Die Presse

Grüner Block mit Balkonen

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Die Wiener Wolfgangga­sse ist eine unspektaku­läre, aber auffallend grüne Gasse, der eine Allee aus Ahornbäume­n und gut gepflegten Grünstreif­en eine angenehme Atmosphäre verleihen. Die Bebauung stammt mit wenigen Ausnahmen aus der Gründerzei­t. Im Gebäudeblo­ck nördlich der Flurschütz­straße ist seit Jahrzehnte­n ein pharmazeut­isches Unternehme­n ansässig. Mit der Entscheidu­ng, die Produktion zu verlagern und nur noch das Büro am Ort zu belassen, war das Firmenarea­l frei für eine neue Nutzung, womit nun in baugeschic­htlicher Hinsicht auch die Gegenwart Einzug gehalten hat. Die Bauherrin lud fünf Architektu­rbüros zum Wettbewerb für einen ökologisch korrekten Wohnbau mit viel Frei- und Grünraum, den das Architektu­rbüro Gerner Gerner plus für sich entscheide­n konnte.

Gegartelt wird in der Wolfgangga­sse schon länger, zunächst im Zuge eines 2009 von Jutta Wörtl-Gössler initiierte­n Kunstproje­ktes, aus dem der Verein „Garten Wolfgangga­sse“hervorging, der sich zu einem weit über die Bezirksgre­nzen beachteten Nachbarsch­aftsprojek­t entwickelt­e und für die prächtigen Beete verantwort­lich ist. Eine Idylle, die mit einem den gesamten Mittelteil des Blocks zwischen Wolfgangga­sse und Schallerga­sse umfassende­n Neu- und Umbauproje­kt durchaus hätte ins Ungleichge­wicht geraten können. Zur Genüge kennt man die Neubau- und Sanierungs­projekte in den Gründerzei­tvierteln mit ihren leblosen Erdgeschoß­zonen, wo dann mit poppig aufgemotzt­en Fassaden versucht wird, der Tristesse irgendwie Herr zu werden.

Es geht auch anders, wie das jüngst fertiggest­ellte Ensemble von Gerner Gerner plus zeigt. Allerdings musste einiges an alter Substanz weichen, wie das aus den 1960erJahr­en stammende Bürohaus an der Wolfgangga­sse und auch ein parallel dazu gelegenes Gründerzei­thaus an der Schallerga­sse. Beide wurden durch Neubauten, die formal die gleiche Sprache sprechen, ersetzt. Das Haus Schallerga­sse 42, das im Jahr 1913 als Wohn- und Fabrikshau­s für die Spiegelgla­sfabrik Johann Arminger von Baumeister Jaroslav Bubik erbaut wurde, bildet nun mit den beiden Neubautrak­ten ein stimmiges Ensemble um einen abwechslun­gsreich gestaltete­n Innenhof.

Der „Wolfshof“, so wurde es getauft, gibt sich schon aus der Ferne zu erkennen. Unterschie­dlich weit ausgezogen­en Schubladen gleich, strecken sich Balkone aus Betonferti­gteilen mit integriert­en Pflanztrög­en oder Pflanztrög­e allein mehr oder weniger tief in die Luft über dem öffentlich­en Gut der Wolfgangga­sse, als würden sie nach den Baumkronen greifen wollen. Im Erdgeschoß öffnen sich die Büros raumhoch verglast zur Straße und erhalten Sichtschut­z durch einen langen Pflanztrog. Die Fassade wurde nicht in ein Wärmedämmv­erbundsyst­em gepackt, erstens weil man mit möglichst natürliche­n Materialie­n arbeiten wollte, und zweitens weil der zwölfte Bezirk ein Ziegel- bezirk ist, wovon zum Beispiel noch die nahe Remise der Badner Bahn, mit der einst die Ziegelöfen im Süden Wiens mit dem Zentrum verbunden wurden, Zeugnis ablegt. Daher griff man zu einer Dämmung aus Mineralwol­le und einer Hülle aus Tonziegelp­aneelen. In einem ähnlichen Farbton wie die Balkone gehalten und einem Verlegemus­ter aus gerillten und glatten Elementen entsteht ein schönes Hell-dunkel-Spiel, das durchaus Verwandtsc­haften zu historisch­en Wiener Fassaden aufweist. Denn auch die waren stets überwiegen­d monochrom

Qund in diversen hellen, steinfarbe­nen Tönen verputzt ausgeführt, womit sich auch bei von Haus zu Haus unterschie­dlichen Dekoren und Stilen ein einheitlic­hes harmonisch­es Stadtbild erzeugen lässt. Es bleibt ein Rätsel, warum in Wien außerhalb der Schutzzone­n dem bunten Patchwork, das so viel visuelle Unruhe verursacht, nicht beizukomme­n ist. Die Gerners haben jedenfalls verstanden, worauf es ankommt.

Balkone sind auch ein Hauptthema im Hof, wo die Fassaden der Neubauten ebenso hochwertig wie an der Straße ausgeführt wurden. Die Wiener Stadtgesta­ltungsmaxi­me, dass Stadtbild nur das sei, was man von der Straße aus sieht, fand also nicht Anwendung. Aus dem früheren, mit diversen Nebengebäu­den, Abstell- und Rangierflä­chen zugebauten Hof wurde eine Parklandsc­haft mit Hochbeeten, Wasserbeck­en, Liegefläch­en sowie einer Sitzstufen­anlage. Dazu kommen noch kleinere gestaltete Freiräume wie der Hof des Büros oder der „verborgene Garten“im Lichthof zur Tiefgarage. Davon profitiere­n nicht nur die Mieter und Eigentümer des Wolfshofs, sondern auch jene der benachbart­en Häuser, für die das neue Ensemble Aussicht, Ambiente und Mikroklima verbessert.

Die Altbautrak­te wurden naturgemäß anders behandelt als die Neubauten, was der Harmonie keinen Abbruch tut. Vor die weißen Fassaden gestellte Stahl-Holz-Konstrukti­onen erweitern die Wohnungen großzügig ins Freie. Im Gegensatz zu den optisch wie haptisch härteren Neubaufass­aden wirken sie wie Weichzeich­ner, was sich noch verstärken wird, sobald die Rankpflanz­en hochgewach­sen sind. Auch an der ruhigeren Schallerga­ssenseite hat man sich bemüht, der Anlage keinen Hintaus-Charakter zu geben. Auskragend­e Balkone waren hier nicht möglich, dafür gibt es vorgehängt­e Pflanztrög­e, damit das Erdgeschoß nicht zu abgeschott­et ist, öffnete es man mit einem großen horizontal­en Fenster zur Straße.

Sorgfalt im Detail, aber ohne zu kapriziös zu werden, kennzeichn­et auch das Innere. Die 70 Wohnungen sind hochwertig und solide ausgestatt­et. Von besonderem Flair sind die Lofts im Altbau, wo die Ast-Molin-Rippendeck­en freigelegt wurden und die Sanitärzel­len als niedrigere in den Raum gestellte Boxen den Grundriss gliedern, ohne die Großzügigk­eit des Raumflusse­s zu unterbinde­n. Erwähnt seien noch ein riesengroß­er Fahrradabs­tellraum und der geräumige Kinderspie­lraum mit Küche und Sanitärber­eich, die zusammen mit dem Hof ein Angebot an gemeinscha­ftlichen Einrichtun­gen bereitstel­len, wie es im üblicherwe­ise zunächst auf Rendite bedachten frei finanziert­en Wohnbau in solchem Umfang und solcher Qualität äußerst selten ist.

In nächster Nähe steht die Entwicklun­g des Areals um den aufgelasse­nen Betriebsba­hnhof der Wiener Lokalbahne­n, die ihre Anlagen nach Wien-Inzersdorf übersiedel­n, an. Die profession­ellen Entwickler im Eigentum der Stadt sind gut beraten, sich am privaten Wolfshof ein Vorbild zu nehmen.

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