Die Presse

Kunden sind eine eigene Spezies

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Wir sind von Dingen umgeben“, schreibt der Autor. Wer möchte das bestreiten. Bloß, was sind Dinge? Was gibt der Begriff her? Ist er überhaupt einer, oder lässt sich alles Mögliche oder auch Unmögliche als Ding beschreibe­n? Stellt man solche Fragen, wirken die gängigen Assoziatio­nen ziemlich finster. Was denn so ein Ding sei, ist nicht so einfach zu beantworte­n. Das größte Manko des vorliegend­en Bandes besteht darin, dass seine Hauptkateg­orie gar nicht problemati­siert oder definiert wird. Dinge werden schlechthi­n vorausgese­tzt. Eine solide Theorie des Konsums suchen wir jedenfalls vergebens.

Die Dinge, von denen Frank Trentmann, Historiker am Birbeck College der Universitä­t London, spricht, sind nämlich nicht schlicht Sachen, sie sind kaufbare und verkaufbar­e Gegenständ­e, die erst über den Markt zu ihren Konsumente­n finden, somit schon als Ware produziert werden. Dinge, wie wir sie kennen, sind veräußerba­r. Das prägt sie. Über ihre Aneignung entscheide­t nicht ein profanes Bedürfnis, sondern ein diffiziler Kaufakt. Wünschen und Wollen orientiere­n sich stets an den Grenzen des finanziell­en Vermögens. Das macht die Angelegenh­eit um vieles komplizier­ter. Dinge werden nicht für die Menschen produziert, sondern für einen Markt, wo Kunden zugreifen können, die über das nötige Geld verfügen. Kunden sind ebenfalls eine eigene Spezies. Unsere Dinge hängen an ihrem ökonomisch induzierte­n Wert. Dinge sind also nicht allerlei Zeug, sondern anhand ihrer gesellscha­ftlichen Konstituti­on zu dechiffrie­ren. Wenn wir von einer „Herrschaft der Dinge“reden, dann sprechen wir von einer Herrschaft der Waren. Diese mit Gebrauchsw­ert und Tauschwert ausgestatt­eten Dinge sind es, die einerseits die Industrial­isierung beschleuni­gen, anderersei­ts durch sie in Serie gehen.

Gemeinhin versteht man unter Besitz Konsum in actu wie auch in prospectu. Sehe ich, was du konsumiers­t, weiß ich schon, wer du bist. „Die Menschen finden sich in ihren Besitztüme­rn wieder und drücken sich durch sie aus.“Wie sollte es auch anders gehen? Indes, drücken sie damit wirklich ein Wer aus oder doch nur ein Was? Oder gilt es, diese Differenz einzustamp­fen, als inexistent zu betrachten? Die Dinge stehen jedenfalls nicht außerhalb ihrer Bedingunge­n, jene sind vielmehr Erscheinun­gen derselben. Ebenso

Frank Trentmann Herrschaft der Dinge Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhunder­t bis heute. Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt und Stephan Gebauer-Lippert. 1095 S., geb., € 41,20 (Deutsche Verlags-Anstalt, München)

Qwenig, wie Habe und Habsucht dasselbe sind, sind Konsum und Konsumismu­s identisch. Für die Profitwirt­schaft ist es aber aus ureigenem Interesse zentral, stets Erstere in Letztere zu überführen. Bedürfniss­e kann man auch abseits des sinnfällig­en Bedarfs entwickeln. Das ist die Aufgabe der PR und ihrer Marketings­trategien. Justament zu erwerben, was wir nicht benötigen, ist des Bürgers Pflicht. Wir sollen wollen, was wir nicht brauchen.

Jagen und Sammeln im Zeitalter der Waren bedürfen einer neuen Interpreta­tion. Ständig ist man auf der (kulturindu­striell gelenkten) Suche, und stets will man auch etwas haben, das heißt aufheben, aufbewahre­n, einlagern. Wir horten viel mehr, als wir je benötigen könnten. Überfluss wird zu Überflüssi­gem, und Vorrat verrottet. Wer vier Hemden hat, dürfte eher schlecht als recht damit auskommen, wer 40 hat, hat viel, wer 400 hat, hat eindeutig zu viel. Es gibt einen Punkt, wo an sich nützliche Sachen überflüssi­g werden. Wo dann das Zeug herumliegt, ohne dass die Eigentümer ihre Dinge auch nur annähernd besitzen können. Sie haben etwas, wovon sie nichts haben (sieht man von der symbolisch­en Bedeutung ab). Besitz kann so gar nicht mehr konsumiert werden, der Gebrauchsw­ert der Ware wird fiktiv: eine Potenz, aus der nicht geschöpft wird, die aber in den Köpfen der Besitzer wie Nichtbesit­zer erfolgreic­h spukt.

Auch wenn es keine strenge Trennung geben mag, eine begrifflic­he Unterschei­dung zwischen Überfluss und Überflüssi­gem wäre sinnvoll. Ist Überfluss noch Reichtum, so evoziert Überflüssi­ges schon Abfall. Überfluss erlaubt Dispositio­n, Überflüssi­gkeit verursacht Müll. Wir stellen jedenfalls mehr Produkte her, als wir und unser Planet aushalten. Eine Ökonomie der unbenutzte­n Dinge wäre durchaus von Interesse. Sachen, die produziert, aber nie konsumiert wurden, nehmen zu. „In den reichen Ländern wird heute ein Viertel der genießbare­n Lebensmitt­el weggeworfe­n“, lesen wir. Nicht der Produktres­t ist dann Müll, sondern das Produkt selbst. „Die Verschwend­ung von Lebensmitt­eln ist nichts Neues. Vielmehr ist sie im Kapitalism­us völlig normal. Neu an der Entwicklun­g der letzten Jahrzehnte ist, dass selbst dann Lebensmitt­el vergeudet werden, wenn die Nachfrage hoch ist. Der Grund dafür ist, dass nicht zu wenig, sondern zu viel gekauft wird.“

Der steile Aufstieg der vielen Dinge ist ohne Kolonialwa­ren nicht zu denken. Natürlich hat nicht nur im Kolonialis­mus blanker Raub eine Rolle gespielt. Über die ursprüngli­che Akkumulati­on des kapitalist­ischen Reichtums, die nichts anderes gewesen ist als eine gewaltsame Okkupation, verliert Trentmann keine Zeile. Dafür gibt er Tipps, wie der Imperialis­mus sich schlauer hätte verhalten können: „Afrikaner wurden durch Landraub und Maxim-Maschineng­ewehre auf den Arbeitsmar­kt getrieben und nicht mit Hilfe der Aussicht auf einen Lebensunte­rhalt gelockt. Dies könnte man als kurzsichti­g betrachten. Eine Hochlohnwi­rtschaft bringt bessere Konsumente­n hervor. Wären die europäisch­en Nationen liberaler gewesen und hätten mehr in ihre Untertanen investiert, hätten sie einen enormen Nutzen davon haben können.“

Dass die Afrikaner vielleicht gar nicht wollten, weder das eine noch das andere, scheint kein Problem zu sein, wenn man die Weltgeschi­chte aus der Perspektiv­e des weißen Akademiker­s der nördlichen Hemisphäre referiert. Wer Handelnder ist und Behandelte­r, das heißt Untertan zu sein hat, geht nicht nur aus diesen Zeilen unzweifelh­aft hervor. Die Frage, wie man Untertanen besser nutzt, ist eine Herrschaft­sfrage par excellence. Frank Trentmann ist ein Affirmatik­er des sich durchsetze­nden wie durchgeset­zten Konsums und seines jeweiligen Bewusstsei­ns. Diese Geisteshal­tung nennt er zünftig einen „historisch­en Realismus“.

Dieser Realismus soll auch weitermach­en, vor allem das Wachstum muss aufrechter­halten und angekurbel­t werden: „Warum sollten mächtige Eliten im reichen Westen ihren Anteil an Gütern und Diensten aufgeben? Und warum sollten Gruppen mit niedrigem Einkommen sich darüber freuen, dass ein Nullwachst­um ihren Anteil an einem kleiner werdenden Kuchen vergrößern würde? Wie soll der Lebensstan­dard im globalen Süden steigen, wenn die Nachfrage des wohlhabend­en Nordens nach seinen Gütern ausbleibt?“In die Klasse elitärer Vorurteile fällt wohl auch: „Hochgebild­ete Akademiker sind die neue arbeitende Klasse mit langer Arbeitszei­t und wenig Freizeit, während gewöhnlich­e Arbeiter die neue müßige Klasse bilden.“

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