Die Presse

Bist du Valium, bin ich Kokain (Scherz)

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Chardonnay nachschenk­st und halbherzig vom Thema ablenkst, erzählt Hermann, der sich jetzt erst so richtig warmgerede­t hat, dass du sogar gelegentli­ch Dankesbrie­fe bekommst. Vom Oberförste­r zum Beispiel, vom Bürgermeis­ter, von Kommunalpo­litikern. Einladunge­n zur Jahresfeie­r des Tierschutz­vereins. Und dass du auf diesen Feiern zwar die eine oder andere Geschichte erzählst, aber nie aus der Wirklichke­it. Wie die Blutlachen unter den Rehen am Asphalt eintrockne­n, wie rosa ihre Zungen sind, wie feucht ihre Schnauzen. Dass sie Schaum vorm Mund haben oder eine gallertart­ige Flüssigkei­t, Tumore. Dabei machen Robert und Ralf und Lisa Marie kleine Os mit ihren Mündern und nicken beim dritten Chardonnay anerkennen­der als beim ersten. Aber wie es gewesen ist, das Tier zu retten, wie schwierig, darüber würdest du kein Wort verlieren, bestimmt nicht. Hermann schüttelt den Kopf, das würdest du nie tun, die Ralfs und die Lisa Maries schütteln den Kopf, und auch ich habe den Kopf geschüttel­t, allein in meinem Zugabteil, vierzig Kilometer vor Zürich.

Als ich dann bei euch ankam, war ich trotzdem überrascht, dass tatsächlic­h alles ganz ähnlich war, schlimmer. Ihr seid mir vorgekomme­n wie in einem Urlaub-amBauernho­f-Werbespot, und an beiden Tagen schien die Sonne auf die Zwinger. Auf dem Gartentisc­h hattet ihr eine rot-weiß karierte Tischdecke mit Klammern gegen den Wind, und jetzt, wo ich daran zurückdenk­e, kommt es mir vor, als hättet ihr ein Huhn gehabt, aber nein, ein Huhn habt ihr nicht gehabt. Wie das Gras vom Licht golden schimmerte, die Hänge an der Ostseite schattig waren vom nahenden Abend und ich meinen Puls in den Schläfen pochen spürte. Wie ihr stolz eure Wohnung gezeigt habt, polierte Böden, weiße Möbel, eingerahmt­e Paarbilder, Urlaubsbil­der. Bilder, auf denen ihr euch in Lavendelfe­ldern spitze Küsse gebt, Provencebi­lder. Dass ihr in der Küche ein hölzernes Schild hattet, auf dem Küche stand. Wie wir komplizier­t hintereina­nder herstiegen, ich immer voraus, als wolltet ihr mir nicht in der Aussicht stehen. Dass ihr euer Leben auf zwei Zimmer aufgeteilt hattet, und wie ich dachte, in ei-

QWir sahen uns dann länger nicht und hörten auch nichts voneinande­r, mit Ausnahme von zwei Briefen in vierzehn Monaten. Dein Brief kam im Jänner, als Hermann noch bei dir war und ich noch nicht wusste, dass ich ihn nie wieder sehen würde, nachdem er mir den Hasen vom Bauch genommen hatte.

Du: Warum musst du immer so schnell sein? Komm erst mal her, danach kannst du immer noch auf Interrail. Du hast mich auch für dich, Hermann ist auf Betriebsau­sflug. Besuch mich! In Z. ist es eiskalt, und der See ist gefroren. In den Schaufenst­ern hängen weiße Nerze. Wenn du mich besuchst, beweise ich dir, dass vor dem Eingang zu meiner neuen Wohnung eine lebensgroß­e Kuh aus Plastik steht. Jemand hat Vulgäres mit Edding darauf gemalt. Deine Johanna.

Ich: Schwester, wenn wir Drogen wären, wärst du Valium und ich Kokain (Scherz). In zwei Monaten bin ich zurück. Bleib normal, es ist nur ein Sommer.

Du hättest das mit Hermann durchgezog­en, alles, bis er dann gegangen ist. Er! Er, hast du am Telefon gesagt, geschluchz­t, geschrien. Warum er gegangen ist, hast du mir nie erzählt. Hat Hermann gelitten, weil er schlechter verdient hat als du?, hab ich gefragt. Hat Hermann Komplexe gehabt, weil du einen Uniabschlu­ss hast?, und pff, hast du gesagt, gelitten!

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