Wenn der Kriegsgott eine Geschichte erzählt
Als Einstimmung zur Wiedereröffnung des Weltmuseums in der Neuen Burg (25. Oktober) erscheint ein Buch: Neun Kuratoren zeigen darin anhand ausgesuchter Objekte, was die Neuausrichtung der Völkerkunde bringen soll.
Das Fremde fasziniert, selbst abgebrühte Weltreisende erfahren es immer wieder neu. Und wenn Völker aufeinanderschlagen, reizt das sogar in gelehrter Form – etwa im Band „Weltmuseum Wien“, der zur Wiedereröffnung des einstigen Museums für Völkerkunde erscheint. Spektakulär ist darin zum Beispiel die Geschichte einer Federbüste aus Hawaii (siehe nebenstehendes Foto), über welche die Kuratorin Gabriele Weiss schreibt. Dieses Götterbild, das Kriegsgott Ku oder auch Fruchtbarkeitsgott Lono darstellt, ist 240 Jahre alt. Bei Konflikten wurden solche Büsten zur Abschreckung in den Kampf mitgenommen. Etwa 1779. Da erreichte der Entdecker James Cook bei seiner dritten Weltumsegelung diese Inselgruppe. Für ihn endete die Begegnung mit den Hawaiianern tödlich. Ein Krieger hat ihn erdolcht. Gewalt und Kolonialismus haben eine gemeinsame Geschichte. Der mörderische Ku wurde 1806 in London für das Wiener Hofnaturalien-Kabinett ersteigert.
Bald wird die Büste wieder im neuen Weltmuseum Wien zu sehen sein. Lange Zeit war es still um dieses Haus am Wiener Heldenplatz gewesen. 2004 war die Dauerausstellung wegen der geplanten Neueinrichtung und des dafür nötigen Umbaus geschlossen worden. In den Sälen im Erdgeschoß gab es nur noch vereinzelt Sonderausstellungen zu sehen.
Obsolet gewordene Institution
Aus der Stasis ist das Museum in der Neuen Burg nun aufgewacht, inzwischen mit geändertem Namen, wenn nicht mit neuer Identität, jedenfalls aber mit leicht reduzierter Fläche. An das noch einzurichtende Haus der Geschichte mussten interimistisch Räume im Mezzanin abgegeben werden, dem Weltmuseum bleiben 14 Säle, auf denen künftig 1,5 Prozent des Bestandes ausgestellt werden. Rund um den Nationalfeiertag wird die Wiedereröffnung zelebriert. Der Weg dorthin (seit 2001 im Verband des Kunsthistorischen Museums) war nicht immer friktionsfrei. Auf Direktor Christian Feest folgte kommissarisch Barbara Plankensteiner. Mit KHM-Chefin Sabine Haag bereitete sie die Neuerungen vor. 2012 wurde Steven Engelsman zum Direktor bestellt, der die Arbeiten abschließt. Die zugrunde liegende Programmatik erschließt sich auch in in dem Museumsbuch, das vom Ethnologen Christian Schicklgruber herausgegeben wird. Haag hat den bisherigen Vizedirektor der Sammlung soeben zum Nachfolger von Engelsman bestellt – 2018 fängt er an.
Als Motiv für die radikale Neuausrichtung wird von Haag und Engelsman im Vorwort angeführt, dass derartige Reformen seit geraumer Zeit in vielen derartigen Häusern in Europa erfolgt seien, um „eine obsolet gewordene Institution neu zu beleben“. Einst hätten Völkerkundemuseen „auch die Lust auf koloniales Abenteuer“erweckt, es gab das gesellschaftliche Bedürfnis, „diese fremden und entfernt lebenden Völker der heimischen Bevölkerung näherzubringen“. Mit Ende der Kolonialzeit, der Migration nach Europa und dem Massentourismus hätten diese Museen dann ihre ursprüngliche Relevanz verloren.
Schicklgruber umreißt die Aufgaben so: Es gehe um Dinge und ihre Bio- grafien. Solch einem Objekt „eine Stimme zu verleihen und es so jenseits seiner ästhetischen Qualitäten einem Betrachter zugänglich zu machen, ist neben dem Sammeln und Bewahren die wichtigste Aufgabe eines Museums“. Speziell in einem ethnografischen würde Besuchern von fremden Weltentwürfen erzählt, um den Betrachter „vielleicht dazu zu bringen, seine Sicht auf das Eigene zu hinterfragen“. Zu lösen seien dabei vor allem folgende Probleme: Eine Gesamtschau des Fremden sei nicht möglich. Einem einzelnen Objekt könne keine eindeutige Bedeutung zugeschrieben werden. Das Museum habe als singuläre und autoritative Institution abgedankt. Schicklgruber plädiert für Vielstimmigkeit. Kategorisierungssysteme wie Region, Religion oder Kultur funktionierten nicht mehr. Stattdessen wird, so der erste Eindruck im Buch, die Völkerkunde samt soziologischer Metakritik präsentiert. Es bietet einen repräsentativen Überblick davon, was aus den mehr als 200.000 Objekten der Sammlung gewählt wurde: Neun Kuratoren stellen 308 Objekte vor, sie erzählen jeweils am konkreten Ding eine tiefer führende Geschichte. Der neue Chef, ein Welser, der in Wien studiert hat und dem Haus seit 22 Jahren angehört, will, wie er der „Presse“sagte, auch „unspektakuläre Objekte sprechen lassen“, so wie das der Autor Orhan Pamuk in „Die Unschuld der Dinge“anhand seines innovativen Museums in Istanbul vorführte. Die Methode und die Machart erinnern an einen Bestseller von Neil MacGregor, der 2010 als Direktor des British Museum „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“geschrieben hat. Konkretes führt zum Universalen.
Auf den Müll oder ins Museum?
Das Weltmuseum kann sich auf Sammlungen stützen, die weit in die Zeit der Habsburger Herrscher zurückreichen. Sehr vieles davon stammt aus dem 19. Jahrhundert – von Expeditionen in die Südsee, zum Amazonas, nach Westafrika. Aber selbst durch unspektakuläre Objekte wird eine Fülle an Kontext vermittelt. So beschreibt Kurator Axel Steinmann im ausführlichen Kapitel „Erzählungen“zum Stichwort „Abfall“, wie jemand in einer Oase in der Libyschen Wüste aus einem entsorgten Transistorradio den Korpus einer Jochlaute bastelt. Eine Ethnologin, die 1993 den Wandel der materiellen Kultur in dieser Oase dokumentierte, kauft das Instrument – erst aber wird es noch bei einer Party gebraucht. „Irgendwo muss er ja hin, der Müll“, heißt es in dem kurzen Text leicht ironisch über die seltsamen Kreisläufe der Weltwirtschaft. Das leuchtet sofort ein.
zählt zu den großen ethnografischen Institutionen der Welt. Ein Anfang war das kaiserliche Hofnaturalienkabinett von 1806. Ab 1876 wurden die bedeutenden Sammlungen vom Naturhistorischen Museum in der Anthropologisch-Ethnographischen Abteilung verwaltet. 1928 gab es dann ein eigenes Museum für Völkerkunde in der Neuen Burg. Seit 2013 trägt dieses Haus den Namen Weltmuseum Wien.