Mehr, weniger – oderin anderes Europa
EU-Positionen. Im Wahlkampf war die EU kein großes Thema. Doch mit Blick auf den Ratsvorsitz im kommenden Jahr rücken die EU-Programme der Spitzenkandidaten in den Fokus.
Wien. Es wird eine Herkulesaufgabe für den künftigen Regierungschef: Die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs im zweiten Halbjahr 2018 fällt in eine Zeit des großen Umbruchs innerhalb der Staatengemeinschaft. Wien muss als Vorsitzland der 28 nicht nur die heiße Phase der Brexit-Verhandlungen einleiten – die britische EU-Mitgliedschaft endet nach zweijährigen Verhandlungen planmäßig im März 2019 –, sondern auch die großen Problemfelder von der Flüchtlingsfrage über die Steuerpolitik und den Klimawandel einer Lösung näherbringen. Umso verwunderlicher also, dass das Thema Europa im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte. Bei den Koalitionsverhandlungen dagegen dürfte die EU-Positionierung zur Schlüsselfrage werden. Doch wer kann mit wem? „Die Presse“fasst die EU-Positionen der im Parlament vertretenen Parteien zusammen.
Eine zentrale Forderung von SPÖ-Chef Christian Kern sind strengere Regeln bei der Einhebung von Unternehmenssteuern, um den „Privilegien für Großkonzerne“Einhalt zu gebieten. Durch Steuervermeidung gingen der EU jährlich 1000 Milliarden Euro an Steuereinnahmen verloren, rechnet der Kanzler vor. Dieses Geld solle besser in Bildung, Gesundheit und Ausbau der Infrastruktur investiert werden. Eine altbekannte SPÖ-Forderung ist auch jene nach „gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“; also dem Ende des Lohn- und Sozialdumpings.
In der Migrationsfrage wechselte die SPÖ noch während der Kanzlerschaft Werner Faymanns die Seiten – von der „Refugees Welcome“-Politik zu einem weit restriktiveren Vorgehen. Die SPÖ spricht sich nun für eine gemischte EU-Grenzschutzmission aus Polizei, Militär und zivilen Kräften aus. Menschen, die bereits in einem EULand Asyl erhalten haben, müssten gerecht auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. Internationale Handelsabkommen wie jenes mit Kanada sollten künftig ohne Schiedsgerichte auskommen.
Subsidiarität heißt das Schlüsselwort für die Europapolitik von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. In der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik müsse die EU gestärkt wer- den, sich dafür aber in kleineren Bereichen zurücknehmen. An oberster Stelle steht für Kurz die „lückenlose Sicherung der EU-Außengrenze“mittels einer zivil-militärischen Grenzschutztruppe. Die Mittelmeerroute, über die viele Flüchtlinge aus Afrika nach Europa kommen, will Kurz schließen. Zudem soll die Kooperation von Polizei und Geheimdiensten verstärkt werden, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen.
Die Mindestsicherung für in Österreich arbeitende EU-Ausländer soll es künftig erst nach fünf Jahren geben, die Familienbeihilfe soll an die Höhe des jeweiligen Herkunftslands angepasst werden.
Kurz tritt für eine Aufnahme der Westbalkanländer in die EU ein, ist aber gegen den Beitritt der Türkei. Die ÖVP gehört – gemeinsam mit den Neos – zu jenen beiden im Nationalrat vertretenen Parteien, die Ceta in der derzeitigen Form zustimmen würden.
Die Freiheitlichen sehen die EU als einen „Verbund von selbstbestimmten
Völkern“und lehnen Zentralisierungsbestrebungen jeder Art ab. Weder befürworten sie eine gemeinsame EU-Armee noch die kürzlich vom französischen Staatspräsidenten aufgebrachte Idee eines gemeinsamen europäischen Asylsystems. Die Union habe dagegen den konsequenten Schutz der Außengrenzen sowie den „Stopp unkontrollierter Massenzuwanderung“zu gewährleisten. Eine engere Zusammenarbeit mit der Visgrad-´Gruppe aus Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei wäre für Parteichef Heinz-Christian Strache nach eigener Aussage wünschenswert. Von einer Volksabstimmung über den EU-Austritt ist die Partei nach dem Brexit-Chaos aber abgekommen. Die FPÖ plädiert für den Nordeuro und ein Aus der Russland-Sanktionen.
Die Grünen sehen den Klimawandel als wichtigste Herausforderung der österreichischen Ratspräsidentschaft. Das Pariser Abkommen müsse von den Mitgliedstaaten konsequent umgesetzt werden, heißt es. Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek plädiert für ein gemeinsames europäisches Asylsystem und legale Zugänge für Flüchtlinge mittels Botschaftsasyls. Resettlementprogramme des UNHCR sollen besonders schutzbedürftigen Menschen zugutekommen. Zudem wollen die Grünen die EU demokratischer machen. Das Europaparlament soll künftig ein Initiativrecht für Gesetze erhalten Dies ist derzeit der Kommission vorbehalten.
Die Neos treten langfristig für eine „Republik Europa“ein. Geht es nach Parteichef Matthias Strolz, soll der Kommissionspräsident künftig direkt gewählt werden. Die Außen- und Sicherheitspolitik soll reformiert und ein gemeinsames Asyl- und Migrationssystem geschaffen werden. Strolz will EUweit ein „faires Quotensystem“etablieren. Wie die ÖVP fordern die Pinken eine bessere Kooperation der Nachrichtendienste zur Bekämpfung von Terrorismus. Auch die Schaffung einer europäischen Freiwilligenarmee findet sich im Programm der Neos.