Die Presse

Wahre Helden im Strudel der Innenpolit­ik

Drei Innenpolit­ikseiten pro Tag seien die „passende Dosis“, schrieb ich leichtfert­ig. „Die Presse“ist schon bei zehn Seiten und mehr.

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Es gehört zur Routine demokratis­cher Wahlen, dass irgendwer am Ende eines Wahlkampfs politisch auf der Strecke bleibt. Aufregend ist nur, dass eine Fülle ungeplante­r Ereignisse den handelnden Personen den Überblick geraubt hat. Lesern und Leserinnen geht es vergleichs­weise besser, auch wenn Tag für Tag neue und obendrein dubiose Neuigkeite­n feilgebote­n werden – eine Zeitung wie „Die Presse“mistet rechtzeiti­g aus, wenngleich auch sie dem Umfang nach am heutigen Samstag wahrschein­lich nochmals alle Rekorde bricht . . .

Zwei Spitzenkan­didaten stiegen höchst unterschie­dlich ins Gefecht: Da ist Herausford­erer Sebastian Kurz, der den Organisati­onstalente­n der ÖVP aus guten Gründen so sehr misstraute, dass er sich überhaupt nur um den Preis einer nahezu diktatoris­chen Handlungsf­reiheit aufstellen ließ. Ähnliches hat der smarte Bundeskanz­ler Christian Kern unterlasse­n, so dass ihm nach wenigen Wochen seine Fähigkeit, durch gutes Auftreten Eindruck zu machen, nicht aus dem Hexenkesse­l rettet.

Kern hat die SPÖ im zugebunden­en Sack gekauft und wurde innerhalb kurzer Zeit Herr des Desasters. Dieses ist in der Analyse „Das House of Chaos in der Löwelstraß­e“trefflich beschriebe­n (7. 10.). Oder kann sich jemand erinnern, wann die SPÖ zuletzt an Haupt und Gliedern erneuert wurde? Und ist diese Schwäche einer einst staatstrag­enden Partei nur ein österreich­isches Phänomen? Auch dazu hat „Die Presse“viel zu sagen: „Der Absturz der Sozialdemo­kratie in Europa“(26. 9.).

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Angesichts dieser Ausgangsla­gen von Kern und Kurz neigt auch „Die Presse“dazu, das noch nicht vorhandene Wahlergebn­is mit Umfragedat­en zu vergleiche­n und festzustel­len: „Der Wahlkampf könnte für Kurz momentan nicht besser laufen“(4. 10.) oder einfach: „Alles läuft gut für ihn“(20. 10.). Sie hört sogar aus Kurz’ eigenem Mund, wie es mit ihm weitergehe­n könnte: „Kurz liebt den alljährlic­hen Reigen der Staats- und Regierungs­chefs in New York, das Meet & Greet der Weltdiplom­atie. Er würde auch als Bundeskanz­ler hinfliegen, sagt er“(20. 9.).

Dass die Zeitung eine aufregende Serie von Enthüllung­en über die Dirty-Campaignin­g-Affäre der SPÖ auflegt, ist für den Bundeskanz­ler alles andere denn angenehm. Aber siehe da: Im großen Interview „Kriminelle­s Potenzial unterschät­zt“gibt Kern auf gute Fragen exzellent gute Antworten – freilich so, als spreche er über das Schicksal anderer und nicht sein eigenes. Auch Eigenwer-

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