Angst vor dem Kater nach der Party
Die längste Kursrally in der Geschichte nährt Befürchtungen einer Überhitzung. Die gute Konjunktur und die Niedrigzinspolitik vieler Notenbanken befeuern die Märkte.
Tokio/NewYork/Frankfurt/Wien. 13.003,14: Tagelang hat der deutsche Leitindex Dax an der Rekordmarke von 13.000 Punkten gekratzt, am Donnerstag hat er sie erstmals geknackt. Die Atempause, die er gestern, Freitag, einlegte, täuscht nicht darüber hinweg, dass sich die Aktienmärkte in der längsten Rally ihrer Geschichte befinden. Weltweit klettern die Indizes von einem Rekord zum nächsten.
Dax und EuroStoxx steigen das sechste Jahr in Folge, so lange wie nie zuvor. Seit Jahresbeginn hat der deutsche Leitindex 13 Prozent zugelegt. Der ATX schlägt ihn heuer mit einem Zuwachs von 27 Prozent um Längen und zählt zu den weltbesten. Ein Plus von 15,50 Prozent kann sich der Dow Jones auf die Fahnen heften. Ebenfalls von Höchststand zu Höchststand eilt der Nikkei, der am Freitag mit 21.013 Punkten den höchsten Stand seit 21 Jahren erreichte. Seit Jahresbeginn gewann der japanische Index 9,96 Prozent.
Treibende Kraft sind die gute Konjunktur, gepaart mit niedrigen Zinsen. Das biete beste Voraussetzungen für die Fortsetzung der Rally, meint Analyst Nobuyuki Kashihara vom Vermögensverwalter One. Allerdings mehren sich Analystenstimmen, die vor Überhitzung warnen. Vor allem die Wall Street, die den Dax mit nach oben gezogen hat, scheint heißgelaufen. Vergleicht man das KursGewinn-Verhältnis (KGV), bleibt dem Dax noch Luft nach oben. Laut Reuters-Daten liegt sein KGV bei knapp 14: Der Kurs der 30 im deutschen Leitindex gelisteten Unternehmen übertrifft den Gewinn je Aktie um das 14-Fache. In der Internet-Blase lag das KGV doppelt so hoch. Beim Dow Jones liegt das KGV bei 20,6, ebenfalls über dem langjährigen Durchschnitt.
Deutsche-Bank-Chef John Cryan sieht in Folge der NiedrigzinsPolitik Anzeichen von Spekulationsblasen bei Aktien, Anleihen und Immobilien. Die europäische Finanzmarktaufsicht warnt ebenfalls vor Risken. EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny sieht vor allem am US-Markt eine erhöhte Gefahr für Abstürze, eine generelle Überbewertung an Europas Börsen sei indes nicht in Sicht. Auch EZB-Chef Mario Draghi gibt sich diesbezüglich gelassen. Erstklassige Gewerbeimmobilien seien der einzige Bereich mit überdehnten Preisen.
Anleihezinsen im Keller
Faktum ist: Die Zinspolitik der Notenbanken hat in zahlreichen Anlageklassen zu kräftigen Preisschüben geführt. Seit der Finanzkrise sind die Geldhähne weit geöffnet. Fed, EZB und die Notenbanken Großbritanniens und Japans pumpten seither Billionen in den Markt. Ein Großteil des billigen Geldes fließt in die Anleihemärkte. Dies drückt die Verzinsung auf Rekordtiefs. Laut den Vermögensverwaltern von JP Morgan rentieren rund 36 Prozent der Staatsanleihen in der Euro-Zone unter null.
Jetzt mehren sich innerhalb der EZB Stimmen für eine Drosselung der expansiven Geldpolitik. Beim EZB-Treffen am 26. Oktober würden die Ratsmitglieder zwar dafür stimmen, das AnleihenKaufprogramm möglicherweise um neun Monate zu verlängern, aber mit einem geringeren Volumen, sagten Insider.
Wie lange hält die Party an den Börsen noch an, und ist der Zeitpunkt für einen Ausstieg schon gekommen? „Aus kurzfristiger Sicht mag es richtig sein, Kasse zu machen“, meint Martin Hüfner, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Assenagon. Langfristig seien die Fundamentaldaten nach wie vor gut. An der guten Konjunktur werde sich auf absehbare Zeit nichts ändern. „Die Überbewertungen in anderen Asset-Klassen, vor allem Bonds, sind viel größer“, betont Hüfner. „Geopolitische Risken werden immer stärker ignoriert“, sagt Anlagestratege Tobias Basse von der NordLB. (eid/ag)