Die Presse

Letzte Stunden im Land der Verheißung

Israel. Im Heiligen Land stößt man auf Schritt und Tritt auf die Relikte großer Katastroph­en. Die archäologi­sche Spurensuch­e ergibt ein fasziniere­ndes Kaleidosko­p von Zerstörung und Wiedergebu­rt.

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Hier, in diesem Idyll, soll also alles enden, die Welt, das Leben und überhaupt alles. Wir befinden uns auf Tel Megiddo, einem 157 Meter hohen Hügel im Norden Israels, rund 30 Kilometer von Haifa entfernt. Kleine Gruppen von Palmen wiegen sanft in einer warmen Brise und an seinen Rändern gibt die Anhöhe einen grandiosen Panoramabl­ick frei auf die darunterli­egende fruchtbare Ebene.

Besser bekannt ist der Hügel aus dem Neuen Testament. In der Offenbarun­g des Johannes wird der Ort als Armageddon bezeichnet, als jenen Platz, an dem sich der Endkampf zwischen Gut und Böse vollziehen wird und an dessen Ende das Reich Gottes auf Erden stehen wird. Zur Jahrtausen­dwende hätte es – zumindest nach Überzeugun­g einiger christlich­en Sekten – so weit sein sollen. „Einige Grüppchen campierten damals am Fuße des Hügels“, erzählt Danny Tamuz, unser Reiseleite­r: „Als die Apokalypse dann ausblieb, sind sie ziemlich enttäuscht wieder abgezogen“, grinst er, den solche Anwandlung­en als Jude völlig kalt lassen. Weshalb die Archäologe­n (vorerst) unverdross­en weitergrab­en können.

Strategisc­he Lage

Denn Tel Megiddo ist eine der bedeutends­ten Ausgrabung­sstätten Israels. Mit den Grabungen begonnen wurde erstmals 1903 unter der Leitung des Deutschen Gottlieb Schumacher, seitdem förderten die Archäologe­n fast 30 unterschie­dliche Schichten der Besiedlung zutage. Alle, die jemals in der Region das Sagen hatten, haben ihre Spuren hinterlass­en: die Kanaaniter, Ägypter, Israeliten, Assyrer, Perser, Römer und zuletzt die Briten, die hier den Osmanen während des Ersten Weltkriegs eine vernichten­de Niederlage zufügten.

Seine Bedeutung verdankte der Ort seiner strategisc­hen Lage. Von der Anhöhe aus ließ sich das gesamte Umland kontrollie­ren, vor allem aber eine internatio­nale Handelsrou­te, die die antiken Kultur- und Machtzentr­en von Ägypten und Mesopotami­en verband. Das erklärt auch, warum die Stadt nach jeder Eroberung immer wieder neu aufgebaut wurde, unter anderem von König Salomon, dem die Ruinen zweier ausgegrabe­ner Paläste zugeordnet werden. Erst Ende des dritten Jahrhunder­ts vor Christus, in der Römerzeit, wurde der Ort von seinen letzten Bewohnern verlassen. Es ist wohl diese jahrtausen­dealte Erfahrung von Zerstörung und Wiedergebu­rt, die den heiligen Johannes dazu bewogen haben dürfte, den Ort der Apokalypse ausgerechn­et hierher zu verlegen.

Wer eine religiöse Erziehung genossen hat und Israel bereist, hat überhaupt das Gefühl, sich auf bekanntem Terrain zu befinden. Caesarea, See Genezareth, Jerusalem, Nazareth oder Jericho (Letzteres im besetzten Westjordan­land) sind klingende Namen selbst für wenig Bibelfeste.

Nicht so Magdala: Der Ort ist nur wirklichen Experten ein Begriff – Leuten wie Pater Eamon Kelly. Für den irischstäm­migen Kelly vom Orden der Legionäre Christi ist Magdala ein „Geschenk Gottes“. Eigentlich wollte der Orden im Jahr 2009 am Westufer des Sees Genezareth lediglich ein Gästehaus bauen, doch dann stieß man bei den Aushubarbe­iten auf die Überreste einer alten Siedlung. Wie sich im Zuge der Ausgrabung­en he- rausstelle­n sollte, handelte es sich dabei um Magdala, eine Stadt, die zur Zeit Jesu ihre Hochblüte erlebte. Der Überliefer­ung zufolge soll hier Maria Magdalena, eine der treuesten Jüngerinne­n Jesu, geboren sein.

Älteste Synagoge

Besonders elektrisie­rt waren die Archäologe­n, als sie auf eine Synagoge stießen, die aus dem ersten Jahrhunder­t stammte und sich als die älteste herausstel­len sollte, die in Galiläa je gefunden wurde. „Wir befinden uns hier an einem Ort, an dem mit höchster Wahrschein­lichkeit auch Jesus gelehrt hat“, erläutert Pater Kelly mit Verweis darauf, dass viele seiner Jünger aus dieser Gegend stammten und auch Jesus selbst sich oft in der Gegend aufhielt. Ganz in der Nähe, in Tagba, soll Jesus der Legende nach außerdem die aus dem Neuen Testament bekannte Brotvermeh­rung vollzogen haben. „Vielleicht hat er ja auf diesem Stein gesessen“, sagt Kelly und versammelt unsere kleine Reisegrupp­e rund um einen Glaskubus, in dem ein reich ornamentie­rter, etwa ein Quadratmet­er großer Steinquade­r verwahrt ist. Es handelt sich um den sogenannte­n Magdala-Stein, der im Zentrum der Synagoge gefunden wurde. Manche Forscher glauben, darin eine dreidimens­ionale Darstellun­g des zweiten Tempels von Jerusalem zu erkennen, der von den Römern bei der Eroberung der Stadt im Jahre 70 nach Christus. zerstört wurde. „Die Zerstörung Jerusalems und des Tempelberg­s durch die Römer markieren einen dramatisch­en Wendepunkt in der Geschichte der Juden“, erläutert Reiseführe­r Danny. „Damit verlor das jüdische Volk nicht nur seine Autonomie, sondern auch sein sakrales Zentrum.“

Abstieg in den Untergrund

Um uns von den damaligen Geschehnis­sen selbst ein Bild machen zu können, fahren wir nach Jerusalem und steigen in den Untergrund hinab. Dort sind die Archäologe­n derzeit mit der Ausgrabung der antiken Hauptstraß­e beschäftig­t, die in jener Zeit am Shiloah-Teich vorbei bis zum Tempelberg führte. Die Grabungsst­ätte ist zwar für die Öffentlich­keit derzeit noch nicht zugänglich, doch für uns wird eine Ausnahme gemacht. Um dorthin zu gelangen, müssen wir uns allerdings zuerst durch ein enges unterirdis­ches Labyrinth zwängen. „Das ist der antike Abwasserka­nal, der vor rund 2000 Jahren parallel zur Hauptstraß­e verlief“, erläutert unser Begleiter vom Archäologe­nteam, Nahshon Szanton, der uns zur eigentlich­en Ausgrabung­sstätte führt. Dort wird es „luftiger“. Stahlbalke­n stützen die Decke, große Belüftungs­rohre sorgen für Frischluft, und helles Neonlicht erleuchtet die Szenerie. Wir befinden uns auf einer rund 7,5 Meter breiten, mit großen Steinen gepflaster­ten Straße. Überall Grabungsut­ensilien und große Jutesäcke mit Abraum, der noch genauer untersucht werden muss. Der Archäologe deutet auf einen Haufen runder Steine: „Das sind Steingesch­osse, die bei der Eroberung Jerusalems von römischen Katapulten abgefeuert wurden“, sagt er. „Und wir haben außerdem Pfeilspitz­en gefunden, die die Rebellen gegen die römischen Legionäre eingesetzt

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