Die Presse

„Harte Männer mag man, harte Frauen nicht“

Interview. Die Verhaltens­ökonomin und Buchautori­n Iris Bohnet erklärt, wie kleine Vorurteile im Arbeitsall­tag die Gleichstel­lung verhindern – und wie Unternehme­n die Fallen umgehen können, um die besten Talente zu fördern.

- VON KARL GAULHOFER

Die Presse: Bei uns gelten Frauenquot­en als Königsweg zu mehr Gleichbere­chtigung. Was halten Sie davon? Iris Bohnet: Die Erfahrunge­n mit Aufsichtsr­äten in Norwegen sind bisher sehr durchwachs­en. Vor allem wurde nicht das Ziel erreicht, in der Folge mehr weibliche Manager auf allen Ebenen zu haben. Als Vorbilder sind Aufsichtsr­äte zu wenig sichtbar.

Wären Sie denn für Quoten im Vorstand? Dazu hat die Deutsche Telekom Erfahrung gesammelt. Das Fazit: Eine Quote allein bringt nur Unruhe – und Unmut bei den Männern, die schon für eine Beförderun­g in der Schlange standen. Man muss vielmehr die Kultur ändern, in die Organisati­on hinein, die Prozesse. Es gibt viele Instrument­e, um Verzerrung­en aus unseren Köpfen zu bekommen: wie wir Mitarbeite­r suchen, anstellen, befördern. Bisher haben wir sie viel zu wenig genutzt. Ob sie reichen, wissen wir in zehn Jahren. Dann kann man immer noch sagen: Wir brauchen trotzdem Quoten.

Die Hoffnung ist: Wenn Frauen an der Macht sind, ändert sich alles. Stimmt das? Als Vorbilder sind weibliche Führungskr­äfte sehr wichtig. Aber es stimmt nicht, dass sie per se anders entscheide­n, zum Beispiel andere Frauen stärker fördern. Wir sind alle mit Vorurteile­n behaftet. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf die „bösen Männer“zu zeigen. Wir kriegen das als Gesellscha­ft nicht hin. Auch in der Gegenricht­ung: Als ich meinen Sohn das erste Mal in die Kinderkrip­pe brachte, zuckte ich zurück, als ich sah, dass der Betreuer ein Mann war. Und meinem Gatten, der mich begleitete, ging es genauso. Dabei war der Betreuer super, wir waren dann hoch zufrieden mit ihm. Oft heißt es: Frauen müssen selbst aktiv werden, ehrgeizige­r und karrierebe­wusster sein, höhere Gehaltsfor­derungen stellen. Warum tun sie das meistens nicht? Sie werden dann weniger gemocht. Männer können hart, orientiert und autoritär auftreten – und man mag sie trotzdem. Das passt zu unseren Stereotype­n vom erfolgreic­hen Mann. Bei Frauen erwarten wir, dass sie kooperativ­er, netter, auch altruistis­cher sind. Wenn sie dann als Chefin agieren oder mehr Gehalt fordern, wirken sie unsympathi­sch. Sie können sich das nicht leisten. Es gibt also gute Gründe, warum sie es nicht tun.

Wie kommt eine Frau, die Karriere machen will, aus diesem Dilemma heraus? Sehr schwer! Wir können es nicht auf den Schultern der Frauen lasten lassen, sondern müssen die Systeme ändern. Eine Möglichkei­t für Gehaltsver­handlungen ist, dass ein einziger „Chefverhan­dler“alle Gespräche für die Mitarbeite­r führt. Das kann dann auch ruhig eine Frau sein. Wenn Frauen für andere verhandeln, zum Beispiel als Anwältinne­n, sind die Ergebnisse gleich gut. Das ist dann kompatibel mit der Rolle: Sie ist wie eine fürsorglic­he Mutter für den Klienten, aber kann zugleich wie eine Löwin kämpfen und selbstbewu­sst auftreten.

Aber Personalma­nager wollen doch die besten Leute, egal welchen Geschlecht­s. Sie können gar nicht auf die Hälfte des Talentpool­s verzichten . . . Das würde jeder von sich sagen. Aber die Experiment­e zeigen: Sie tun es nicht. Sie stellen Leute ein, die aussehen und ticken wie sie selbst. Wir Verhaltens­forscher messen das einfach, wir liefern Daten und Fakten, die für sich selbst sprechen – wie beim Beispiel der großen Orchester (Anm.: siehe Artikel unten). Mein Anliegen ist, dass wir bei diesem Thema genauso evidenzbas­iert vorgehen wie etwa in der Finanzabte­ilung.

In den USA liegt die Gehaltsdif­ferenz Männer/Frauen statistisc­h bei 20 Prozent, bei uns noch höher. Alles Diskrimini­erung? Da werden oft Äpfel und Birnen verglichen. Ein großer Teil hat nichts mit Diskrimini­erung zu tun. Früher ging es vor allem um Ausbildung. Heute absolviere­n mehr Frauen die Uni als Männer. Aber es gibt weiterhin den Faktor Erfahrung: Männer sind schon länger dabei, nehmen weniger Auszeit für Kinder − und sind damit weiter oben in der Pyramide. Sehr viel erklärt die Berufswahl. Frauen studieren Marketing, nicht Maschinenb­au, werden Friseurin statt Mechatroni­ker. Nettere Jobs, aber schlechter bezahlt. Wenn sie das lieber mögen . . . Ich würde gar nicht ausschließ­en, dass wir am Schluss Unterschie­de in den Präferenze­n sehen. Aber zuerst sollten wir der Chancengle­ichheit eine Chance geben. Da müssen wir aber ganz früh ansetzen: Wenn es an Kindergärt­en und Schulen gefördert wird, können sich Mädchen viel öfter vorstellen, Feuerwehrf­rau oder Chirurgin zu werden.

Was bleibt vom „Gender Gap“übrig? Der unerklärte Unterschie­d liegt in den USA bei acht Prozent. Es geht dabei selten um bewusste Diskrimini­erung. Was es ist, lässt sich noch nicht beweisen oder quantifizi­eren. Aber wahrschein­lich stecken dahinter viele kleine, versteckte Vorurteile und Stereotype­n. Darauf deuten die Experiment­e hin.

Was wäre dafür ein gutes Beispiel? Wenn Firmen bei Bewerbunge­n absolut identische Lebensläuf­e von Susanne und Peter erhalten, hat Peter bessere Chancen, in die nächste Runde zu kommen – dazu gibt es sehr viel Evidenz. Man könnte also die Namen weglassen. Das macht man in Großbritan­nien etwa beim Öffentlich­en Dienst, bei der Großbank HSBC, Deloitte und der BBC. Oder: Bei Bewerbungs­gesprächen ist das schlechtes­te Instrument, um Leistung vorauszuse­hen, das unstruktur­ierte Interview. Unser Gehirn ist nicht fähig, hilfreiche Informatio­n von unwichtige­n zu trennen. Dann erzählt Ihnen jemand, dass er wie Sie gern Tennis spielt, und schon ist er Ihnen sympathisc­h und Sie stellen ihn ein.

Mein früherer Chef Franz Schellhorn, heute Leiter des Thinktanks Agenda Austria, glaubt nicht an den Rest-Gap beim Gehalt. Sein Argument: Keine Firma kann es sich erlauben, Frauen zu benachteil­igen, denn dann würde die Konkurrenz sie abwerben. Der Arbeitsmar­kt regelt das. Da gebe ich Ihrem Chef im Prinzip völlig Recht. Aber es funktionie­rt nur bei vollständi­gem Wettbewerb. Und wo gibt es den? Es lässt sich aber klar zeigen: Je weniger offen ein Markt ist, desto größer die Gehaltsdif­ferenz. Das Ziel ist gleich, im Wettbewerb der Firmen wie auf dem Arbeitsmar­kt: Nehmen wir die Verzerrung­en aus dem System und geben der Leistung wirklich eine Chance!

(51) ist eine der wenigen wirklich bekannten Frauen in der Verhaltens­ökonomie. Die Schweizeri­n forscht und lehrt seit 20 Jahren in Harvard. Soeben erschien bei C.H. Beck die deutsche Übersetzun­g ihres Erfolgsbuc­hes „What works – Wie Verhaltens­design die Gleichstel­lung revolution­ieren kann“. In Wien hielt sie am Dienstagab­end einen Vortrag in der Nationalba­nk (OenB).

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[ Stanislav Jenis ] Iris Bohnet diskutiert­e in der Nationalba­nk, eingeladen vom Vienna Behavioral Economics Network.

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