Kunstsammeln als Lebenspraxis
Zehn Jahre Sammlung Batliner. Ein Gespräch mit Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder anlässlich des Zehn-JahrJubiläums der Sammlung Batliner als Dauerleihgabe an die Albertina.
Wien. Im Frühjahr 2007 übergab das Vaduzer Ehepaar Rita und Herbert Batliner seine museale Sammlung von Werken der Klassischen Moderne und zeitgenössischen Kunst der Wiener Albertina. Mit 500 Gemälden und 40 Skulpturen macht die Sammlung nicht nur einen Großteil der neuen Bestände des Hauses aus. Ihr Zugang hat auch das Profil der Albertina als Ausstellungshaus entscheidend verändert.
Was bedeutet die Sammlung Batliner für die Albertina? Klaus Albrecht Schröder:
Nach der Renovierung und Wiedereröffnung der Prunkräume der Albertina für die Öffentlichkeit war die Etablierung einer Schausammlung der Klassischen Moderne die auffälligste Errungenschaft meiner Direktion. Damit konnte die Albertina zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine eigene Identität an Kunstwerken aufbauen, die der Öffentlichkeit immer zugänglich sind. Man darf nicht vergessen, dass die Identität der Albertina bis dahin auf einer allgemeinen Vorstellung einer Kunstgattung beruhte – der Zeichnung und Druckgrafik. Aber diese Kunstwerke, für die die Albertina stand – ob das nun Dürers „Feldhase“ist oder Rubens’ „Kinderporträt“– waren, wenn überhaupt, nur alle 15 bis 25 Jahre einmal zu sehen. Also eine sehr flüchtige, virtuelle Identität.
Inwiefern hat die Sammlung Batliner die Positionierung der Albertina verändert? Indem die Schausammlung von Monet bis Picasso wirklich ausgestellt ist, wurde unsere gesamte Tätigkeit auf den Prüfstand gestellt. Unser Aktionsradius wurde gewaltig erweitert, insofern, als wir die Besucherschichten verbreitern und das Publikum vervielfachen konnten, von 15.000 Besuchern pro Jahr auf durchschnittlich 700.000 pro Jahr. Insofern war der Zugang der Sammlung Batliner ein Schlüsselereignis in der Geschichte der Albertina, in ihrer Neupositionierung und in der Etablierung als global wirksames Museum.
Hat sich das Ausstellungsprogramm dadurch geändert? Es hat uns erstmals ermächtigt, der zeitgenössischen Kunst, der wir mit Ausstellungen in der Pfeilerhalle immer schon Platz eingeräumt hatten, einen neuen Stellenwert zu geben. In der zeitgenössischen Kunst war die Zusammenführung von Zeichnungen und Gemälden noch wichtiger als in der alten Kunst. So erhellend die Gegenüberstellung der Skizzen Raffaels mit seinen Gemälden ist – in der zeitgenössischen Kunst ist die unteilbare Einheit des Künstlerischen eine unhintergehbare Tatsache. Deshalb ist die Albertina vor meiner Direktion im Bereich der zeitgenössischen Kunst auch provinzialisiert worden, weil sie diesem Anspruch nicht gerecht werden konnte. Viele unserer Ausstellungen haben wir seitdem aus der Sammlung Batliner gezogen – ob das die Magritte-Ausstellung war, die Max-Ernst-Retrospektive oder „Matisse und die Fauves“. Wir ha- ben sie mit und für die Sammlung Batliner gemacht – so wie wir jetzt in Hinblick auf unsere Kernsammlung Raffael und in zwei Jahren Dürer eine Ausstellung widmen. In einem Jahr werden wir eine Claude-Monet-Retrospektive zeigen, die sich wiederum aus der Sammlung Batliner ableitet. Wir haben also aus einem Museum mit einem einzigen sehr fragilen Standbein eines mit mehreren Standbeinen gemacht. Wir haben auch das Glück gehabt, dass diese Sammlung Klassischer Moderne wie Manna in die Wüste gekommen ist, weil es hierzulande kein einziges Museum gibt, das allein von Picasso zehn Gemälde und 35 Originalkeramiken hat, dazu Modigliani, Malewitsch, die großen Miro-Gemälde et cetera.
Wie hat sich die Sammlung Batliner von 2007 bis heute entwickelt? Doktor Batliner hat sicher seit den späten 1980er-Jahren mehr gesammelt, als er an den Wänden seines Hauses zeigen konnte. Mit der Übergabe der Sammlung an die Albertina ist aber eine neue Qualität des Sammelns hinzugekommen, die Sammeln nicht nur als Unterstützung der Ausstattung begreift. In dieser Zeit wurden Hauptwerke erworben – etwa Erich Heckels „Liegende“von 1909, vielleicht eines seiner schönsten Bilder, oder Ernst Ludwig Kirchners letztes Bild aus der Dresdner Zeit, bevor er 1911 nach Berlin ging –, immer schon mit Hinblick darauf, dass diese Sammlung „in der Albertina eine Heimat gefunden hat“, wie Herbert Batliner das einmal formuliert hat. Doch auch die Albertina hat viel gegeben. Sie hat dieser Sammlung Dauer verliehen und ihr eine weltweite Bühne zur Verfügung gestellt. Und sie hat sie in einen Kontext von Michelangelo bis Picasso eingebettet, der entgegen allen Unkenrufen als der Kanon der Kunstgeschichte gelten kann, auch wenn man ihr vorwerfen kann, nicht Hard-Edge-Kunst zu zeigen.
Hat diese „Bühne Albertina“das Sammelverhalten der Batliners auch im Bereich der zeitgenössischen Kunst beeinflusst? Die Verlagerung hin zur Gegenwartskunst ist evident, wobei es ein starkes Interesse für die Kunst seiner eigenen Generation gibt, was in der Natur der Sache liegt. Im Bereich der zeitgenössischen Kunst wurden Werkkonvolute großen Ausmaßes von Anselm Kiefer bis Alex Katz, von Arnulf Rainer und Georg Baselitz erworben. Das war eine dynamische Entwicklung. Die Sammlung hat ihren Charakter, sie hat Ecken und Kanten und ist in der zeitgenössischen Kunst doch über sich hinausgewachsen. Dass sie heute die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs mit sieben wichtigen Werken von Anselm Kiefer so exzessiv vorführen kann, zeigt, wie sehr sie sich verändert hat. Das sind Entwicklungen, die zeigen, dass wir uns mit der Kunst immer weiter entwickeln können, auch Herbert Batliner als Sammler hat das getan. Am Anfang standen ein Werk von Toulouse-Lautrec und Skulpturen von Giacometti, und am Ende stehen auf einmal Kommentare zu den Abgründen des 20. Jahrhunderts und das Erlöschen des Bildes wie bei Arnulf Rainer. Wenn wir also die Sammlung Batliner jetzt auf zwei Ebenen in zwei großen Ausstellungshallen zeigen, so zeigen wir diese zwei Gesichter der Sammlung – auf einer Ebene die Klassische Moderne, auf der anderen die Gegenwartskunst.
Warum sind in der Dauerpräsentation keine Skulpturen zu sehen? Es gibt eine Skulpturensammlung. Sie umfasst 40 große Skulpturen von Henry Moore bis Tony Cragg, von Helen Chadwick bis zu Donald Bachelor. Als Herbert und Rita Batliner 2007 im Konsens mit ihren vier Kindern die Entscheidung getroffen haben, ihre Sammlung der Albertina zu übergeben, haben sie sich dafür entschieden mit Reproduktionen zu leben. Bei Skulpturen geht das nicht. Daher haben wir gesagt, die Skulpturen bleiben in Vaduz.
Mit Reproduktionen anstelle von Kunst zu leben ist eine große Geste der Demut. Herbert und Batliner sehen es als Bereicherung, sich zu Lebzeiten daran zu erfreuen, wie Hunderttausende Menschen vor diesen Bildern stehen, die sie gesammelt haben. Das ist keine Attitüde, sondern eine Lebenspraxis. Es war ihnen immer klar, dass man große Kunst nur für einen gewissen Zeitraum geliehen bekommt. Sie überlebt einen und reicht weit über das eigene Leben hinaus. Deshalb hat das Ehepaar Batliner die Sammlung in die Stiftung eingebracht. Was ein Museum geben kann, ist Dauer.