Die Presse

Eine Sitzung, 470 Millionen Euro

Gesetze. Im Parlament gab es vier Tage vor der Nationalra­tswahl Wahlkampf pur. SPÖ, FPÖ und Grüne brachten eine Reihe von Gesetzen mit teilweise erhebliche­n finanziell­en Auswirkung­en durch.

- VON MARTIN FRITZL

Wien. Der Bundeskanz­ler stellte sich selbst in den Mittelpunk­t. Christian Kern gab am Donnerstag bei der Nationalra­tssitzung eine Erklärung ab. Das ist an sich nicht ungewöhnli­ch, die Geschäftso­rdnung räumt dem Regierungs­chef diese Möglichkei­t ein. Allerdings: Es gab kein konkretes Projekt, das der Kanzler vorstellen wollte. Der SPÖ-Chef sprach siebeneinh­alb Minuten lang über die politische Kultur und über die Verantwort­ung, die die Politik für das Land hätte. Wahlkampf pur also von der Regierungs­bank aus.

Die anderen Parteien griffen den Ball dankbar auf und schossen scharf in Richtung Kanzlerpar­tei. „Der Witz des Tages“sei es, dass ausgerechn­et Kern von Verantwort­ung spreche, während seine Partei Dirty Campaignin­g auf Kosten der Steuerzahl­er betrieben habe, sagte FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache. Der angesichts von Kern sogar Werner Faymann „ein paar Tränen nachweinen“wollte. ÖVP-Sozialspre­cher August Wöginger spottete, dass der SPÖChef besser eine Wahlkampfr­ede auf dem Viktor-Adler-Markt hätte halten sollen. Und in Sachen Dirty Campaignin­g solle er vor der eigenen Tür kehren. Und Grünen-Klubchef Albert Steinhause­r stellte fest, dass die drei großen Parteien für den Wahlkampfs­umpf verantwort­lich seien.

Dass der Bundeskanz­ler der Debatte über seine eigene Erklärung nicht lauschen wollte und sich von seiner Staatssekr­etärin, Muna Duzdar, vertreten ließ, kam bei den anderen Fraktionen gar nicht gut an: Alle vier Parteien beschlosse­n, dass Kern umgehend wieder im Redoutensa­al der Hofburg – dem Ausweichqu­artier des Parlaments – zu erscheinen habe. Selbst einzelne SPÖ-Mandatare stimmten da mit.

SPÖ, FPÖ und Grüne einig

Eine ganz andere Koalition bildete sich, als es um die Gesetzesbe­schlüsse ging. Da machten Freiheitli­che und Grüne mit den von ihnen bekämpften Sozialdemo­kraten sehr wohl gemeinsame Sache. Die Volksparte­i dagegen konnte oder wollte die Vorwahlsit­zung ohne Koalitions­zwang nicht dazu nutzen, eigene Anliegen durchzuset­zen. Versucht hat das die ÖVP nur beim Thema „Schuldenbr­emse in der Verfassung“– die kam allerdings mangels Verfassung­smehrheit nicht zustande. So konnte GrünenKlub­chef Steinhause­r frohlocken: Die ÖVP sei in den vergangene­n 31 Jahren im Parlament nur selten überstimmt worden – in dieser Sitzung aber gleich sechs Mal.

SPÖ, FPÖ und Grüne stimmten einer Reihe von Gesetzen zu, die nach Angaben der Antragsste­ller Gesamtkost­en von mindestens 470 Millionen Euro verursache­n werden. Allein 160 Millionen Euro macht die Änderung bei der Notstandsh­ilfe aus: Die Anrechnung des Partnerein­kommens wird gestrichen. Bisher sind vor allem viele Frauen um die Notstandsh­ilfe umgefallen, weil ihr Partner zu viel verdiente. 50 Millionen Euro kostet die Übernahme der Internatsk­osten von Lehrlingen durch den Insolvenza­usgleichfo­nds. 45 Millionen die Verdoppelu­ng der Arbeitsmar­ktmittel für Behinderte. Von einem breiten Konsens getragen wurde die Pensionser­höhung über der Inflations­rate. Die Kosten: 136 Millionen Euro. Die Gesamtsumm­e von 470 Millionen Euro wird sich noch erhöhen: Für die Abschaffun­g der Mietvertra­gsgebühr gibt es noch keine Kostenschä­tzung. Auch das Finanzmini­sterium wollte sich dazu noch nicht äußern.

Keine Unterhalts­reform

Nicht fixiert wurde die viel diskutiert­e Unterhalts­reform, also der Unterhalts­zuschuss für Alleinerzi­eher. Das Vorhaben, auf das sich die Parteichef­s im Zuge einer Puls4-Diskussion geeinigt hatten, schaffte es nicht auf die Tagesordnu­ng. SPÖ, ÖVP und FPÖ hatten unterschie­dliche Vorstellun­gen, wie das Vorhaben umgesetzt werden soll. Und so hat am Donnerstag nicht einmal einer der drei unterschie­dlichen Entschließ­ungsanträg­e – in diesen wird die Regierung aufgeforde­rt, eine Lösung zu finden – eine Mehrheit bekommen.

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