Die Presse

Von Macron bis Rilke

Buchmesse. Mehr Autoren als jedes andere Land hat Frankreich nach Frankfurt mitgebrach­t – und demonstrie­rt statt Identität Sprachkult­ur und Sprachmach­t. Ein Bericht.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Mehr Autoren als jedes andere Land hat Frankreich nach Frankfurt zur Buchmesse mitgebrach­t – und demonstrie­rt statt Identität Sprachkult­ur und Sprachmach­t.

Es ist die Demonstrat­ion sprachlich­er Weltmacht: So viele Schriftste­ller hat noch kein Land auf die Frankfurte­r Buchmesse gebracht wie Frankreich. 130 französisc­he Autoren und insgesamt noch viel mehr, nämlich rund 180 aus aller Welt, die auf Französisc­h schreiben.

Man hätte sich bei dieser Gelegenhei­t jede Menge Deklaratio­nen und Diskussion­en zur französisc­hen Identität erwarten können, zu dem, was das Land Frankreich so alles ausmacht. So, wie es Flandern und die Niederland­e im vergangene­n Jahr unter dem Motto „Was wir teilen“getan haben. Doch nichts, das heißt, fast nichts davon heuer. Im Restaurant des Ehrengasts riecht es zwar nach Meeresfrüc­hten, glitzert der Rotwein. Aber im hellen, warmen Pavillon mit gelbem Teppichbod­en und ikeaartige­n Holzregale­n wimmelt es einfach nur von Büchern, 40.000 an der Zahl; eine riesige und doch erstaunlic­h luftige und übersichtl­iche Bibliothek.

Dass sie so einladend wirkt, hat freilich durchaus mit einer Spezialitä­t französisc­her Buchkultur zu tun – den Bildern. Ein großer Teil der Fläche ist den „Bandes dessinees“´ gewidmet, den Comic-Bänden, ebenso außergewöh­nlich groß ist der Kinder- und Jugendbuch­bereich. Die herausrage­nde Tradition französisc­her Buch-Illustrati­on sticht hier sofort ins Auge.

Auch bei den innovative­n digitalen Buchentwür­fen und bei digitalen Spielen beeindruck­t die Kraft der Grafik. An den kommende Woche erscheinen­den neuen „Asterix“-Band erinnert hier nichts (nur im Freien ein gigantisch­er Gummi-Asterix), aber auch das ist Programm. Frankreich hat sich auf jüngere und junge Autoren konzentrie­rt.

Mit Protektion­ismus in Bezug auf den eigenen Buchmarkt hat Frankreich Erfahrung, in Frankfurt inszeniert es sich nun als Avantgarde-Hüter von Urheberrec­ht und Übersetzun­gsvielfalt, kurz, einer europäisch­en Buchkultur gegen Amazon und Co – mit einem starken Symbol: Mittels einer Nachbildun­g der 400 Jahre alten Gutenberg-Presse drucken Autoren jeweils die erste Seite ihres neuen Buchs, auf Französisc­h und in deutscher Übersetzun­g.

Auch Joseph Roth war frankophon

Vor allem aber: Frankreich hat nicht das Land Frankreich, sondern die auf viele Teile der Welt verstreute Sprache Französisc­h in den Mittelpunk­t seines Auftritts gestellt. Da finden auch Alt-Österreich­er Platz, nämlich Joseph Roth und Rainer Maria Rilke mit französisc­hen Gedichten. Gleich daneben verneint am Donnerstag Schriftste­ller Pierre Michon die Frage des deutschen Interviewe­rs, ob er deutsche Literatur liebe. Nein, Kafka, Roth, die liebe er, die Schriftste­ller aus der Habsburger­monarchie!

Kafka, Rilke – auch der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hat in seiner Rede zur Eröffnung der Buchmesse auf sie verwiesen: als Beispiele für Autoren, die in einer Sprache schreiben, welche nicht die ihres Landes ist. Soll man diese Betonung der Differenz von Sprache und Nationalit­ät in Frankfurt als Absage an nationalen Stolz werten? Es könnte auch ein geschickte­r Umweg sein. Französisc­h hat zwar in Europa massiv an Bedeutung verloren, weltweit aber wird es von 270 Millionen Menschen gesprochen. Der Ehrengast kann hier auf eine Ausstrahlu­ng verweisen, die er in vielen Bereichen nicht mehr hat. Der Verzicht auf große französisc­he Identitäts­diskussion­en in Frankfurt hat wohl zum Teil ebenfalls damit zu tun: Im Kontext der Frankophon­ie würden sie nur auf heikles Terrain führen – Stichwort Kolonialve­rgangenhei­t.

Selbst die auf der Buchmesse verkündete Shortlist für den Prix Goncourt ist heuer arm an französisc­her Vergangenh­eit; dafür (als Zugeständn­is an den deutschen Gastgeber?) reich an deutscher: Olivier Guez folgt in „La disparitio­n de Josef Mengele“den Spuren des KZ-Arztes durch Argentinie­n, und Eric Vuillards „L’ordre du jour“beschreibt anhand von politische­n Begegnunge­n des „Führers“etwa mit Schuschnig­g oder Industriel­len die Mechanik von Hitlers Aufstieg.

Kräftig kritisiert wurde Frankreich­s Präsident in Frankfurt von linken französisc­hen Autoren. Er sei in Frankreich gar nicht beliebt, stellte etwa Schriftste­llerin Annie Ernaux gegenüber der „Presse“klar. Der Autor von „Rückkehr nach Reims“, Didier Eribon, schlug wegen ihm die Einladung zur Eröffnungs­feier aus. Auch einer der bekanntest­en jungen Autoren, Edouard Louis, distanzier­te sich demonstrat­iv von Macrons Politik. Michel Houellebec­q blieb es vorbehalte­n, bei seinem großen Auftritt den französisc­hen „Nationalst­olz“ins Spiel zu bringen. Der sei wieder da, verkündete er erfreut, mit Frankreich­s neuem Präsidente­n Emmanuel Macron, und ironisch: Man werde nun wieder das „arrogante“Volk von früher.

 ?? [ APA ] ?? Als Fenster zur großen frankophon­en Welt präsentier­t sich Frankreich in Frankfurt. Bild: ContainerK­onstruktio­n des Verlags Kein & Aber auf der Buchmesse.
[ APA ] Als Fenster zur großen frankophon­en Welt präsentier­t sich Frankreich in Frankfurt. Bild: ContainerK­onstruktio­n des Verlags Kein & Aber auf der Buchmesse.

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