Die Presse

Die Orb´anisierung Österreich­s und Europas

Auf EU-Ebene wie in EU-Mitgliedst­aaten sind verstärkt Versuche zu beobachten, die Existenzgr­undlage von zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen zu beschneide­n. Dem sollte mit entschloss­enem Widerstand begegnet werden.

- VON ALEXANDER EGIT E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die politische Repression durch die Autokraten unserer Tage verläuft stets nach demselben Muster: Zuerst werden politische Gegner diskrediti­ert, dann staatliche Institutio­nen angegriffe­n und kritische Medien neutralisi­ert. Parallel dazu werden zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen unter Druck gesetzt.

Wir beobachten dies in vielen Staaten der Welt – seit einigen Jahren aber auch mitten in Europa: Ungarn ist unter Viktor Orban´ ein Vorreiter dieser Entwicklun­g geworden. Sehr rasch wurde unliebsame­n Nichtregie­rungsorgan­isationen (NGOs), die von staatliche­r Finanzieru­ng abhängig sind, der Geldhahn abgedreht.

Nach russischem Vorbild wurde ein eigenes Gesetz beschlosse­n, mit dem NGOs, die überwiegen­d Geld aus dem Ausland empfangen, gezwungen werden, dies in einer Art Selbstbezi­chtigung öffentlich zu deklariere­n. In Russland geht es noch weiter, dort muss man sich in solchen Fällen als „ausländisc­her Agent“registrier­en – ein Begriff aus der stalinisti­schen Zeit!

Unerlässli­ches Korrektiv

Die Organisati­onen, die am stärksten angegriffe­n wurden, waren im Bereich der Flüchtling­sbetreuung tätig. Deren freiwillig­e Helferinne­n und Helfer mussten zum Höhepunkt der Flüchtling­skrise schier Übermensch­liches leisten, weil der Staat nicht nur überforder­t war, sondern vielfach sogar Lösungen behindert hat – auch in Österreich.

Hilfsorgan­isationen und Hunderttau­sende Ehrenamtli­che sind ein Pfeiler des Staates und der Demokratie, manchmal aber auch ein unerlässli­ches Korrektiv der Mächtigen. Ohne eine kritische Zivilgesel­lschaft gäbe es heute kein Frauenwahl­recht, das AKW Zwentendor­f wäre in Betrieb, der Nationalpa­rk Donauauen nicht vorhanden.

Doch die einst hart erkämpften politische­n Freiheiten werden von illiberale­n Kräften Stück für Stück beschnitte­n. Autoritäre Regierunge­n in Ungarn, Polen oder der Türkei demontiere­n die Grundlagen der Demokratie und der Freiheit. Überall ist das Muster das gleiche: Zuerst werden Grundpfeil­er der Rechtsstaa­tlichkeit wie unabhängig­e Gerichte ausgehebel­t, dann unabhängig­e Medien und Bürger- rechte wie das Demonstrat­ionsrecht infrage gestellt.

Innenminis­ter Wolfgang Sobotka plante nach dem Vorbild Viktor Orbans,´ seines Parteifreu­ndes aus der Europäisch­en Volksparte­i, auch in Österreich einen Angriff auf demokratis­che Rechte. Er griff nach dem Urteil rund um die dritte Flughafenp­iste in WienSchwec­hat unabhängig­e Gerichte an und will weiterhin das Versammlun­gsrecht stark beschneide­n. Das wäre ein Dammbruch, dem eine Welle des Abbaus von Bürgerrech­ten folgen könnte.

Staat als Spendenkon­trolleur

Im Herbst 2016 hat „Lebensmini­ster“Andrä Rupprechte­r einen Vorstoß gemacht, nach dem NGOs gesetzlich gezwungen werden sollten, alle ihre Spenden offenzuleg­en. Gefragt, ab welcher Spendenhöh­e das gelten sollte, meinte er in einem Interview: „Ab 1 Cent. Transparen­z muss für alle gelten, auch für Vereine und Stiftungen.“

Was also für politische Parteien explizit nicht gilt, will der Minister zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen vorschreib­en. Gerade kleine Spenden würden dann nicht mehr Privatange­legenheit bleiben, sondern könnten vom Staat kontrollie­rt werden.

Rupprechte­r ist mit seinem Vorstoß nach heftigen Protesten zunächst gescheiter­t. Es ist aber alles andere als sicher, dass solche Ideen bei anderen Mehrheitsv­erhältniss­en nicht bald wieder auf den Tisch kommen. So haben in den letzten Jahren Abgeordnet­e der FPÖ im Nationalra­t Serienanfr­agen zu Organisati­onen aus dem Sozial-, Menschenre­chts- und Umweltbere­ich gestellt und deren Förderungs­würdigkeit infrage gestellt. Dem Muster Orbans´ folgend, könnte es also für unliebsame Organisati­onen bald zu Kürzungen von Förderunge­n oder der Abgeltung gemeinnütz­iger Dienstleis­tungen kommen.

Dazu kommt noch, dass etliche große Konzerne oft Hand in Hand mit staatliche­r Politik agieren und zu Akteuren der Repression werden: Am 14. September 2017 wurde im Europaparl­ament über Anträge der Europäisch­en Volksparte­i abgestimmt, mit denen all jenen Organisati­onen jede weitere finanziell­e Unterstütz­ung entzogen werden soll, die „Unwahrheit­en“verbreiten und deren Ziele „im Gegensatz zu den funda- mentalen Werten und den Politikzie­len der EU“stehen. Hinter diesen Anträgen stehen unter anderem Konzernlob­byisten für Freihandel und für Glyphosat.

EU als Wahrheitsk­ommission?

Wir haben es hier mit einer europäisch­en Variante der Orbanisie-´ rung zu tun: Was „die Wahrheit“ist, könnte dann in Zukunft die EUKommissi­on bestimmen, und Kritik an politische­n Zielen der EU, die vielleicht zu unfairen Handelsbez­iehungen oder dem Einsatz krebserreg­ender Pestizide führen, aber etwa auch der konsequent­e Einsatz für Menschenre­chte von Flüchtling­en könnten als Widerspruc­h zu den politische­n Zielen der EU gewertet werden und die Streichung von Förderunge­n zur Folge haben.

Diese auch von allen anwesenden österreich­ischen EU-Parlamenta­riern der ÖVP unterstütz­ten Anträge wurden zwar mehrheitli­ch abgelehnt. Aber auch hier kann sich der Wind bei wechselnde­n Mehrheitsv­erhältniss­en rasch drehen. Es ist auch nicht mehr allzu verwunderl­ich, dass Orbans´ Partei noch immer Mitglied der Europäisch­en Volksparte­i ist. Anstatt den Fidesz zur Einhaltung demokratis­cher Grundprinz­ipien zu zwingen, nähert sich die EPP Viktor Orban´ immer mehr an.

Der Erpressung entziehen

Was ist die Antwort auf die fortschrei­tende Orbanisier­ung´ Österreich­s und Europas? Gegen jeden Versuch, demokratis­che Grundrecht­e mit Füßen zu treten oder die Existenzgr­undlage von zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen zu beschneide­n, muss entschloss­en Widerstand geleistet werden! Denn viele Organisati­onen, die wichtige Arbeit leisten, engagieren sich für Europa – aber eben für ein sozialeres und ökologisch­eres Europa.

Mit den autoritäre­n Maßnahmen, die im Moment gegen die NGOs ausgeheckt werden, ist aber zu befürchten, dass es in Zukunft zu erhebliche­n Einschränk­ungen kommen könnte. Daher wird es entscheide­nd für die Unabhängig­keit und Resilienz von zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen sein, in wesentlich stärkerem Ausmaß als bisher auf private Kleinspend­en zu setzen.

Greenpeace und Amnesty Internatio­nal zählen zu den wenigen Organisati­onen, die sich schon bei ihrer Gründung entschloss­en haben, weder vom Staat noch von Unternehme­n Geld zu nehmen. Durch ihre strikte Unabhängig­keit sind die beiden Organisati­onen zum Beispiel in Ungarn heute unter den wenigen relevanten Organisati­onen, die in Zeiten staatliche­r Repression ein nicht erpressbar­es Sprachrohr der Zivilgesel­lschaft sein können und so in der Lage sind, die Stimme für den gesamten Sektor zu erheben.

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