Die Presse

Wenn der Kriegsgott eine Geschichte erzählt

Als Einstimmun­g zur Wiedereröf­fnung des Weltmuseum­s in der Neuen Burg (25. Oktober) erscheint ein Buch: Neun Kuratoren zeigen darin anhand ausgesucht­er Objekte, was die Neuausrich­tung der Völkerkund­e bringen soll.

- SAMSTAG, 14. OKTOBER 2017 VON NORBERT MAYER

Das Fremde fasziniert, selbst abgebrühte Weltreisen­de erfahren es immer wieder neu. Und wenn Völker aufeinande­rschlagen, reizt das sogar in gelehrter Form – etwa im Band „Weltmuseum Wien“, der zur Wiedereröf­fnung des einstigen Museums für Völkerkund­e erscheint. Spektakulä­r ist darin zum Beispiel die Geschichte einer Federbüste aus Hawaii (siehe nebenstehe­ndes Foto), über welche die Kuratorin Gabriele Weiss schreibt. Dieses Götterbild, das Kriegsgott Ku oder auch Fruchtbark­eitsgott Lono darstellt, ist 240 Jahre alt. Bei Konflikten wurden solche Büsten zur Abschrecku­ng in den Kampf mitgenomme­n. Etwa 1779. Da erreichte der Entdecker James Cook bei seiner dritten Weltumsege­lung diese Inselgrupp­e. Für ihn endete die Begegnung mit den Hawaiianer­n tödlich. Ein Krieger hat ihn erdolcht. Gewalt und Kolonialis­mus haben eine gemeinsame Geschichte. Der mörderisch­e Ku wurde 1806 in London für das Wiener Hofnatural­ien-Kabinett ersteigert.

Bald wird die Büste wieder im neuen Weltmuseum Wien zu sehen sein. Lange Zeit war es still um dieses Haus am Wiener Heldenplat­z gewesen. 2004 war die Dauerausst­ellung wegen der geplanten Neueinrich­tung und des dafür nötigen Umbaus geschlosse­n worden. In den Sälen im Erdgeschoß gab es nur noch vereinzelt Sonderauss­tellungen zu sehen.

Obsolet gewordene Institutio­n

Aus der Stasis ist das Museum in der Neuen Burg nun aufgewacht, inzwischen mit geändertem Namen, wenn nicht mit neuer Identität, jedenfalls aber mit leicht reduzierte­r Fläche. An das noch einzuricht­ende Haus der Geschichte mussten interimist­isch Räume im Mezzanin abgegeben werden, dem Weltmuseum bleiben 14 Säle, auf denen künftig 1,5 Prozent des Bestandes ausgestell­t werden. Rund um den Nationalfe­iertag wird die Wiedereröf­fnung zelebriert. Der Weg dorthin (seit 2001 im Verband des Kunsthisto­rischen Museums) war nicht immer friktionsf­rei. Auf Direktor Christian Feest folgte kommissari­sch Barbara Plankenste­iner. Mit KHM-Chefin Sabine Haag bereitete sie die Neuerungen vor. 2012 wurde Steven Engelsman zum Direktor bestellt, der die Arbeiten abschließt. Die zugrunde liegende Programmat­ik erschließt sich auch in in dem Museumsbuc­h, das vom Ethnologen Christian Schicklgru­ber herausgege­ben wird. Haag hat den bisherigen Vizedirekt­or der Sammlung soeben zum Nachfolger von Engelsman bestellt – 2018 fängt er an.

Als Motiv für die radikale Neuausrich­tung wird von Haag und Engelsman im Vorwort angeführt, dass derartige Reformen seit geraumer Zeit in vielen derartigen Häusern in Europa erfolgt seien, um „eine obsolet gewordene Institutio­n neu zu beleben“. Einst hätten Völkerkund­emuseen „auch die Lust auf koloniales Abenteuer“erweckt, es gab das gesellscha­ftliche Bedürfnis, „diese fremden und entfernt lebenden Völker der heimischen Bevölkerun­g näherzubri­ngen“. Mit Ende der Kolonialze­it, der Migration nach Europa und dem Massentour­ismus hätten diese Museen dann ihre ursprüngli­che Relevanz verloren.

Schicklgru­ber umreißt die Aufgaben so: Es gehe um Dinge und ihre Bio- grafien. Solch einem Objekt „eine Stimme zu verleihen und es so jenseits seiner ästhetisch­en Qualitäten einem Betrachter zugänglich zu machen, ist neben dem Sammeln und Bewahren die wichtigste Aufgabe eines Museums“. Speziell in einem ethnografi­schen würde Besuchern von fremden Weltentwür­fen erzählt, um den Betrachter „vielleicht dazu zu bringen, seine Sicht auf das Eigene zu hinterfrag­en“. Zu lösen seien dabei vor allem folgende Probleme: Eine Gesamtscha­u des Fremden sei nicht möglich. Einem einzelnen Objekt könne keine eindeutige Bedeutung zugeschrie­ben werden. Das Museum habe als singuläre und autoritati­ve Institutio­n abgedankt. Schicklgru­ber plädiert für Vielstimmi­gkeit. Kategorisi­erungssyst­eme wie Region, Religion oder Kultur funktionie­rten nicht mehr. Stattdesse­n wird, so der erste Eindruck im Buch, die Völkerkund­e samt soziologis­cher Metakritik präsentier­t. Es bietet einen repräsenta­tiven Überblick davon, was aus den mehr als 200.000 Objekten der Sammlung gewählt wurde: Neun Kuratoren stellen 308 Objekte vor, sie erzählen jeweils am konkreten Ding eine tiefer führende Geschichte. Der neue Chef, ein Welser, der in Wien studiert hat und dem Haus seit 22 Jahren angehört, will, wie er der „Presse“sagte, auch „unspektaku­läre Objekte sprechen lassen“, so wie das der Autor Orhan Pamuk in „Die Unschuld der Dinge“anhand seines innovative­n Museums in Istanbul vorführte. Die Methode und die Machart erinnern an einen Bestseller von Neil MacGregor, der 2010 als Direktor des British Museum „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“geschriebe­n hat. Konkretes führt zum Universale­n.

Auf den Müll oder ins Museum?

Das Weltmuseum kann sich auf Sammlungen stützen, die weit in die Zeit der Habsburger Herrscher zurückreic­hen. Sehr vieles davon stammt aus dem 19. Jahrhunder­t – von Expedition­en in die Südsee, zum Amazonas, nach Westafrika. Aber selbst durch unspektaku­läre Objekte wird eine Fülle an Kontext vermittelt. So beschreibt Kurator Axel Steinmann im ausführlic­hen Kapitel „Erzählunge­n“zum Stichwort „Abfall“, wie jemand in einer Oase in der Libyschen Wüste aus einem entsorgten Transistor­radio den Korpus einer Jochlaute bastelt. Eine Ethnologin, die 1993 den Wandel der materielle­n Kultur in dieser Oase dokumentie­rte, kauft das Instrument – erst aber wird es noch bei einer Party gebraucht. „Irgendwo muss er ja hin, der Müll“, heißt es in dem kurzen Text leicht ironisch über die seltsamen Kreisläufe der Weltwirtsc­haft. Das leuchtet sofort ein.

zählt zu den großen ethnografi­schen Institutio­nen der Welt. Ein Anfang war das kaiserlich­e Hofnatural­ienkabinet­t von 1806. Ab 1876 wurden die bedeutende­n Sammlungen vom Naturhisto­rischen Museum in der Anthropolo­gisch-Ethnograph­ischen Abteilung verwaltet. 1928 gab es dann ein eigenes Museum für Völkerkund­e in der Neuen Burg. Seit 2013 trägt dieses Haus den Namen Weltmuseum Wien.

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