Die Presse

Die Methode Erdo˘gan

Türkei. Im Streit mit den USA schlägt der Präsident raue Töne an, während seine Minister zu beschwicht­igen versuchen.

- VON DUYGU ÖZKAN

Ankara/Wien. John Bass’ Amtszeit in Ankara neigt sich dem Ende zu. Drei Jahre lang stand der Karrieredi­plomat aus dem Bundesstaa­t New York der US-Botschaft in der Türkei vor. Er machte viel von sich reden, war in den sozialen Medien aktiv und eckte ungewöhnli­cherweise auch gerne bei der türkischen Regierung an – mit Spitzen gegen AKP-Minister und offenen Wortmeldun­gen zur Innenpolit­ik. Kurz vor Bass’ Umzug nach Afghanista­n resümierte die regierungs­treue „Yeni Safak“,¸ dass er „kontinuier­lich seine diplomatis­chen Grenzen übertreten hat“. Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ attestiert­e gar: „Wir erkennen ihn nicht als den Vertreter der USA in der Türkei an.“

Der neue Botschafte­r wird sicherlich auf einen Neustart pochen, denn die Beziehunge­n zwischen den USA und der Türkei sind schwer angeschlag­en. Seit mehreren Tagen schwelt eine Visumkrise: Beide Länder haben die Ausstellun­g der Reise- und Aufenthalt­sbewilligu­ngen eingefrore­n. Zuvor ließ Ankara zwei Türken verhaften, die im Dienst der US-Mission standen.

Mindestens einer von ihnen soll Verbindung­en zum islamische­n Kleriker Fethullah Gülen pflegen, der für den blutigen Putschvers­uch im Vorjahr verantwort­lich sein soll. Bass sagt, dass Ankara seiner Botschaft keinerlei Hintergrün­de über die Vorwürfe an die beiden Mitarbeite­r zukommen ließ. Der Ton wird auch deshalb rauer, weil mit Andrew Brunson ein amerikanis­cher Staatsbürg­er in türkischer Haft sitzt. Bizarrerwe­ise steht auch der evangelika­le Missionar unter Verdacht, der Gülen-Bewegung anzugehöre­n.

Delegation aus Washington erwartet

Hört man Erdogans˘ Reden zu, ist eine Beilegung des bilaterale­n Konfliktes alles andere als greifbar. Das US-Konsulat in Istanbul verstecke einen weiteren Verdächtig­en, sagt er nun. An der derzeitige­n Situation sei eindeutig der Botschafte­r schuld, ein Mann, „der seine Grenzen nicht kennt“. Während der Präsident wie gewohnt verbal in alle Richtungen schießt, tritt die zweite AKP-Reihe als Beschwicht­iger auf. Erdogan-˘Sprecher Ibrahim Kalın zufolge habe Washington bereits eingelenkt, Vizepremie­r Mehmet Sim¸sek¸ nennt die Visum-Einfrierun­gen „übertriebe­n“und rechnet mit baldiger Beilegung des Streites. In der nächsten Woche wird eine US-Delegation in Ankara erwartet, um die Causa prima zu besprechen.

Es ist ein Muster, das bei nahezu jeder bilaterale­n Krise in der Türkei zu beobachten ist. Erdogan˘ tritt als Polterer auf, mit scharfen und provokante­n Ansagen, während der Rest der Regierung gemäßigte Töne anschlägt. „Kenne deine Grenzen“, hat Erdogan˘ schon im Hochsommer mit viel Theatralik an den deutschen Außenminis­ter, Sigmar Gabriel, ausgericht­et. Berlin und Ankara liegen seit Monaten im Clinch, auch hier geht es unter anderem um willkürlic­he Verhaftung­en deutscher Staatsbürg­er. Im Frühjahr hatten mehrere deutsche Kommunen Auftritte von türkischen Ministern untersagt. Während Erdogan˘ Berlin „Nazi-Methoden“vorwarf, beruhigte Premier Binali Yıldırım Kanzlerin Angela Merkel am Telefon, Außenminis­ter Mevlüt C¸avus¸og˘lu sprach von einem „Fundament der Freundscha­ft“zwischen Ankara und Berlin.

Die aggressive Haltung des Präsidente­n kommt bei seinen Anhängern gut an, impliziert sie doch, dass die Türkei auf dem internatio­nalen Parkett ein gefürchtet­er und stimmgewic­htiger Player ist. Seine Ansagen sind vor allem an die eigene Bevölkerun­g gerichtet, und internatio­nal gab es bisher kaum Konsequenz­en. Beobachter gehen davon aus, dass sich die Erdogan’sche˘ Rhetorik in den kommenden Monaten nicht mildern wird. 2019 stehen Wahlen an, die Beliebthei­tswerte der AKP rasseln in den Keller. Mehr als 30 Prozent der Wahlberech­tigten sind unentschlo­ssen. Eine Zahl, die die Regierung höchst nervös macht.

 ?? [ APA ] ?? Amerikanis­ch-türkische Visumkrise: der amerikanis­che Botschafte­r John Bass im türkischen Fernsehen.
[ APA ] Amerikanis­ch-türkische Visumkrise: der amerikanis­che Botschafte­r John Bass im türkischen Fernsehen.

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