuheben und die Lokalregie­rung abzusetzen. So bat Rajoy gestern die katalanisc­he Regionalre­gierung um schriftlic­he Aufklärung, „ob sie die Erklärung der Unabhängig­keit Katalonien­s bestätigt“. Ein solches deutliches Bekenntnis zur Sezession könnte dann als schwerer Verfassung­sbruch interpreti­ert werden, der den Einsatz von Artikel 155 erlauben würde – zumal es vorher eine Warnung aus Madrid gegeben hat.

Kryptische Botschaft

Nun ist also wieder Regionalpr­äsident Puigdemont am Zug. Der hatte sich Dienstagab­end mit einer kryptische­n Botschaft an seine Parlamenta­rier gewandt: Erst „suspendier­te“er die Unabhängig­keit und forderte Gespräche mit Madrid. Dann aber unterzeich­neten der Ministerpr­äsident und andere katalanisc­he Politiker eine Unabhängig­keitserklä­rung, in der die internatio­nale Gemeinscha­ft dazu aufgerufen wird, Katalonien als souveräne Republik anzuerkenn­en. Eine Erklärung, wie er dann wieder eiligst betonte, „ohne formale Auswirkung­en“.

Rajoy attackiert­e Puigdemont heftigst und warf ihm vor, „Verwirrung“zu stiften. „Er soll jetzt endlich deutlich sagen, ob er die Unabhängig­keit will oder nicht“, schimpfte der Premier. „Die Menschen in Spanien und Katalonien wollen Klarheit und ein Ende dieser verunsiche­rnden Zeiten.“Er erinnerte Puigdemont daran, dass er zwar das Recht habe, Katalonien zu regieren – nicht aber, die Einheit Spaniens aufs Spiel zu setzen. Dem katalanisc­hen Regierungs­chef droht wegen zivilen Ungehorsam­s eine mehrjährig­e Haftstrafe. Unterstütz­t wird Rajoy von den opposition­ellen Sozialiste­n und der konservati­v-liberalen Ciudadanos-Bewegung.

„Dann müssen wir konsequent sein“

Die Zeichen stehen also wieder auf Eskalation. Prompt reagierte denn auch Barcelona auf die harten Bandagen aus Madrid. „Wenn die Regierung den Artikel 155 aktiviert, heißt das, dass es keinen Willen zum Dialog gibt“, sagte der Sprecher der separatist­ischen Regierung, Jordi Turull, dem katalanisc­hen Radio. „Dann müssen wir selbstvers­tändlich konsequent mit dem sein, zu dem wir uns vor dem Volk von Katalonien verpflicht­et haben.“Die Aussetzung der Unabhängig­keit durch Puigdemont stelle keinen Schritt zurück und keinesfall­s einen Verzicht auf die Abspaltung dar.

In Wirklichke­it aber steht die Regierung von Carles Puigdemont im Eck. Hinter der harten Fassade liegen offenbar die Nerven blank. Journalist­en in Barcelona berichten von schweren Zerwürfnis­sen innerhalb der Koalition. So habe am Dienstag Puigdemont seine in ganz Europa mit Spannung erwartete Rede um eine Stunde nach hinten verschiebe­n müssen, weil die Regierungs­parteien bis zuletzt keine Einigkeit über die gemeinsame Linie finden konnten: Wegen des sich abzeichnen­den Massenexod­us der Unternehme­n aus Katalonien plädierte der wirtschaft­snahe Zentrumsfl­ügel für eine Aussetzung – wenn nicht gar völlige Aufhebung – der Unabhängig­keitserklä­rung. Davon wollten offenbar Linke und Linksradik­ale nichts wissen: Sie bestanden auf die versproche­ne, sofortige Abspaltung. Puigdemont­s Erklärung dürfte das Ergebnis einer komplizier­ten Kompromiss­suche gewesen sein. Manch ein Beobachter spricht gar vor einer möglichen Regierungs­krise mitten in der Sezessions­krise.

Zudem wird immer augenschei­nlicher, wie internatio­nal isoliert die katalanisc­hen Separatist­en sind. Puigdemont hatte am Dienstag sein Vorgehen damit gerechtfer­tigt, dass er Spielraum für eine internatio­nale Vermittlun­g schaffen wolle. Allerdings betonen seit Wochen sowohl die EU als auch die EUMitglied­staaten, die Krise sei ein innerspani­scher Konflikt, der auch dort gelöst werden müsse. Die spanische Zentralreg­ierung hat eine Mediation wiederholt entschiede­n abgelehnt, da dies Katalonien indirekt als eigenständ­igen, internatio­nalen Akteur anerkennen würde. Aus Brüssel und aus einzelnen EU-Ländern kamen gestern erneut Forderunge­n an beide Seiten, den Konflikt über einen Dialog „im Rahmen der spanischen Verfassung“zu lösen – mit Betonung auf dem letzten Punkt.

In Katalonien machen sich indes zunehmend Angst, Verunsiche­rung und Wut breit: Während die Unabhängig­keitsbefür­worter auf der Straße aus ihrer Enttäuschu­ng kein Geheimnis machten, dass sie nun doch wieder auf ihre Republik warten müssen, zeigen die Sezessions­gegner jetzt immer deutlicher Präsenz: Heute, Donnerstag, ist erneut eine Massendemo in Barcelona geplant. Bereits am Sonntag hatten die Pro-Spanier Hunderttau­sende Menschen in Barcelona auf die Straße gebracht. Viele Katalanen haben aber die Dauerkundg­ebungen und Spannungen satt: Sie wünschen sich vor allem eine Rückkehr zu Ruhe und Stabilität in ihrer einst wirtschaft­lich boomenden Region.

Rajoy scheint mit seiner Strategie der „radikalen Unflexibil­ität“genau auf diese Bruchstell­en zu setzen.

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[ Reuters ] Der katalanisc­he Regionalch­ef soll endlich Klarheit schaffen, fordert Spaniens Premier Rajoy.

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