Das Ohr kann’s nicht fassen
SWer traf wen? Wo wird die Begegnung beschrieben? Einige Kompositionen des Virtuosen?
Qtille im Saal. Millionärspublikum, exorbitanter Eintrittspreis. Endlich kommt auf der Bühne eine Gestalt zum Vorschein, die schier der Unterwelt entstiegen scheint. Dies Haar (schwarz, pechschwarz) fällt in verzerrten Locken auf die Schultern und bildet einen Kontrastrahmen um das bleiche, leichenartige Gesicht, „auf dem Kummer, Genie und Hölle“, so lesen wir in einer Beschreibung, „ihre unverwüstlichen Zeichen eingegraben haben“. Der Frack und die Weste (schwarz) von allerentsetzlichstem Zuschnitt, dann die Hose (erraten, schwarz) schlotternd um die dünnen Beine. Die langen Arme scheinen noch verlängert, indem unser Mann in der einen Hand die Violine, in der anderen Hand den Bogen gesenkt hält und damit fast die Erde berührt, als er nun vor dem Publikum seine unerhörten Verbeugungen auskramt.
Ist es wahr, was die Welt munkelt: dass der Mann sich dem Teufel verschrieben hat, mit Leib und Seele, Haut und Haar, um Millionen zu erspielen? Er stammt aus Genua, ist der Sohn eines Hafenarbeiters, seine internationale Karriere hat er in Paris begonnen. Nun gibt er im Hamburger Komödienhaus ein Konzert. Und ein deutscher Dichter beschreibt den Auftritt dieser schauerlich bizarren Erscheinung – in einer Novelle, die Fragment geblieben ist.
„In den Augen des entsetzlichen Spielmanns“, heißt es da, „funkelte eine so spöttische Zerstörungslust, seine dünnen Lippen bewegten sich so grauenhaft hastig, dass es aussah, als murmelte er uralt verruchte Zaubersprüche. ,Das ist also das berühmte Spiel auf der G-Saite‘, bemerkte mein Nachbar. Das waren Klänge, die nie das Ohr hört, sondern nur das Herz träumen kann, wenn es des Nachts am Herzen der Geliebten ruht.“
Der Dichter, der den Hamburger Auftritt des „Vampirs mit der Violine“derart wortgewaltig verewigt hat, stammte aus einer nahen Stadt und war gelernter Jurist. In seiner Heimat waren seine Schriften zeitweise verboten – sein Spott machte halt vor nichts und niemandem halt. Den schwarzen Geiger – dieser hat sich übrigens auch als Komponist betätigt, und einige seiner Stücke erklingen noch heute in den Konzertsälen – hat er, zuletzt in seiner Pariser „Matratzengruft“, um 16 Jahre überlebt.