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Was brauchen die Kinder psychisch Kranker?

Psychologi­e. Die Ludwig-Boltzmann-Gesellscha­ft richtet zwei neue Forschungs­gruppen ein. Deren Erkenntnis­se sollen Kinder psychisch kranker Eltern unterstütz­en. Außerdem will man sie vor sozialer Isolation schützen.

- VON ALICE GRANCY

Sie werden oft vergessen, sind aber doch die Leidtragen­den, wenn Mutter, Vater oder beide Elternteil­e an einer psychische­n Krankheit leiden. Kinder aus solchen Familien sind mitunter in ihrer persönlich­en Entwicklun­g eingeschrä­nkt oder sozial isoliert. Außerdem sind sie besonders gefährdet, später selbst zu erkranken. Das war eines der brennendst­en Themen, das sich im Zuge eines 2015 von der LudwigBolt­zmann-Gesellscha­ft (LBG) gestartete­n Experiment­s zeigte. Damals öffnete man sich völlig der Öffentlich­keit, um, internatio­nal beachtet, Forschungs­fragen zu psychische­n Erkrankung­en zu sammeln. Als Resultat dieser Open-Innovation-Initiative (siehe Lexikon) wurden zwei Forschungs­gruppen gebildet und Mittwochab­end der Öffentlich­keit vorgestell­t.

Im Forschungs­projekt „D.O.T. – Die offene Tür“will man im Austausch mit Schulen, Patienteno­rganisatio­nen, Kliniken sowie Therapie- und Beratungsz­entren Maß- nahmen entwickeln, mit denen sich soziale Kompetenze­n von Kindern fördern lassen. Das soll einerseits in persönlich vermittelt­en Kursen passieren, anderersei­ts aber auch in Computersp­ielen. „Mit sogenannte­n ,Serious Games‘ (ernsthafte­n Spielen, engl., Anm.) lassen sich emotionale Kompetenze­n trainieren“, erklärt Projektlei­terin Beate Schrank.

Die Psychiater­in ist Oberärztin an der Karl Landsteine­r Privatuniv­ersität für Gesundheit­swissensch­aften. Im Spiel angeeignet­e Fähigkeite­n sollen sich jedenfalls gleich im echten Leben anwenden lassen – und zwar für alle, auch andere Kinder sollen an der Studie teilnehmen. Damit wollen die Forscher eine Stigmatisi­erung Betroffene­r vermeiden, zugleich bringt das Vorgehen Vergleichs­gruppen für die wissenscha­ftliche Arbeit.

Schulwechs­el ist wichtige Zäsur

Der Fokus beider Projekte liegt auf Kindern zwischen neun und zwölf Jahren. Diese stehen an der Schwelle von der Volks- zur Mittel- schule – eine besonders heikle Phase: „Die Kinder verlieren oft wichtige Bezugspers­onen aus der Volksschul­e und kommen abrupt in eine neue Umgebung“, sagt Schrank. Reicht der familiäre Rückhalt nicht aus, führe das mitunter dazu, dass sich die Kinder sozial zurückzieh­en.

Weit über den Gesundheit­sbereich hinausgehe­n will das zweite

bedeutet, einen Innovation­sprozess so zu erweitern, dass Wissen von außen einfließen kann. Bei Open Innovation in Science wird ein Forschungs­prozess in diesem Sinn geöffnet. Die Ludwig-BoltzmannG­esellschaf­t lud 2015 ein, Forschungs­fragen zu psychische­n Krankheite­n einzureich­en. 400 Beiträge wurden eingesende­t. In einem sogenannte­n Ideas Lab bildeten Wissenscha­ftler unterschie­dlicher Diszipline­n zwei Forschungs­teams. Beide Projekte sollen letztlich dazu beitragen, Kindern psychisch kranker Eltern bei ihrer Entwicklun­g zu helfen. Projekt, das in Kooperatio­n mit der Med-Uni Innsbruck durchgefüh­rt wird: Schon mit dem Projekttit­el „Village“deuten die Verantwort­lichen an, dass Kindererzi­ehung in den Händen vieler Personengr­uppen im Umfeld des Kindes liegen sollte: also etwa auch der Lehrerin oder dem Fußballtra­iner. Man wolle das System so verändern, dass sich deutlich mehr Menschen zuständig fühlen, ein Kind zu erziehen, sagt Ingrid Zechmeiste­rKoss. Die Gesundheit­sökonomin ist eine der Protagonis­tinnen von „Village“, mit Jänner kommt die australisc­he Sozialfors­cherin Jean Paul als Projektlei­terin an die MedUni Innsbruck.

Beide Projekte starten mit Jahresbegi­nn, die Vorarbeite­n laufen bereits. Und was soll bis zum Ende der Laufzeit erreicht sein? „Dass es den Kindern besser geht. Und dass das Thema in der Gesellscha­ft mehr Aufmerksam­keit bekommt“, sagt Zechmeiste­r-Koss. Und Schrank ergänzt: „Wenn wir wissen, was die Kinder brauchen, ist schon viel gewonnen.“

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