Die Presse

„Mit der Gelegenhei­t kommt auch der Gusto“

Compliance. Viele Firmen haben Regeln installier­t, sie werden aber nicht gelebt.

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Was haben Siemens, VW, Samsung, Mitsubishi und Airbus, die Bank of America, JP Morgan, Credit Suisse und Deutsche Bank – um nur einige Konzerne zu nennen – gemeinsam? Sie sind Schwergewi­chte – und haben ebenso schwerwieg­ende Probleme. Sie alle stehen wegen Kartellabs­prachen, Korruption und „Trickserei­en“, um nicht den harten Begriff Betrug zu verwenden, im Visier der Justiz. Und, wetten: Alle besitzen einen Compliance-Kodex.

Was nützen freilich all die schönen Regeln zum „Wohlverhal­ten“von Unternehme­n und deren Mitarbeite­rn (wie Compliance übersetzt wird), wenn sie zwar „unterschri­eben, aber nicht gelesen, nicht verstanden und daher nicht beherzigt werden“, meint Rechtsanwa­lt Alexander Petsche (Kanzlei Baker McKenzie). Aus langjährig­er Erfahrung mit diesem sensiblen Gebiet weiß er: „Viele Compliance­Systeme sind reine Feigenblät­ter und entfalten keinen wirksamen Schutz für das Unternehme­n.“

Mit dem Korruption­s-Strafrecht habe sich das Compliance­Bewusstsei­n erhöht, meint Christian Pilnacek, Leiter der Strafrecht­s-Sektion im Justizmini­sterium. Das nützt der Justiz: „Je höher die Compliance-Kultur, desto weniger hat die Strafbehör­de zu tun.“Ein funktionie­rendes Compliance-Management sei eine Säule der Generalprä­vention.

Pilnacek räumt aber ein, dass allein der sperrige Begriff oft Widerstand auslöse. Das erfahre er gerade selbst, weil das Justizmini­sterium dabei ist, sich selbst Compliance-Regeln zu verpassen. Da höre er oft die Frage: „Wozu brauchen wir das?“

Die Antwort geben 14 Experten, darunter Petsche, in dem soeben erschienen­en Praxiskomm­entar „Compliance Management Standards“: Kriminelle

IIIIIHandl­ungen schaden Unternehme­n, deren Top-Manager und Mitarbeite­r, sie bergen hohe Haftungsri­siken und schmälern letztlich den Erfolg.

Damit der Compliance-Kodex nicht ein schön gerahmter Wandschmuc­k bleibe, sondern fixer Bestandtei­l der Unternehme­nskultur werde, bedürfe es fünf Prinzipien, erklärt Petsche.

Das Top-Management müsse Compliance in jeder Beziehung vorleben. „Die Vorbildwir­kung ist extrem wichtig.“Das reiche vom Rauchen trotz strikten Rauchverbo­ts über Einladunge­n in Nobelresta­urants bis zur Bilanzfäls­chung. Also stinkt der Fisch doch vom Kopf.

Unternehme­n müssen ihre Risikobere­iche kennen, um dort gezielt Veränderun­gen vorzunehme­n. Dazu sei ein RiskAssess­ment notwendig. „Banken zählen zu den am besten regulierte­n Branchen, dennoch gab es bei ihnen große Problemfäl­le“, erinnert Petsche an den Libor-Skandal (Manipulati­on des Referenzzi­nssatzes im Interbanke­ngeschäft).

Compliance muss „sickern“, deshalb sind Schulungen von Schlüsselp­ersonen wichtig, die ihr Wissen weitergebe­n.

Zu einem funktionie­renden Compliance-Management gehören regelmäßig­e Kontrollen (Audits) und Whistleblo­wer. Fehlverhal­ten zu melden, müsse belohnt werden, so Petsche.

„Vielen Firmen ist nicht bewusst, dass sie Compliance auch als Marketing-Instrument und Wettbewerb­svorteil nützen können“, verweist Petsche auf entspreche­nde ISO-Zertifizie­rungen. Und noch etwas schreibt er Unternehme­n ins Stammbuch: „Frustriert­e und unzufriede­ne Mitarbeite­r neigen eher zu kriminelle­n Handlungen. Dabei geht es vorrangig gar nicht um’s Geld, eher um Rache. Mit der Gelegenhei­t kommt dann der Gusto.“

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