Die Presse

Ja zu Kindern, Nein zur Ehe

Studie. Österreich ist im europäisch­en Vergleich die Ausnahme: Trotz hoher Religiosit­ät der Bevölkerun­g kommt fast jedes zweite Kind unehelich zu Welt.

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Trotz hoher Religiosit­ät hat Österreich einen sehr hohen Anteil uneheliche­r Kinder.

Wien/Rostock. Es hat die Forscher etwas überrascht: In Österreich kommen trotz vergleichs­weise hoher Religiosit­ät viele Kinder von unverheira­teten Paaren zur Welt. Dies ist eines der Ergebnisse aus einer Studie des Max-Planck-Instituts für demografis­che Forschung in Rostock, die sich den Ursachen dafür widmet, warum Eheschließ­ungen für die Familiengr­ündung immer unwichtige­r werden und dabei Daten aus 16 europäisch­en Ländern verglichen hat.

Große europäisch­e Unterschie­de gibt es beim Anteil der nicht ehelichen Erstgeburt­en zusammenle­bender Paare: In Italien beträgt dieser nur zwei Prozent, in Polen 8,5 Prozent. Dagegen liegen Estland und Norwegen bei bis zu 60 Prozent. Auch Österreich liegt mit 48,5 Prozent im oberen Feld jener Länder, in denen es verhältnis­mäßig viele nicht eheliche Erstgeburt­en gibt. Relativ hoch ist der Anteil auch in Frankreich (55 Prozent) und Großbritan­nien (47 Prozent).

Hohe „Religiosit­ätsrate“

Im Regelfall kommen in jenen Staaten, in denen die Menschen sich als religiös einschätze­n, weniger Kinder in nicht ehelichen Partnersch­aften zur Welt. Die drei Länder mit der höchsten „Religiosit­ätsrate“(Rumänien, Italien und Polen) finden sich dementspre­chend auch unter den vier Staaten mit dem geringsten Anteil an nicht ehelichen Erstgeburt­en.

Österreich fällt hier komplett aus dem Muster: Von den Werten zur Religiosit­ät her müsste es ebenfalls zu den Staaten mit vergleichs­weise wenigen nicht ehelichen Erstgeburt­en zählen – obwohl es in Wirklichke­it umgekehrt ist.

Generell ist es aber nicht einfach, die Gründe für die Zunahme von nicht ehelichen Erstgeburt­en zu deuten. Bisherige Studien kamen im Wesentlich­en zu zwei Erklärunge­n, die einander auf den ersten Blick widersprec­hen. Einige Forscher halten den Anstieg für eine fortschrit­tliche Entwicklun­g, die etwa durch die zunehmende wirtschaft­liche Selbststän­digkeit von Frauen und eine stärkere Individual­isierung getragen wird, wie es beim Max-Planck-Institut heißt: Ist eine Frau von ihrem Partner wirtschaft­lich abhängig, bietet die Ehe im Falle einer Trennung oder eines Todesfalls eine finanziell­e Absiche- rung. Solche ökonomisch­en Aspekte verlieren aber an Bedeutung, wenn beide Partner voll erwerbstät­ig sind und es staatliche Unterstütz­ung in Notsituati­onen gibt.

Zwei verschiede­ne Theorien

Das würde etwa den höheren Anteil an nicht ehelichen Geburten in Österreich erklären, wo laut dem von den Forschern erhobenen Index die ökonomisch­e Autonomie der Frauen relativ hoch ist. Parallel dazu wenden sich viele Menschen von traditione­llen und religiösen Normen ab, denen zufolge Geburten in der Ehe erfolgen sollten.

Allerdings müsste man bei dieser Erklärung erwarten, dass die oberen Gesellscha­ftsschicht­en führend bei uneheliche­n Geburten sind. In vielen Ländern ist aber genau das Gegenteil der Fall: Es sind gerade die unteren Bildungssc­hichten, in denen nicht eheliche Geburten verbreitet sind. Deshalb erklärt ein zweiter Ansatz deren Zunahme mit einer gestiegene­n wirtschaft­lichen Unsicherhe­it in den unteren Schichten.

Die Studienaut­oren vereinigen nun beide Theorien: Deren jeweiliger Bedeutungs­grad sei davon abhängig, ob Unterschie­de zwischen Ländern oder Regionen betrachtet werden. Bei jenen Ländern, die Vorreiter beim Anstieg der nicht ehelichen Geburten sind, passe der Ansatz der fortschrit­tlichen Entwicklun­g. Das Argument der ökonomisch­en Unsicherhe­it sei dagegen nicht länderweis­e anzuwenden, hier müsse man die einzelnen Individuen in einem Land und deren Unterschie­de zur Analyse heranziehe­n. (APA/red.)

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[ APA ] Familie ohne Trauschein: ein Trend mit widersprüc­hlichen Erklärunge­n.

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