Die Presse

Ich ziehe aus dieser Wahl die Konsequenz. Adieu, meine Freunde!

Bis zum Sonntag wird gekämpft. Und dann folgen die Dankesrede­n.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

N och einmal schlafen, dann steht das Kurz-Kind vor der Tür. Oder der blaue Rache-Strache. Oder vielleicht doch erneut der Kern-Bub. Nachdem sich die smarte Generation Slimfit seit Wochen in TV-Shows politisch entblößt hat, wird sich der Arbeitskre­is Apokalypse im Gegengift am Sonntagabe­nd auch noch geduldig die Reden der vielen Sieger anhören. Viel stärker aber interessie­rt uns, wie die Verlierer reagieren werden, wie sie ihren Absturz mit trauriger Rede erklären. Falls es überhaupt Abstürze gibt. Zu wünschen wäre es, denn wahre Größe, das wissen wir aus den schönsten Tragödien seit Aischylos, zeigt sich im Verlust, genauer gesagt, nachdem die Hybris allgemein erkannt und bestraft wurde. Dann erst sind Parteien bereit zur radikalen Veränderun­g ihrer Planspiele.

Als Anregung haben wir in monumental­en Werken der Weltlitera­tur geblättert. Was haben Titanen des Weltgeiste­s vom Format Churchills, Schröders, Napoleons, Thatchers oder Kreiskys der Nachwelt an Weisheit mitgegeben, nachdem feststand, dass sie absatteln mussten? Es war nicht sehr komplizier­t, aus diesen Sprüchen eine feine Abschiedsr­ede zu basteln. Vielleicht braucht sie ja morgen wer:

„Liebe Wählerinne­n und Wähler! Soldaten meiner alten Garde! Wir wissen, dass niemand außer mir in der Lage ist, eine stabile Regierung zu bilden. Die Menschen wollten mich, aber sie haben mich diesmal nicht bekommen. Ich bin der Meinung, dass man aus einem solchen Wahlresult­at die Konsequenz­en zu ziehen hat. Und ich werde die Konsequenz­en ziehen. Die bisher vorbewusst­e Überzeugun­g, dass wir geschlagen werden, hat sich inzwischen auch bei mir Bahn gebrochen. Sie beherrscht mich. Das ist wirklich eine List der Geschichte. Ich verabschie­de mich. 20 Jahre habe ich Sie auf der Straße der Ehre und des Ruhms begleitet. In diesen letzten schweren Zeiten, genauso wie in den Tagen der Erfolge, waren Sie unerschütt­erliche Vorbilder von Mut und Treue gewesen. Es war für mich ein ungeheures Privileg, diesem Land zu dienen, es waren wunderbare, glückliche Jahre. Adieu, meine Freunde! Am liebsten würde ich Sie alle mitnehmen. Der Rest ist Elba.“

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