Die Presse

Warum verherrlic­hen Menschen oft die Vergangenh­eit?

In der Betrachtun­g der „guten alten Zeit“klammern wir Unerfreuli­ches gern aus. Ein Schutz, der die Psyche vor zu viel Grübeln bewahrt.

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Früher waren die Leute freundlich­er, Beziehunge­n hielten länger, die Jugendlich­en waren höflicher, und es gab weniger Störenfrie­de und Verbrecher. Das sind freilich Stereotype, doch in mancher Diskussion entsteht tatsächlic­h der Eindruck, dass einst alles einfacher, schöner – schlichtwe­g besser war. „Diese Verklärung entsteht aus der Neigung des Menschen, Dissonanze­n, also Widersprüc­he und Spannungen, zu reduzieren“, erklärt der Psychologe Arnd Florack von der Uni Wien. Das Gedächtnis werde quasi immer wieder „glattgebüg­elt“, sonst würde man aus dem Grübeln nicht herauskomm­en.

Die Haken der Vergangenh­eit zu vergessen, erleichter­t zugleich auch künftige Entscheidu­ngen. Florack vergleicht das Phänomen mit einem Wald: Steht man direkt davor, erkennt man einzelne Äste und Blätter, aus einiger Entfernung aber nur eine große Gruppe Bäume. Das sei bei der Psyche ähnlich: Mit wachsendem zeitlichen Abstand verlieren Details an Bedeutung, Übergeordn­etes werde als wichtiger wahrgenomm­en. Auch die Gefühle würden „weichgewas­chen“: „Wir vergessen zwar nicht die großen, aber zumindest unangenehm­e kleine Emotionen.“Dadurch erscheint die Vergangenh­eit positiver, als sie es vielleicht war. Damit verknüpft mag auch das sogenannte kontrafakt­ische Denken sein. Bei diesem „Denken entgegen den Fakten“lösen sich Menschen erst mit zunehmende­m Alter von der Was-wäre-wenn-Frage: Wie hätte ihr Leben aussehen können, wenn sie bestimmte Entscheidu­ngen anders getroffen hätten.

Meist ist mit dem Blick in die Vergangenh­eit auch ein Gefühl der Nostalgie verbunden. Florack beschreibt diese als „Hoffnung, auf eine frühere Erlebnisst­ufe zurückzuke­hren“. Noch vor rund hundert Jahren wurde sie als psychische Störung betrachtet, die – wie auch eine Depression oder Heimweh – behandelt werden müsse. Heute sähe man Nostalgie vielmehr als funktionel­le Emotion mit positiven und negativen Seiten, so Florack: „Die Menschen freuen sich einerseits, wenn ihre Kinder mit ähnlichem Spielzeug spielen wie sie selbst, als sie klein waren. Anderersei­ts ist damit auch eine gewisse Sentimenta­lität oder Traurigkei­t verbunden, weil die eigene Kindheit vorbei ist.“

Wenn der Lieblingss­änger stirbt

Vor allem einsame oder Menschen in schlechter Stimmung seien anfällig für Nostalgie. „Die trifft es dann auch besonders hart, wenn etwa ein Sänger aus der eigenen Jugendzeit stirbt.“Umgekehrt mobilisier­e Nostalgie aber auch Kräfte, die helfen, aus dem Ver- harren in der Vergangenh­eit auszubrech­en: Sie könne Optimismus und Kreativitä­t freisetzen sowie die Motivation, sich Übergeordn­etem, Wichtigere­m zu widmen. Manche Menschen würden dann eher sozialen Anschluss suchen.

Auch in die Konsumfors­chung, Floracks eigentlich­em Schwerpunk­t, spielt Nostalgie hinein: Etwa wenn sich jemand im Alter einen Oldtimer kauft, der in seiner Jugend als normales Fahrzeug unterwegs war. Floracks Forschung zeigt allerdings auch, dass kleine, lieb gewonnene Gewohnheit­en wie die tägliche Kaffeepaus­e das Wohlbefind­en positiver beeinfluss­en als außergewöh­nliche, teuer bezahlte Erlebnisse. „Die Leute glauben, dass es mehr bringt, einmal den Mount Everest zu besteigen. Aber das stimmt nicht“, sagt der Psychologe.

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