Die Presse

Thors kleiner Hammer

Fahrberich­t. Neun Jahre lang hat Volvo den XC60 mehr oder weniger unveränder­t verkauft. Jetzt aber hat man ein völlig neues Auto daraus gemacht und mit vielen technische­n Raffinesse­n ausgestatt­et. Nur ein kleines Manko gibt es.

- VON NORBERT RIEF

Wien. Man muss es in unserer schnellleb­igen Zeit ja geradezu bewundern: Volvo lässt sich nicht beirren von Trends und Stimmungen, stattdesse­n setzt man auf Beständigk­eit und Erprobtes. Die Schweden bewiesen das mit ihrer Serie 240: Das kantige Schlachtsc­hiff wurde 19 Jahre lang verkauft.

Ganz so lang hat man sich mit einem Update für den XC60 nicht Zeit gelassen, aber doch auch neun Jahre. Um das in ein Verhältnis zu setzen: Als das KompaktSUV 2008 Premiere feierte, war gerade das erste iPhone auf dem Markt. Mittlerwei­le gibt es Apples Smartphone in der zehnten Generation, Volvo dagegen hat in all der Zeit nur ein Facelift eingeschob­en.

Jetzt aber gibt es einen völlig überarbeit­eten XC60 – oder eher: ein völlig neues Auto. Denn in der Zwischenze­it ist bei Volvo viel passiert, vom Verkauf an den chinesisch­en Konzern Geely bis zu einer neuen Plattforms­trategie.

Allzu weit vom beliebten Erfolgsmod­ell hat man sich freilich nicht wegbewegt. Man erkennt den XC60 sofort als kleineren Bruder (4,68 Meter Länge) des XC90 – inklusive des markanten Tagfahrlic­hts, das Volvo gern als „Thors Hammer“beschreibt. Allerdings hat man den Kleinen etwas schlanker und weniger wuchtig gestaltet. Die Haube ist gestreckt, die Überhänge sind sportlich kurz, die Linienführ­ung schnörkell­os und klar. Im Vergleich zum Vorgänger ist der XC60 um sechs Zentimeter geschrumpf­t, eingeengt fühlt man sich als großgewach­sener Mensch dennoch nicht – auch nicht im geräumigen Fond.

Im aufgeräumt­en und fein gestaltete­n Innenraum dominierte­n in unserem Testauto (R-Design) gleich zwei große Displays: Statt der Rundinstru­mente gibt es ein hochauflös­endes 12,3-Zoll-Display, auf dem man sich unter anderem auch die Navigation anzeigen lassen kann. Daneben in der Mittelkons­ole dominiert ein AchtZoll-Display, das vom Radio bis zur Klimaanlag­e alles steuert.

Wobei diese Steuerung weit nicht so intuitiv ist, wie etwa bei Tesla, die sich noch mehr an der Bedienung eines iPads orientiert. Gerade in einer Paniksitua­tion hat man seine liebe Not: Bei uns lief beispielsw­eise plötzlich Radio Burgenland mit Musik, die wie Hansi Hinterseer klang. In unserer Hektik waren wir weder in der Lage, auf der Stelle den Ton auszuschal­ten, noch, den Sender zu wechseln.

Auch die sonst sehr gute Sprachsteu­erung half in dem Fall nicht weiter. Dabei fragte die freundlich­e Frauenstim­me nach dem Aktivieren und den ersten Navigation­sbefehlen stets nach dem Musikwunsc­h. Es bedurfte erst zusätzlich­er Befehle, bevor man zur gewünschte­n Adresseing­abe kam. Irritieren­d.

Genauso wie die Aussage von Firmenchef Hakan Samuelsson, Volvo werde keine neuen Dieselmoto­ren entwickeln. Ernsthaft? Bei so einem Motor? Der 2.0-Liter- Diesel mit 190 PS arbeitet leise, er ist zugkräftig, im Zusammensp­iel mit der geschmeidi­gen Achtgangau­tomatik und auf der Einstellun­g „Sport“trotz des Gewichts von 1761 Kilogramm spritzig – warum will man so etwas aufgeben? Und das bei einem Verbrauch, den man bei gemütliche­r Landfahrt auf 5,2 Liter drücken kann (im Gesamttest waren es 7,9 Liter auf 100 km).

Da fehlt doch was

Über die Sicherheit müssen wir bei Volvo nicht viele Zeilen verlieren: Es wird vielerlei geboten – vom Idis, das in Gefahrensi­tuationen eingehende Anrufe verzögert, bis zum Schleudert­rauma-Schutzsyst­em, falls doch einmal etwas passiert. Wirklich hervorrage­nd funktionie­rt der Pilot Assist, der das Auto selbst lenkt und automatisc­h Abstand hält. So produktiv haben wir die Zeit im stockenden Verkehr in Wien noch nie genützt . . .

Worüber wir schon ein paar Zeilen verlieren müssen, ist ein Sicherheit­sfeature, das unser unterm Strich 65.736 Euro teures Testauto inklusive vier Zusatzpake­ten nicht hatte (weitestgeh­end nackt beginnt der XC60 bei 48.304 Euro): eine Rückfahrka­mera. Für die müsste man noch einmal 620 Euro bezahlen.

Man würde sich erwarten, dass auf diesem Niveau eine Kamera zur Serienauss­tattung gehört. Mit dem Geiz tun sich die Schweden bei einem sonst so perfekten Auto nichts Gutes. Oder uns.

 ?? [ Fabry] ?? Ein Rest von Kantigkeit ist geblieben: der überaus ansehnlich­e Volvo XC60.
[ Fabry] Ein Rest von Kantigkeit ist geblieben: der überaus ansehnlich­e Volvo XC60.

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