Quergeschrie\en von Christian Ortner
Wenn die SPÖ am Sonntag die Wahlen verliert, wird das nicht nur an der Affäre Silberstein liegen, sondern wird viel gravierendere Ursachen haben.
Es war ein merkwürdiger Zufall, dass die Affäre Silberstein der SPÖ im letzten TV-Duell zwischen Kern und Kurz mit keiner Silbe erwähnt wurde; nur ein Schelm wird da an Regie denken. Deshalb ein kurzes Update einer gar nicht komplizierten Causa:
Nehmen wir einmal an, Sie sind Ihres Ehepartners und seiner unmöglichen Art, die Zahnpastatube auszuquetschen überdrüssig und engagieren zur nachhaltigen Lösung dieses Problems einen international renommierten Auftragskiller. Nehmen wir weiters an, Ihr Ehepartner erleidet kurz darauf einen tödlichen Autounfall, der auf ein absichtlich herbeigeführtes Versagen der Bremssysteme zurückzuführen ist. Und dann, Pech gehabt, schnappt die Polizei den Killer, und Sie fliegen auch noch als Auftraggeber auf, der dafür 500.000 Euro gezahlt hat.
Wenn Sie den Geschworenen nun treuherzig erklären, dass Sie davon ausgegangen sind, der Killer sei in Wahrheit so eine Art Mediator für Eheprobleme, werden Sie ziemlich lang aus dem Verkehr gezogen werden. Sollten Sie aber glaubhaft machen können, wirklich nicht gewusst zu haben, was Sie kaufen, wenn Sie einen Killer kaufen, wird wohl Ihre Geschäftsfähigkeit berechtigten Zweifeln ausgesetzt sein.
Kern hat in der Affäre SPÖ/Silberstein zu seiner Verteidigung beide Methoden probiert, ohne damit sonderlich an Glaubwürdigkeit und Terrain zu gewinnen. Ob der Wähler freilich genauso reagieren wird wie diese fiktiven Geschworenen, ist durchaus fraglich. Denn die Affäre SPÖ/Silberstein erregt zwar die Wiener Twitterblase ganz enorm. Dem durchschnittlichen Wähler aber sind Jobs, sein Einkommen und die Völkerwanderung möglicherweise viel wichtiger. Und er hat der SPÖ schon ganz andere Affären, sogar mit Toten – von Lucona über Noricum, Konsum bis zu Bawag/ÖGB – vergeben, gegen die die aktuelle Causa eine Petitesse ist.
Wenn die SPÖ, was wahrscheinlich ist, am Sonntagabend nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses den Anblick eines Uhus nach dem Waldbrand bieten wird, weil das Ergebnis so grottenschlecht ist, werden Kern und sein Silberstein vom Kommentariat wohl schnell als Hauptverantwortliche des Desasters benannt werden. Doch das ist höchstens die halbe Wahrheit. Denn die Sozialisten sind in ganz Europa im Aussterben begriffen. In Frankreich wurden sie bei den jüngsten Parlamentswahlen praktisch ausradiert, in Italien liegen Sozialdemokraten und Sozialisten darnieder, in Deutschland hat gerade Martin Schulz die SPD gegen die Wand gefahren.
Der politische Trend ist in Europa nicht gerade ein Genosse. Woran liegt das? Das Problem der Sozialisten, hat die britische Premierministerin Margaret Thatcher einst gespottet, „ist, dass ihnen irgendwann das Geld der anderen Leute ausgeht“. Dieses „Irgendwann“ist eigentlich schon seit ein paar Jahren. Konnten die Sozialdemokraten ab 1970 Jahr für Jahr mehr Schulden aufnehmen, um sich damit Wählerstimmen zu kaufen, ist diese Politik seit Ausbruch der Schuldenkrise nicht mehr so einfach, was die Sozialdemokraten um ein Instrument gebracht hat, das viel effizienter als ein Silberstein Wahlen gewinnen kann.
Dazu kommt, dass den Sozialdemokraten nicht nur das Geld anderer Leute, sondern auch die eigenen Ideen ausgegangen sind. Als hätte sie nicht einen Plan A, sondern gar keinen Plan, taumelte die SPÖ ohne erkennbare Richtung durch die vergangenen Jahre. Erst „Welcome Refugees“, dann Panzer am Brenner, mal für den Freihandelsvertrag Ceta, mal dagegen, mal Marktwirtschaft fördern, mal Mieten planwirtschaftlich deckeln: Mit den Positionen, die die SPÖ in den vergangenen Jahren vertreten hat, könnte man gleich drei konkurrierende Parteien bespielen.
Kern, der manchmal den Manager gab und manchmal den Marxisten, war im Grunde die perfekt passende Personalie dazu. Jetzt holt sich der Wähler halt, was er glaubt, dass es ihm zusteht – und wird das oft nicht bei der SPÖ finden.