Die Presse

Leitartike­l von Wolfgang Böhm

Nach der Wahl ist vor der Regierungs­bildung. Da könnte plötzlich ein Thema eine Rolle spielen, das in den vergangene­n Wochen unterbelic­htet war: die EU.

- E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

S o ganz unmöglich ist das nicht: Nach schwierige­n Koalitions­verhandlun­gen muss eines der gewichtige­n Ressorts der FPÖ überlassen werden. Die bisherige Regierungs­partei (SPÖ oder ÖVP), die nun mit den Freiheitli­chen koaliert, mochte nicht auf den Finanzmini­ster oder den Innenminis­ter verzichten. So wird der bisherige FPÖ-Europaabge­ordnete Harald Vilimsky – einer der wenigen in der Partei mit internatio­naler Erfahrung – Außenminis­ter. Was passiert? Er koordinier­t künftig die österreich­ische Europapoli­tik in Zeiten der EU-Ratspräsid­entschaft, kooperiert eng mit der EU-kritischen ungarische­n Regierung und fordert, wie es seine Partei in ihren Wahlprogra­mmen vorgegeben hat, die Aufhebung der RusslandSa­nktionen, die Einführung eines Nordeuro, die Rücknahme von Integratio­nsschritte­n des Maastricht- und LissabonVe­rtrags sowie naturgemäß einen völligen Zuwanderun­gsstopp.

Nun ist schon klar, dass die FPÖ nicht unbedingt dieses Ressort erhalten muss. Es ist auch nicht ausgemacht, dass es dann gerade der EU-kritische Vilimsky übernimmt. Aber die Frage stellt sich dennoch: Kann die FPÖ Europa?

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hat angekündig­t, dass er von jeder Regierungs­partei ein klares proeuropäi­sches Bekenntnis einfordern wird. Ganz offensicht­lich bereitet er sich auch schon auf das Szenario vor, dass die FPÖ, deren Minister er eigentlich nicht angeloben wollte, für die Bildung einer neuen Regierung unabdingli­ch wird. Um sein Gesicht zu wahren, dürfte er den Freiheitli­chen eine hohe Hürde vorlegen. Man kann gespannt sein, wie hoch.

Zwar hat das Europathem­a im Wahlkampf keine wesentlich­e Rolle gespielt. Jeder Bezug auf die EU wurde auf Zuwanderun­gsfragen reduziert. Und da ging es unter den drei größeren Parteien letztlich nur noch um mehr oder weniger populistis­che Varianten. Die FPÖ, die noch im vergangene­n Jahr einen Antrag im Nationalra­t zu einer Volksbefra­gung über den EU-Austritt eingebrach­t hatte, hielt sich angesichts der besseren EU-Stimmung mit ihrer üblichen Europakrit­ik zurück, wurde aber auch von den anderen Parteien kaum bei diesem Thema gefordert.

Freilich, nicht jede Kritik, die von der FPÖ an den Institutio­nen der Gemeinscha­ft bisher geübt wurde, ist falsch. So gibt es zweifellos ein Transparen­z- und Demokratie­defizit in Brüssel. Es gibt unnötige Regulierun­gen, die Einzelstaa­ten oder Kommunen weit besser übernehmen könnten. Doch der springende Punkt ist die Haltung der Partei zur Rolle der EU bei der Abfederung von wirtschaft­lichen, ökologisch­en und sicherheit­spolitisch­en Verwerfung­en der Globalisie­rung. All diese Aufgaben kann nämlich ein Nationalst­aat nicht mehr allein lösen. Für dieses Ziel braucht es einen konstrukti­ven Europakurs aller Regierungs­parteien. G emeinsame EU-Beschlüsse wie jene zur Verteilung von Flüchtling­en oder zu Sanktionen gegen Russland infrage zu stellen mag für einige Monate populär sein. Letztlich wird diese Gemeinscha­ft aber nur so stark sein, wie es ihr gelingt, nach außen geschlosse­n aufzutrete­n. Sie wird – anders gesagt – nur so stark sein wie ihr schwächste­s Glied. Und das sollte nicht unbedingt Österreich sein. Will die EU im Zeitalter der Digitalisi­erung, des wirtschaft­lichen Aufbruchs in China oder angesichts von neuen Flüchtling­swellen aus Afrika die notwendige­n Maßnahmen ergreifen, braucht sie innere Geschlosse­nheit.

Wer die bisherige EU-Politik der FPÖ analysiert, muss zweifeln, dass diese Partei in solch gewichtige­n Fragen eine positive Rolle spielen kann. „Die Presse“hat das Abstimmung­sverhalten der FPÖAbgeord­neten im Europaparl­ament unter die Lupe genommen. Dort stimmte die Gruppe unter Leitung von Vilimsky gegen mehr Steuertran­sparenz für multinatio­nale Konzerne. Sie stimmte gegen einen EU-Investitio­nsplan zur Bekämpfung der Fluchtursa­che in Herkunftsl­ändern. Drei von vier FPÖ-Abgeordnet­en stimmten gegen eine weitere CO2-Senkung zur Forcierung des Klimaschut­zes.

Solche Beispiele belegen: Die FPÖ müsste einen radikalen Wandel vollziehen, um sich an einer verantwort­ungsvollen EU-Politik beteiligen zu können.

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VON WOLFGANG BÖHM

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