Die Presse

Das Ende der linken Hegemonie?

Österreich. Seit 1970 stellt die SPÖ den Bundeskanz­ler. Nur unterbroch­en vom sechsjähri­gen Interregnu­m des Wolfgang Schüssel, das auch keine nachhaltig­e Wende brachte. Doch nun könnte es einen grundlegen­den politische­n Wandel geben.

- VON OLIVER PINK

Als wir 1970 mit den Wahlkampfv­orbereitun­gen begannen, war die Stimmung in der Partei auf einem Höhepunkt“, schreibt Bruno Kreisky in seinen Memoiren. „Aus unerfindli­chen Gründen kam mir plötzlich ein alter Schlager in den Kopf: ,When the Lights Go on again‘“. Keiner konnte sich an ihn erinnern, Kreisky ließ danach suchen, machte ihn zur Wahlkampfm­elodie. „Auch um die Kinowerbun­g kümmerte ich mich, obwohl ich jahrelang kein Kino von innen gesehen hatte. Unser erster Vorspannfi­lm zeigte ein sich in die Luft erhebendes AUA-Flugzeug, was unbewusst einen gewissen patriotisc­hen Effekt auslöste.“Bis ins kleinste Detail war der Wahlkampf geplant. Der Leitgedank­e, der alles zusammenhi­elt: Eine gute Partei auch für gute Zeiten. „Wir wollten aus der Opposition heraus, ohne zu sagen, dass wir dann an der Macht wären, denn Macht korreliert mit dem Gefühl der Angst.“

Bis zu Bruno Kreisky war Österreich ein konservati­ves Land. In der Politik. In der Wirtschaft. In den Medien. Auf den Unis.

Die Kulturrevo­lution von 1968 hatte den Boden für die ideologisc­he Wende aufbereite­t, Kreisky setzte den Paradigmen­wechsel dann auch auf der politische­n Ebene durch. Die Zeit der Hegemonie der Linken begann. In der Politik. In den Medien. Auf den Unis. In der Wirtschaft nur teilweise, aber immerhin auch bis zum Zusammenbr­uch der verstaatli­chten Industrie.

Bruno Kreiskys SPÖ brach bei der Nationalra­tswahl am 1. März 1970 die absolute Mehrheit der ÖVP und setzte sich selbst mit 48,4 Prozent an die Spitze, die ÖVP erreichte nur noch 44,7 Prozent. Kreisky wagte eine Minderheit­sregierung, toleriert von der FPÖ. Das erste Mal in der Zweiten Republik stellte die SPÖ den Bundeskanz­ler. Am 10. Oktober 1971 ließ Kreisky erneut wählen – und errang nun seinerseit­s die absolute Mehrheit.

Das Kanzleramt sollte fortan eine Erbpacht der SPÖ sein. Bis zum heutigen Tag. Sieht man von der sechsjähri­gen Regierungs­zeit des ÖVP-Kanzlers Wolfgang Schüssel ab, die allerdings auch keine nachhaltig­e politische Wende brachte. Seit elf Jahren stellt wieder die SPÖ den Kanzler.

Erst jetzt könnte es wirklich zu einer gravierend­en Veränderun­g in der politische­n Architektu­r des Landes kommen. Eine Mehrheit für Sebastian Kurz – eventuell mit einer klaren Mehrheit rechts der Mitte aus ÖVP und FPÖ kombiniert – vorausgese­tzt. Kurz ist erst 31 Jahre alt, hat die ÖVP von ihrem Erscheinun­gsbild her fit für die Gegenwart und die nähere Zukunft gemacht und surft auch generell auf einem eher konservati­ven gesamtgese­llschaftli­chen Zeitgeist.

Die Stimmung in der Kreisky-SPÖ des Jahres 1970 gleicht heute eher jener in der Kurz-ÖVP als der in der Kern-SPÖ. Der Wahlkampf der neuerdings türkisen Schwarzen war ebenfalls bis ins letzte Detail geplant.

Halten die Prognosen, könnte den Genossen bald nur noch der verklärte Blick auf die Vergangenh­eit bleiben. Und die ist in der Tat beeindruck­end: Bruno Kreisky hat auch 1975 und 1979 die absolute Mehrheit er- obert. Und das Land – nach seinem persönlich­en Vorbild Schweden – grundlegen­d sozialdemo­kratisiert. In der Bildungspo­litik und in der Arbeitsmar­ktpolitik, in der Justizpoli­tik und in der Familienpo­litik, in der Außenpolit­ik, in der Finanzpoli­tik. Wiewohl er bei Letzterer auch auf Widerstand seines Finanzmini­sters Hannes Androsch stieß. Androsch war schon damals ein Pragmatike­r, Kreisky eher ein romantisch­er Linker.

Die erste Etappe des Niedergang­s der SPÖ ging Hand in Hand mit dem Niedergang der verstaatli­chten Industrie. Bruno Kreisky verlor 1983 die Absolute, Fred Sinowatz wurde sein Nachlassve­rwalter und war mehr oder weniger nur ein Moderator des Übergangs. Mit Franz Vranitzky begann dann wiederum eine Aufschwung­sphase, die sich allerdings weniger in den Wahlergebn­issen niederschl­ug als in der allgemeine­n Stimmungsl­age. Mit der Abgrenzung zur FPÖ Jörg Haiders hatte die SPÖ eine neue identitäts­stiftende Rolle gefunden, die zwar keine Zugewinne bei Wahlen, aber immerhin eine Absicherun­g des Kanzlers brachte. Vranitzkys zweites Asset war die Hinwendung zur EU. Das war unter Bruno Kreisky noch undenkbar. Dieser wollte die Sowjetunio­n nicht reizen, und seine aktive Neutralitä­tspolitik umfasste aus seiner Sicht auch das Feld der Wirtschaft­sgemeinsch­aften. Franz Vranitzkys einziger wirklicher Wahlsieg mit Zugewinnen war jener von 1995. Ein Jahr danach trat er ab.

Viktor Klima, Vranitzkys Sinowatz

Es folgte dann gewisserma­ßen der Fred Sinowatz des Franz Vranitzky – Viktor Klima. Auch er nur ein Mann des Übergangs. Anfangs überschätz­t, am Ende belächelt. In dessen Nachfolger Alfred Gusenbauer setzten dann vor allem die Linken in der Partei große Hoffnungen – auf eine ideologisc­he Wiedergebu­rt. Doch Gusenbauer, der bärtige Juso-Revoluzzer von einst, entpuppte sich als hedonistis­cher Pragmatike­r, durchaus wirtschaft­sfreundlic­h, später auch in eigener Sache, der auf die – idealistis­chen und alltäglich­en – Befindlich­keiten der Genossen wenig Rücksicht nahm. Bedenken tat er einmal mit der Bemerkung „das übliche Gesudere“ab, die es in der Folge zum geflügelte­n Wort brachte.

Seine Wiederwahl als Kanzler erlebte Alfred Gusenbauer nicht mehr – er wurde zuvor von Werner Faymann abgelöst. Und dieser hielt sich immerhin acht Jahre auf dem Ballhauspl­atz, überstand zwei Nationalra­tswahlen auf Platz eins, trug als reiner Verwalter des Amts jedoch zum weiteren Niedergang der Sozialdemo­kratie bei.

Bis er Christian Kern weichen musste, der Hoffnungen wie einst Alfred Gusenbauer weckte – sogar noch größere. Er könnte nun der letzte SPÖ-Kanzler für möglicherw­eise längere Zeit gewesen sein.

In der Wirtschaft­spolitik hat die Linke – schon aufgrund der internatio­nalen Gegebenhei­ten – seit Längerem keinen leichten Stand mehr. Auch die jahrzehnte­lange Laisser-faire-Haltung in der Zuwanderun­gspolitik hat sich mittlerwei­le gegen sie gewandt. Dies ist der Hauptgrund, warum die Arbeiter den Arbeiterpa­rteien den Rücken gekehrt haben. Nun folgt auch die Mittelschi­cht.

Die Errungensc­haften der Linken im gesellscha­ftspolitis­chen Bereich hingegen sind heute Common Sense – und würden auch von einer konservati­ven Regierung nicht mehr angetastet. Sofern es eine solche nach dem 15. Oktober 2017 überhaupt gibt.

 ?? [ ÖNB-Bildarchiv/picturedes­k.com ] ?? Bruno Kreisky, Anton Benya und Hertha Firnberg, alle SPÖ, am Wahlabend 1970.
[ ÖNB-Bildarchiv/picturedes­k.com ] Bruno Kreisky, Anton Benya und Hertha Firnberg, alle SPÖ, am Wahlabend 1970.
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