„Harte Männer mag man, harte Frauen nicht“
Interview. Die Verhaltensökonomin und Buchautorin Iris Bohnet erklärt, wie kleine Vorurteile im Arbeitsalltag die Gleichstellung verhindern – und wie Unternehmen die Fallen umgehen können, um die besten Talente zu fördern.
Die Presse: Bei uns gelten Frauenquoten als Königsweg zu mehr Gleichberechtigung. Was halten Sie davon? Iris Bohnet: Die Erfahrungen mit Aufsichtsräten in Norwegen sind bisher sehr durchwachsen. Vor allem wurde nicht das Ziel erreicht, in der Folge mehr weibliche Manager auf allen Ebenen zu haben. Als Vorbilder sind Aufsichtsräte zu wenig sichtbar.
Wären Sie denn für Quoten im Vorstand? Dazu hat die Deutsche Telekom Erfahrung gesammelt. Das Fazit: Eine Quote allein bringt nur Unruhe – und Unmut bei den Männern, die schon für eine Beförderung in der Schlange standen. Man muss vielmehr die Kultur ändern, in die Organisation hinein, die Prozesse. Es gibt viele Instrumente, um Verzerrungen aus unseren Köpfen zu bekommen: wie wir Mitarbeiter suchen, anstellen, befördern. Bisher haben wir sie viel zu wenig genutzt. Ob sie reichen, wissen wir in zehn Jahren. Dann kann man immer noch sagen: Wir brauchen trotzdem Quoten.
Die Hoffnung ist: Wenn Frauen an der Macht sind, ändert sich alles. Stimmt das? Als Vorbilder sind weibliche Führungskräfte sehr wichtig. Aber es stimmt nicht, dass sie per se anders entscheiden, zum Beispiel andere Frauen stärker fördern. Wir sind alle mit Vorurteilen behaftet. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf die „bösen Männer“zu zeigen. Wir kriegen das als Gesellschaft nicht hin. Auch in der Gegenrichtung: Als ich meinen Sohn das erste Mal in die Kinderkrippe brachte, zuckte ich zurück, als ich sah, dass der Betreuer ein Mann war. Und meinem Gatten, der mich begleitete, ging es genauso. Dabei war der Betreuer super, wir waren dann hoch zufrieden mit ihm. Oft heißt es: Frauen müssen selbst aktiv werden, ehrgeiziger und karrierebewusster sein, höhere Gehaltsforderungen stellen. Warum tun sie das meistens nicht? Sie werden dann weniger gemocht. Männer können hart, orientiert und autoritär auftreten – und man mag sie trotzdem. Das passt zu unseren Stereotypen vom erfolgreichen Mann. Bei Frauen erwarten wir, dass sie kooperativer, netter, auch altruistischer sind. Wenn sie dann als Chefin agieren oder mehr Gehalt fordern, wirken sie unsympathisch. Sie können sich das nicht leisten. Es gibt also gute Gründe, warum sie es nicht tun.
Wie kommt eine Frau, die Karriere machen will, aus diesem Dilemma heraus? Sehr schwer! Wir können es nicht auf den Schultern der Frauen lasten lassen, sondern müssen die Systeme ändern. Eine Möglichkeit für Gehaltsverhandlungen ist, dass ein einziger „Chefverhandler“alle Gespräche für die Mitarbeiter führt. Das kann dann auch ruhig eine Frau sein. Wenn Frauen für andere verhandeln, zum Beispiel als Anwältinnen, sind die Ergebnisse gleich gut. Das ist dann kompatibel mit der Rolle: Sie ist wie eine fürsorgliche Mutter für den Klienten, aber kann zugleich wie eine Löwin kämpfen und selbstbewusst auftreten.
Aber Personalmanager wollen doch die besten Leute, egal welchen Geschlechts. Sie können gar nicht auf die Hälfte des Talentpools verzichten . . . Das würde jeder von sich sagen. Aber die Experimente zeigen: Sie tun es nicht. Sie stellen Leute ein, die aussehen und ticken wie sie selbst. Wir Verhaltensforscher messen das einfach, wir liefern Daten und Fakten, die für sich selbst sprechen – wie beim Beispiel der großen Orchester (Anm.: siehe Artikel unten). Mein Anliegen ist, dass wir bei diesem Thema genauso evidenzbasiert vorgehen wie etwa in der Finanzabteilung.
In den USA liegt die Gehaltsdifferenz Männer/Frauen statistisch bei 20 Prozent, bei uns noch höher. Alles Diskriminierung? Da werden oft Äpfel und Birnen verglichen. Ein großer Teil hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Früher ging es vor allem um Ausbildung. Heute absolvieren mehr Frauen die Uni als Männer. Aber es gibt weiterhin den Faktor Erfahrung: Männer sind schon länger dabei, nehmen weniger Auszeit für Kinder − und sind damit weiter oben in der Pyramide. Sehr viel erklärt die Berufswahl. Frauen studieren Marketing, nicht Maschinenbau, werden Friseurin statt Mechatroniker. Nettere Jobs, aber schlechter bezahlt. Wenn sie das lieber mögen . . . Ich würde gar nicht ausschließen, dass wir am Schluss Unterschiede in den Präferenzen sehen. Aber zuerst sollten wir der Chancengleichheit eine Chance geben. Da müssen wir aber ganz früh ansetzen: Wenn es an Kindergärten und Schulen gefördert wird, können sich Mädchen viel öfter vorstellen, Feuerwehrfrau oder Chirurgin zu werden.
Was bleibt vom „Gender Gap“übrig? Der unerklärte Unterschied liegt in den USA bei acht Prozent. Es geht dabei selten um bewusste Diskriminierung. Was es ist, lässt sich noch nicht beweisen oder quantifizieren. Aber wahrscheinlich stecken dahinter viele kleine, versteckte Vorurteile und Stereotypen. Darauf deuten die Experimente hin.
Was wäre dafür ein gutes Beispiel? Wenn Firmen bei Bewerbungen absolut identische Lebensläufe von Susanne und Peter erhalten, hat Peter bessere Chancen, in die nächste Runde zu kommen – dazu gibt es sehr viel Evidenz. Man könnte also die Namen weglassen. Das macht man in Großbritannien etwa beim Öffentlichen Dienst, bei der Großbank HSBC, Deloitte und der BBC. Oder: Bei Bewerbungsgesprächen ist das schlechteste Instrument, um Leistung vorauszusehen, das unstrukturierte Interview. Unser Gehirn ist nicht fähig, hilfreiche Information von unwichtigen zu trennen. Dann erzählt Ihnen jemand, dass er wie Sie gern Tennis spielt, und schon ist er Ihnen sympathisch und Sie stellen ihn ein.
Mein früherer Chef Franz Schellhorn, heute Leiter des Thinktanks Agenda Austria, glaubt nicht an den Rest-Gap beim Gehalt. Sein Argument: Keine Firma kann es sich erlauben, Frauen zu benachteiligen, denn dann würde die Konkurrenz sie abwerben. Der Arbeitsmarkt regelt das. Da gebe ich Ihrem Chef im Prinzip völlig Recht. Aber es funktioniert nur bei vollständigem Wettbewerb. Und wo gibt es den? Es lässt sich aber klar zeigen: Je weniger offen ein Markt ist, desto größer die Gehaltsdifferenz. Das Ziel ist gleich, im Wettbewerb der Firmen wie auf dem Arbeitsmarkt: Nehmen wir die Verzerrungen aus dem System und geben der Leistung wirklich eine Chance!
(51) ist eine der wenigen wirklich bekannten Frauen in der Verhaltensökonomie. Die Schweizerin forscht und lehrt seit 20 Jahren in Harvard. Soeben erschien bei C.H. Beck die deutsche Übersetzung ihres Erfolgsbuches „What works – Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann“. In Wien hielt sie am Dienstagabend einen Vortrag in der Nationalbank (OenB).