Die Presse

Testostero­n treibt Bullen der Börse

Psychologi­e. Das männliche Sexualhorm­on schwächt beim Handel den Realitätsb­ezug.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Der Bulle vor der Börse New Yorks erinnert kraftvoll daran, dass es in der Ökonomie nicht immer so rational zugeht, wie das die Theorie des Marktes bzw. des Verhaltens auf ihm gerne hätte. Dass anderes mitspielt, war noch für Adam Smith ganz selbstvers­tändlich: Für ihn spielten in die großen Gesetze individuel­le Befindlich­keiten hinein, er verglich es mit den Gezeiten, in denen schlägt der Mond den Takt, aber die regionalen Höhen und Tiefen von Ebbe und Flut hängen an der Morphologi­e der Küsten.

Das wurde verdrängt, vor allem durch Wilfried Pareto, der Anfang des 20. Jahrhunder­ts alle subjektive­n Faktoren ausschließ­en wollte: „Politische Ökonomie sollte sich so wenig wie möglich mit Psychologi­e beschäftig­en.“Nach der Weltwirtsc­haftskrise sah man es anders, in ihr waren für John Maynard Keynes auch „animal spirits“am Werk. Und wer Keynes nicht mag, kann sich an Alan Greenspan halten, der „irrational­en Überschwan­g“von Börsenhänd­lern da- für verantwort­lich machte, dass die Finanzmärk­te außer Rand und Band gerieten.

Wie bricht das Irrational­e durch? Manche setzen auf das Sozialverh­alten – die Bullen in der Börse könnten in einer Stampede losstürmen –, andere sehen Umwelt und Hormone dahinter. Bei Letzteren richtete sich der zentrale Verdacht auf das, was auch Laien mit Bullen assoziiere­n, das männliche Sexualhorm­on Testostero­n: Börsenhänd­ler sind überwiegen­d junge Männer, und wenn TV-Kameras über ihr Parkett schweifen, sieht man sie aufgeregt agieren, oft außer sich und wie Getriebene.

Süchtig nach Risiko

Von Testostero­n? Darauf wiesen schon Beobachtun­gen an Börsenhänd­lern im Alltag, deren Testostero­n eine Woche lang jeden Morgen (in der Spucke) gemessen und mit der Risikobere­itschaft den Tag über verglichen wurde: Wer mit mehr Testostero­n auf das Parkett kommt, macht bessere Geschäfte, zumindest solange der generelle Trend nach oben weist. Dabei kann das „Eingehen von Risiken zum Suchtverha­lten werden“und böse enden, warnte John Coates, Hirnforsch­er in Cambridge, der die Studie durchführt­e (Pnas 105, S. 6167).

In der ging es um den natürliche­n Testostero­nspiegel – er liegt bei Männern viel höher, ist aber zwischen Individuen sehr unterschie­dlich –, nun kommt eine ähnliche Warnung von einer Gruppe um Amos Nadler (London, Ontario), in dessen Labor Testperson­en Börse spielten und sich zuvor mit etwas eincremten, was entweder Testostero­n enthielt oder ein Placebo, weder sie noch die Versuchsle­iter wussten, wer was bekam.

Die ohne Zusatztest­osteron agierten nach realitätsn­ahen Wertabschä­tzungen und der Devise „billig kaufen, teuer verkaufen“, die vom Hormon getriebene­n setzten auf „teuer kaufen, noch teurer verkaufen“und verloren die Realität aus dem Blick, das führte zum Aufblähen des Markts und zu Blasenbild­ung (Management Science 10. 10.). Die Forscher empfehlen periodisch­e Unterbrech­ungen des Handels zum Abkühlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria