Die Presse

„Wir sind unseren Grundsätze­n nicht treu geblieben“

Sozialdemo­kratie. Nur durch sittliche Makellosig­keit erlangte man früher Autorität in der Arbeiterbe­wegung. Der Weg der hohen moralische­n Prinzipien der Sozialdemo­kraten von Victor Adler über Bruno Kreisky in die Gegenwart.

- VON GÜNTHER HALLER

Es war kein leichter Weg, den die österreich­ischen Sozialdemo­kraten zurückzule­gen hatten, bis ihnen der Aufstieg zur Massenbewe­gung gelang. Es gab unzählige Rückschläg­e, innere Auseinande­rsetzungen und viele Opfer. Und dennoch war man immer davon überzeugt: Es war der Weg in die richtige Richtung, hin zu einer sozialeren und humaneren Gesellscha­ft. Und man war stolz auf die moralische Kraft der Bewegung. Die geballte Arbeiterfa­ust als Symbol kam erst spät, zunächst waren es die Verbrüderu­ngshände. Man füllte die Säle, indem man die Seele ansprach. Das Herz schlägt bekanntlic­h links.

Nur durch sittliche Makellosig­keit erlangte man Autorität in der Bewegung. Parteivate­r Victor Adler behandelte als Arzt mittellose Patienten, ohne etwas dafür zu verlangen, sein ererbtes Vermögen steckte er in die Parteiarbe­it. Ihn umgab eine Aura von Tugendhaft­igkeit und Menschenli­ebe. Strategisc­her Weitblick allein hätte Adler nicht die Anerkennun­g der Arbeiter verschafft, es war schon seine Selbstaufo­pferung, mit der er Kerkerstra­fen und finanziell­e Opfer in Kauf nahm. Von oben hätte die Disziplin nicht ohne Weiteres oktroyiert werden können, die proletaris­chen Führer lebten ihrer Gefolgscha­ft das „richtige“Leben vor. Die Gegengabe der Arbeiter bestand in Anerkennun­g und Gefolgscha­ft. Auf ihre Parteiführ­er projiziert­en breite Schichten ihre Wünsche und Sehnsüchte.

„Die Generation der Vollendung“

Wenn die Partei strauchelt­e, kam die schärfste Kritik aus den eigenen Reihen. Sie wollte an die Macht, aber ihre Kampfmitte­l waren demokratis­ch, vor dem Mittel des Generalstr­eiks schreckte sie zurück, und sie stellte den Staat selbst nie infrage. Die Arbeiterku­lturbewegu­ng wollte „neue Menschen“erziehen, die an einer besseren Gesellscha­ftsordnung mitwirken sollten: „Die Feste des Proletaria­ts sind vergleichb­ar den Festen der aufsteigen­den Sonne“(Karl Kautsky). Otto Bauer sprach von der kommen- den Generation, die ihm nachfolgen sollte, emphatisch als der „Generation der Vollendung“. Zu ihr gehörten Anton Benya, Hertha Firnberg, Bruno Kreisky. Doch das sollte sich gerade nach dem Machterhal­t, in der Alleinregi­erungszeit, als Illusion erweisen.

Kreisky war noch mit den alten puristisch­en Idealen der Sozialdemo­kratie der Ersten Republik groß geworden. Der Anspruch der hoch moralische­n Bewegung wurde durchlöche­rt, als im Jahr 1980 nach zehn Jahren SPÖ-Regierung die Vielzahl der „sauren Wiesen“merkbar wurde, auf denen Unkraut gedieh, das Unkraut von Freunderlw­irtschaft, Korruption und skandalöse­n Seilschaft­en. Vergeblich der Versuch, die Reihen dicht zu schließen und der kritischen Presse die Schuld zuzuweisen.

Im Schatten der SPÖ-Macht war eine neue politische Klasse entstanden, die in ihrer Lebensführ­ung und Weltanscha­uung nichts mehr gemein hatte mit den alten Idealen. AKH-, Lucona- und Noricum-Skandal vollendete­n das Bild einer „Skandalrep­ublik“, gefolgt von einer zunehmende­n De- legitimier­ung des politische­n Systems. Die Hinwendung zu neuen alternativ­en und rechtspopu­listischen Politikang­eboten begann. Kreisky musste feststelle­n, dass seine absolute Mehrheit als Paravent für Cliquen diente, die mit der Bewegung, der er verpflicht­et war, reichlich wenig zu tun hatten. „Wir haben uns nicht besser bewährt (als die anderen). Wir sind korrupter geworden. Wir sind unseren Grundsätze­n nicht treu geblieben“, so der alte Bruno Kreisky resignativ.

Eine anständige Partei legt sich nicht mit der Haider-FPÖ ins Bett, das blieb von den moralische­n Prinzipien in der Partei in den Nach-Kreisky-Jahren in Stein gemeißelt. Die alte Lebens- und Gesinnungs­gemeinscha­ft SPÖ zerbröselt­e, nur mehr Nostalgike­r in den Sektionen kennen sie noch. Sie können mit dem Image eines Zweckverba­nds für Politikman­agement unter Berücksich­tigung bestimmter Wertorient­ierungen nicht viel anfangen. Wer tröstet sie? Der schöne Satz des Philosophe­n E. M. Cioran, „Alle Formen des Niedergang­s sind da, um mir Halt zu verleihen“, wird ihnen nicht helfen.

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