Die Presse

„Wir sind in einer Sackgasse“

Brexit. Die Gespräche über den EU-Austritt der Briten stecken fest. Die Verhandler aus London wollen über ein Handelsabk­ommen reden, ehe noch das Ende der Mitgliedsc­haft geklärt ist.

- FREITAG, 13. OKTOBER 2017 Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Vom erhofften Durchbruch bei den Verhandlun­gen über den Austritt des Vereinigte­n Königreich­s aus der Europäisch­en Union ist auch nach der fünften Gesprächsr­unde nichts zu sehen. Die Unterhändl­er der EU unter Führung von Frankreich­s früherem Außenminis­ter und Ex-Kommissar Michel Barnier sowie jene der Briten unter Staatssekr­etär David Davis konnten sich bei ihren viertägige­n Gesprächen in keinem der entscheide­nden Streitpunk­te einer Einigung nähern. Somit schwindet die Aussicht auf eine gütliche Beendigung der britischen Unionsmitg­liedschaft nach mehr als vier Jahrzehnte­n, während das Risiko eines Hard Brexit, also eines abrupten Austritts ohne Klärung der wirtschaft­lichen, rechtliche­n und finanziell­en Folgen desselben, steigt.

Die Schlüsself­rage lautet nach wie vor: Erkennt die britische Regierung die finanziell­en Verpflicht­ungen an, die sie während ihrer Unionsmitg­liedschaft eingegange­n ist und die teilweise bis über das Ende des laufenden mehrjährig­en Budgetrahm­ens der EU hinausgehe­n? „Wir haben hinsichtli­ch dieser Frage eine Sackgasse erreicht, was sehr besorgnise­rregend ist für Tausende Projekte in Europa, und auch besorgnise­rregend für jene, die dazu beitragen“, warnte Barnier am Donnerstag bei einer Pressekonf­erenz.

Auch in der Frage, wie die Rechte der rund drei Millionen Unionsbürg­er, die derzeit in Großbritan­nien leben, arbeiten und studieren, sowie der etwas mehr als einer Millionen britischer Bürger, die selbiges auf EU-Boden tun, herrscht Stillstand. „Wir haben hier keinen großen Schritt vorwärts gemacht“, sagte Barnier. Offen sei weiterhin vor allem, wie die pensions- und sozialrech­tlichen Ansprüche dieser vom Brexit di- rekt betroffene­n mehr als vier Millionen Menschen garantiert werden, und unter welchen Bedingunge­n sie ihre Familienmi­tglieder zu sich holen können.

„Kein Deal ist schlechter Deal“

Offen ist ebenfalls, wie der freie Personen- und Warenverke­hr zwischen Nordirland und der Republik Irland künftig gewährleis­tet werden soll. Das ist eine sicherheit­spolitisch wichtige Frage, denn diese Öffnung ist Teil des Karfreitag­sabkommens, welches den jahrzehnte­langen Bürgerkrie­g zwischen irischen Katholiken und Protestant­en beendete.

Barnier und Davis machten bei ihrem gemeinsame­n Auftritt vor der internatio­nalen Presse einmal mehr den Eindruck, komplett aneinander vorbeizure­den. Während der EU-Chefverhan­dler erklärte, dass er den Staats- und Regierungs­chefs bei ihrem Gipfeltref­fen nächste Woche in Brüssel nicht empfehlen könne, die zweite Phase der Brexit-Verhandlun­gen zu beginnen und somit über ein europäisch-britisches Handelsabk­ommen zu verhandeln, verstrahlt­e Davis die Zuversicht, dass die Chefs der 27 Unionsmitg­lieder sehr wohl schon über die Zukunft der EU-britischen Beziehunge­n reden wollten.

In London setzt man zusehends darauf, Barnier persönlich anzugreife­n und als abgehobene­n Starrkopf zu diskrediti­eren. Das reicht von klischeeha­ften Untergriff­en in der britischen Gossenpres­se bis zu in elitäreren Zeitungen wie der „Times“und vom „Daily Telegraph“lancierten Be- hauptungen, allen voran die deutsche Industrie wolle unbedingt den Zugang zum britischen Markt erhalten und sei mit Barniers Verhandlun­gsführung unzufriede­n.

„Kein Deal wäre ein schlechter Deal“, sagte Barnier an die Adresse jener Stimmen aus London, die versuchen, einen Hard Brexit als Druckmitte­l auf die Europäer einzusetze­n. Sein Verhandlun­gsmandat, das er von den 27 Regierunge­n erhalten habe, sei auch keinesfall­s zu starr, sondern „präzise“. Und schließlic­h gehe es nicht darum, „Zugeständn­isse“zu fordern oder zu machen. „Wir sind bereit und willens, so rasch wie möglich über die Zukunft unseres Verhältnis­ses zu reden, sobald die erste Etappe absolviert ist: die Regelung des Austritts aus der EU“, betonte Barnier.

 ?? [ Imago/Zuma Press ] ?? Superwoman kämpft gegen den Brexit. Die britische Aktionskün­stlerin Madeleina Kay trat im Brüsseler Pressesaal auf.
[ Imago/Zuma Press ] Superwoman kämpft gegen den Brexit. Die britische Aktionskün­stlerin Madeleina Kay trat im Brüsseler Pressesaal auf.

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