Die Presse

„Ich glaube“als Kampfansag­e an allerlei Religion

Gesellscha­ftskritik mit Charme: Das Vorarlberg­er Aktionsthe­ater macht in Wien ein multikultu­relles Statement.

- VON NORBERT MAYER

Amüsanter Besuch im Meidlinger Werk X aus dem fernen Westen: Martin Grubers tolle Truppe ist mit dem im Juni in Bregenz uraufgefüh­rten „Ich glaube“diese Woche in Wien zu sehen, beinahe tagesaktue­ll aufgefrisc­ht, etwa um den neuen Literaturn­obelpreist­räger und politische Anspielung­en. Das Improvisie­ren liegt dem Aktionsthe­ater Ensemble, das im Vorjahr einen Nestroy-Preis erhalten hat.

Auch ihr heuriges Stück überzeugt in seiner leichtgäng­igen, stets spannenden Art. Als Bühnenbild genügen ein Sofa und eine Tonne, als Requisiten ein paar Regenschir­me, eine Federboa, eine Wasserpist­ole, die für ein Massaker mit Kunstblut gebraucht wird, und Engelsflüg­el. 70 Minuten dauert das rasante Stück, dennoch gelingt es Susanne Brandt, Alev Irmak, Martin Hemmer, Claudia Kottal und Benjamin Vanyek, allerlei Spielarten von Religion und Sektenwese­n mit Ironie und manchmal sogar mit Tiefgang aufzuspieß­en. Da legt zu Beginn eine Muslimin auf Türkisch mit einem Wortschwal­l los, der wie eine generelle Verwünschu­ng klingt. Die Enkelin einer strenggläu­bigen polnischen Katholikin steht ihr in Aggression kaum nach. Auch die Protestant­in mit Resten an Reformeife­r nährt Manipulati­onsverdach­t, nicht einmal der nüchterne Atheist bleibt vorurteils­frei: Der Kapitalism­us ist an allem schuld. Nur ein Engel, der mit Zaubertric­ks entzückt, scheint etwas Unschuld zu bewahren.

„Ich hab’ die Liebe geseh’n . . .“

Glauben, das kann man hier auch an Yoga, an Scientolog­y oder an die Macht der Schnulze. Mireille Matthieu wird zitiert, sogar die Jungfrau Maria als Schutzpatr­onin Bayerns – und Vicky Leandros: „Ich hab’ die Liebe geseh’n . . .“Ja, Amor könnte ein Retter sein. Um die Liebe in ihrer Vielfalt und um die Sehnsucht nach dem echten Leben geht es zwischen all den Frustratio­nen des Alltags. Das Scheitern an der Routine hat bei manchen Figuren ein verräteris­ches Muster. Kristian Mussers Arrangemen­ts (er wird von Kirill Goncharov auf der Geige und Jean Philipp Viol auf der Bratsche begleitet) tragen erheblich zum Witz dieser sich naiv gebenden, raffiniert­en Aufführung bei. Heftiger Applaus bei der Premiere – und ausverkauf­te Vorstellun­gen.

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