„Wir sind in einer Sackgasse“
Brexit. Die Gespräche über den EU-Austritt der Briten stecken fest. Die Verhandler aus London wollen über ein Handelsabkommen reden, ehe noch das Ende der Mitgliedschaft geklärt ist.
Brüssel. Vom erhofften Durchbruch bei den Verhandlungen über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ist auch nach der fünften Gesprächsrunde nichts zu sehen. Die Unterhändler der EU unter Führung von Frankreichs früherem Außenminister und Ex-Kommissar Michel Barnier sowie jene der Briten unter Staatssekretär David Davis konnten sich bei ihren viertägigen Gesprächen in keinem der entscheidenden Streitpunkte einer Einigung nähern. Somit schwindet die Aussicht auf eine gütliche Beendigung der britischen Unionsmitgliedschaft nach mehr als vier Jahrzehnten, während das Risiko eines Hard Brexit, also eines abrupten Austritts ohne Klärung der wirtschaftlichen, rechtlichen und finanziellen Folgen desselben, steigt.
Die Schlüsselfrage lautet nach wie vor: Erkennt die britische Regierung die finanziellen Verpflichtungen an, die sie während ihrer Unionsmitgliedschaft eingegangen ist und die teilweise bis über das Ende des laufenden mehrjährigen Budgetrahmens der EU hinausgehen? „Wir haben hinsichtlich dieser Frage eine Sackgasse erreicht, was sehr besorgniserregend ist für Tausende Projekte in Europa, und auch besorgniserregend für jene, die dazu beitragen“, warnte Barnier am Donnerstag bei einer Pressekonferenz.
Auch in der Frage, wie die Rechte der rund drei Millionen Unionsbürger, die derzeit in Großbritannien leben, arbeiten und studieren, sowie der etwas mehr als einer Millionen britischer Bürger, die selbiges auf EU-Boden tun, herrscht Stillstand. „Wir haben hier keinen großen Schritt vorwärts gemacht“, sagte Barnier. Offen sei weiterhin vor allem, wie die pensions- und sozialrechtlichen Ansprüche dieser vom Brexit di- rekt betroffenen mehr als vier Millionen Menschen garantiert werden, und unter welchen Bedingungen sie ihre Familienmitglieder zu sich holen können.
„Kein Deal ist schlechter Deal“
Offen ist ebenfalls, wie der freie Personen- und Warenverkehr zwischen Nordirland und der Republik Irland künftig gewährleistet werden soll. Das ist eine sicherheitspolitisch wichtige Frage, denn diese Öffnung ist Teil des Karfreitagsabkommens, welches den jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen irischen Katholiken und Protestanten beendete.
Barnier und Davis machten bei ihrem gemeinsamen Auftritt vor der internationalen Presse einmal mehr den Eindruck, komplett aneinander vorbeizureden. Während der EU-Chefverhandler erklärte, dass er den Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen nächste Woche in Brüssel nicht empfehlen könne, die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen zu beginnen und somit über ein europäisch-britisches Handelsabkommen zu verhandeln, verstrahlte Davis die Zuversicht, dass die Chefs der 27 Unionsmitglieder sehr wohl schon über die Zukunft der EU-britischen Beziehungen reden wollten.
In London setzt man zusehends darauf, Barnier persönlich anzugreifen und als abgehobenen Starrkopf zu diskreditieren. Das reicht von klischeehaften Untergriffen in der britischen Gossenpresse bis zu in elitäreren Zeitungen wie der „Times“und vom „Daily Telegraph“lancierten Be- hauptungen, allen voran die deutsche Industrie wolle unbedingt den Zugang zum britischen Markt erhalten und sei mit Barniers Verhandlungsführung unzufrieden.
„Kein Deal wäre ein schlechter Deal“, sagte Barnier an die Adresse jener Stimmen aus London, die versuchen, einen Hard Brexit als Druckmittel auf die Europäer einzusetzen. Sein Verhandlungsmandat, das er von den 27 Regierungen erhalten habe, sei auch keinesfalls zu starr, sondern „präzise“. Und schließlich gehe es nicht darum, „Zugeständnisse“zu fordern oder zu machen. „Wir sind bereit und willens, so rasch wie möglich über die Zukunft unseres Verhältnisses zu reden, sobald die erste Etappe absolviert ist: die Regelung des Austritts aus der EU“, betonte Barnier.