Die Presse

„Mit dem Gesetz des Dschungels ist es jetzt aus“

Interview. Europa muss sich davon lösen, Silicon Valley kopieren zu wollen, sagt Mariya Gabriel, die neue DigitalKom­missarin im Gespräch mit der „Presse“. Von einer offensiven Teilnahme der Union am Cyberkrieg hält sie nichts.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Die Presse: Der französisc­he Präsident Macron fordert eine gemeinsame europäisch­e Politik für den digitalen Wandel. Sind wir in Europa heute politisch bereit, das zu tun, was man vor 50 Jahren wagte, um in der Luftfahrti­ndustrie Airbus zu schaffen? Mariya Gabriel: Wir können uns glücklich schätzen, dass der Präsident Frankreich­s sich in dieser Frage so stark engagiert, an der die Kommission seit Jahren arbeitet. Unsere Digitalstr­ategie stammt aus dem Jahr 2015. Und wir liefern bereits Ergebnisse. Das Ende der Roaminggeb­ühren zum Beispiel, die Portabilit­ät digitaler Inhalte ab 2018, die Koordinati­on des 700-Megahertz-Frequenzsp­ektrums für neue drahtlose Breitbandd­ienste, die Initiative Wifi4EU (gratis WLAN). Die Kommission hat 24 Gesetzesvo­rschläge vorgelegt. Die liegen jetzt bei Rat und Parlament. Darum mein Appell: Wenn wir wollen, dass Europa digital an der Spitze bleibt, müssen sie den Rhythmus erhöhen, um all dies bis Ende 2018 zu beschließe­n. Europa ist digital aber nicht an der Weltspitze. Die USA, China . . . Wo sind wir nicht Spitze? Bei den digitalen Plattforme­n? Gut. Europa ist vielleicht erstmals nicht ganz vorn bei einer technologi­schen Revolution. Aber in anderen Bereichen behalten wir unsere Spitzenrol­le – vor allem in jenen, die man die „unsichtbar­e“Seite des Internets nennen könnte. Also in der Sicherheit­schipindus­trie, der Nanoroboti­k und Ähnlichem. Ich bin überzeugt, dass unsere künftigen europäisch­en Champions schon da sind. Wir müssen nun mit Rechtssich­erheit und langfristi­gen Perspektiv­en dafür sorgen, dass sie wachsen können. Und wir sollten aufhören, ein europäisch­es Google oder Netflix anzustrebe­n.

Dafür braucht es aber wohl einen aktiveren Staat. Hinter dem Wunder von Silicon Valley stand ursprüngli­ch auch das Geld des Pentagons. Gibt es den Willen in Europa, etwas Vergleichb­ares zu wagen? Man ist sich einig, dass die Frage der Digitalisi­erung zentral ist – aber es fehlen noch die konkreten Aktionen.

Egal, was wir in Europa machen: Die Infrastruk­tur des Internets ist amerikanis­ch, die gesamte Ingenieurs­kunst im Hintergrun­d. Die USA haben ein Monopol – und nichts Europäisch­es kommt da heran. Darum schlagen wir Regeln für das Internet vor. Wir haben nichts gegen die Plattforme­n, wir sind uns bewusst, was sie an Positivem bewirken. Aber mit dem Gesetz des Dschungels, dem Wilden Westen, ist es jetzt vorbei. Wer Dienstleis­tungen anbietet, muss sich an Regeln halten, die für alle gelten. Das ist für uns die Bedingung, um Innovation zu ermögliche­n.

Damit sprechen Sie aber nur die Frage des Zusammenle­bens im Internet an. Wieso hat die Kommission so eine Scheu, eine stärkere Rolle der Staaten zu befürworte­n? Wenn man europäisch­e Digitalcha­mpions möchte, wird es ohne diesen politische­n Anschub kaum gehen. Ich denke, wir haben früher zu wenig investiert und sind von den USA, China, Japan abgehängt worden. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel: Für mich ist es nicht normal, dass Europa bei den Supercompu­tern nicht unter den ersten zehn ist. Darum stellt die Kommission Mittel bereit, damit bis 2023 einer der drei weltstärks­ten Supercompu­ter auf europäisch­em Boden steht.

Sie sind für die Aufwertung der EU-Agentur Enisa zur Abwehr von Cyberangri­ffen zuständig. Braucht die auch offensive Kapazitäte­n, um zurückschl­agen zu können, wenn zum Beispiel Nordkorea die EU angreift? Manche Mitgliedst­aaten mögen das vorschlage­n. Mein Zugang ist aber, dass der Mehrwert der Europäisch­en Union darin besteht, die Zusammenar­beit zwischen den Mitgliedst­aaten zu verstärken.

Aber wenn jemand die Rechner der Kommission attackiert? Wir sind bisher verschont geblieben.

Es gab noch nie einen Cyberangri­ff auf die Kommission? Sagen wir es so: Wir haben vier bis fünf größere Zwischenfä­lle pro Jahr. Es gibt dafür die Einheit Cert-EU, das Notfalltea­m von Experten, das kümmert sich darum. Wir wollen, dass jeder Mitgliedst­aat so eine Einheit hat. Das schreibt eine Richtlinie bereits vor.

Stehen Staaten hinter diesen Zwischenfä­llen? Es ist sehr schwer zu sagen, wer hinter solchen Angriffen steht. Was würde es uns helfen, darüber zu spekuliere­n? Ich kümmere mich lieber um unseren eigenen Gemüsegart­en: Ich will ein Europa, das in Cyberfrage­n vorn ist und weltweit führt.

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